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Die plötzliche Erleuchtung durchfuhr mich wie ein Blitz. «Sie konnte nicht kommen», sagte ich langsam.

«Weshalb nicht?»

«Weil sie tot war! Nadina ist die Frau, die in Marlow ermordet wurde!»

Meine Gedanken kehrten in das Haus zur Mühle zurück; wieder überkam mich das Gefühl der Angst und der Bedrohung, das mir das leere Haus damals eingeflößt hatte. Ich sah meinen Bleistift über den Boden kullern, erlebte nochmals die Entdeckung der Filmrolle. Ein Film! Wo hatte ich doch kürzlich wieder etwas von einem Film gehört? Wieso verband sich dieser Gedanke mit Mrs Blair?

Plötzlich stürzte ich auf sie zu und schüttelte sie: «Ihr Film! Der Film, den man Ihnen neulich nachts durch den Ventilator zuwarf – war das nicht am Zweiundzwanzigsten?»

«Der Film, den ich verloren hatte?»

«Woher wollen Sie wissen, dass es derselbe ist? Warum kam er auf so merkwürdige Weise zurück – mitten in der Nacht? Vielleicht enthält er eine Botschaft! Wo haben sie ihn?»

«Ich habe ihn einfach in das Gepäcknetz neben der Koje gelegt. Hier ist er.»

Ich nahm ihn mit zitternden Händen – und im selben Moment wusste ich, dass meine Vermutung richtig war. Er war bedeutend schwerer, als er hätte sein sollen. Kaum konnten meine bebenden Finger den Klebestreifen lösen. Ich schraubte den Deckel ab – und ein Strom von trüben Kieseln ergoss sich über das Bett.

«Steine», sagte ich enttäuscht.

«Steine?», rief Suzanne aufgeregt. «Nein, Anne, das sind keine Steine, sondern Diamanten!»

15

Diamanten! Ich starrte geblendet auf das glitzernde Häufchen. «Sind Sie auch sicher, Suzanne?»

«Ganz sicher, meine Liebe. Ich habe oft genug Rohdiamanten gesehen. Sie sind übrigens prachtvoll, und einige davon scheinen mir absolut einzigartig zu sein. Dahinter steckt bestimmt eine Geschichte.»

«Die Geschichte, die wir heute Abend hörten!», rief ich.

«Sie meinen…»

«Ja, das, was uns Colonel Race erzählte. Es kann kein bloßer Zufall sein, er hat etwas Bestimmtes damit bezweckt.»

«Sie meinen, er wollte die Wirkung beobachten?»

Ich nickte.

«Die Wirkung auf Sir Eustace?»

Während ich zustimmte, befiel mich bereits ein leichter Zweifel. War es wirklich Sir Eustace, der geprüft werden sollte? Galt die Erzählung nicht vielleicht mir selbst? Bereits früher einmal, bei unserem Gespräch über Archäologie, hatte ich ja das Gefühl gehabt, Colonel Race versuche mich auszuhorchen. Aus irgendeinem Grund verdächtigte er mich. Doch was hatte Colonel Race mit meinem Problem zu tun?

«Suzanne, wer ist Colonel Race?»

«Das ist eine schwierige Frage», entgegnete sie. «Er ist recht bekannt als Großwildjäger; und heute Abend haben Sie selbst gehört, dass er ein Verwandter von Sir Laurence Eardsley ist. Ich habe ihn erst auf dieser Reise kennen gelernt. Er fährt oft zwischen England und Afrika hin und her, und man ist allgemein der Meinung, er gehöre zum Geheimdienst. Ich weiß aber nicht, ob das stimmt. Jedenfalls ist er eine recht geheimnisvolle Persönlichkeit.»

«Durch die Erbschaft von Sir Eardsley ist er wohl sehr reich geworden?»

«Liebe Anne, er kann sich im Gold wälzen! Das wäre eine Partie für Sie.»

«Mich interessiert aber Colonel Race nicht als Heiratskandidat», sagte ich fest. «Ich möchte nur wissen, was er in meiner Geschichte für eine Rolle spielt.»

«Sie glauben also nicht, dass es sich nur um einen Zufall handelt?»

«Ganz bestimmt nicht. Er hat uns alle sehr aufmerksam beobachtet, als er sagte, ein Teil der gestohlenen Diamanten sei bei John Eardsley gefunden worden – ein Teil nur, nicht alle. Vielleicht sind das hier die anderen. Oder…»

«Oder was?»

Ich gab keine direkte Antwort.

«Was ist wohl aus dem zweiten jungen Mann geworden?», fragte ich nachdenklich. «Wie war doch sein Name? – Lucas!»

«Jedenfalls haben wir bereits einiges Licht in die Angelegenheit gebracht: Es sind diese Diamanten, hinter denen man her ist, das ist klar. Und sie sind auch der Grund, warum der Mann im braunen Anzug› die Tänzerin Nadina umgebracht hat.»

«Er hat sie nicht ermordet!», sagte ich scharf.

«Natürlich muss er es gewesen sein! Wer denn sonst?»

«Das weiß ich noch nicht. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass er es nicht war.»

«Bedenken Sie doch: Er ging drei Minuten nach ihr ins Haus, und dann kam er kreidebleich zurück.»

«Weil er sie tot aufgefunden hat.»

«Kein Mensch außer ihm war dort.»

«Entweder war der Mörder bereits im Haus, oder er gelangte auf einem anderen Weg hinein. Er musste ja nicht unbedingt am Pförtnerhaus vorbei; er konnte auch über den Zaun klettern.»

Suzanne warf mir einen erstaunten Blick zu. «Wer war dieser ‹Mann im braunen Anzug› in Wirklichkeit?», grübelte sie. «Auf jeden Fall ist er identisch mit dem vermeintlichen Arzt an der U-Bahn-Station. Er hat genügend Zeit gehabt, seine Verkleidung abzulegen und der Frau nach Marlow zu folgen. Diese Frau und Carton, Ihr ‹Mottenpulver-Mann›, haben alle möglichen Vorsichtsmaßregeln ergriffen, um sich unbeobachtet in Marlow zu treffen. Sie müssen also Angst vor einer Verfolgung gehabt haben. Und Carton hat den Verfolger erkannt und ist darüber so erschrocken, dass er rückwärts auf die Schienen stolperte. Soweit scheint es doch klar, Anne?»

Ich gab keine Antwort.

«Dann fand er als ‹Arzt› bei dem Toten diesen Zettel, aber bei seiner Flucht verlor er ihn wieder. Er folgte der Frau nach Marlow, doch was unternahm er danach? Nachdem er sie umgebracht oder, nach Ihrer Ansicht, tot aufgefunden hatte? Er hat sich doch nicht in Luft aufgelöst!»

Ich schwieg noch immer.

«Könnte es wohl möglich sein», überlegte Suzanne laut weiter, «dass er sich auf irgendeine Weise bei Sir Eustace Pedler als zweiter Sekretär eingeschmuggelt hat? Das wäre natürlich eine einmalige Gelegenheit für ihn, ungeschoren aus England hinauszukommen. Aber auf welche Weise hat er Sir Eustace bestochen? Er sieht ganz danach aus, als ob er ihn irgendwie in der Hand hätte.»

«Ihn oder Pagett?», sagte ich gegen meinen Willen.

«Sie mögen Pagett nicht, Anne. Sir Eustace behauptet aber, dass er ein sehr tüchtiger und fleißiger Mensch sei. Und wir wissen wirklich nichts Nachteiliges über ihn. Doch weiter mit meiner Vermutung, dass Rayburn, der zweite Sekretär, der ‹Mann im braunen Anzug› ist. Er hatte den Zettel bereits gelesen, als er ihn fallen ließ, und genau wie Sie ist er durch den Fleck im Papier getäuscht worden. Er suchte also am Zweiundzwanzigsten um ein Uhr nachts in Kabine 17 einzudringen, nachdem es ihm nicht geglückt war, sie sich schon vorher – durch Pagett – zu sichern. Auf dem Weg dorthin erhält er einen Dolchstich…»