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So machte ich mich also nach dem Lunch auf den Weg; die Fahrt dauerte nur eine halbe Stunde und war überwältigend schön. Ich hatte gar nicht gewusst, dass Kapstadt auf einer Halbinsel liegt, und war daher sehr überrascht, das Meer auf der anderen Seite plötzlich wiederzuentdecken. Nach einigen Schwierigkeiten fand ich die Villa Medgee. Ich klingelte. Ein lächelnder Kaffernboy öffnete mir die Tür.

«Ist Mrs Raffini da?», fragte ich.

Er grinste, führte mich durch einen Korridor und hielt einladend eine Tür auf. Auf der Schwelle zögerte ich – plötzlich hatte ich das Gefühl einer nahenden Gefahr. Doch ich trat ein, und die Tür flog hinter mir zu.

Ein Mann erhob sich aus einem Sessel und kam mir mit ausgestreckten Händen entgegen.

«Ich freue mich sehr, dass Sie uns besuchen, Miss Beddingfeld», sagte er.

Er war groß und hatte einen flammendroten Bart; damit sah er aus wie ein Holländer, aber keineswegs wie der Kurator eines Museums. Wie ein Blitz durchzuckte mich die Gewissheit, dass ich eine Dummheit begangen hatte.

Ich befand mich in der Gewalt des Feindes.

19

Alles, was mir Rayburn am Morgen gesagt hatte, schoss mir durch den Kopf. «Sagen Sie einfach die volle Wahrheit», hatte er gedrängt. Schön, das konnte ich tun, aber würde es mir helfen? Würde man meiner Geschichte überhaupt Glauben schenken? Diese spontane Reise in einen fremden Erdteil, geleitet einzig von einem lächerlichen Fetzen Papier, der nach Mottenkugeln roch! In diesem Moment verwünschte ich meine Abenteuerlust und sehnte mich nach der friedlichen Langeweile meines Dorfs.

Instinktiv trat ich einen Schritt zurück, um nach dem Türgriff zu tasten. Mein Gegner grinste höhnisch.

«Hier sind Sie – und hier bleiben Sie!»

Ich bemühte mich um eine ruhige Stimme. «Der Kurator des Museums von Kapstadt hat mich eingeladen. Falls da ein Irrtum vorliegt…»

«Ein Irrtum? O ja, ein sehr großer Irrtum!»

«Was für ein Recht haben Sie, mich hier zurückzuhalten? Ich werde mich an die Polizei wenden…»

«Oh, tatsächlich?»

«Meine Freunde wissen genau, wo ich hingegangen bin, und wenn ich nicht rechtzeitig zurückkehre, wird man mich hier suchen.»

«Was Sie nicht sagen! Ihre Freunde wissen also, wo Sie sind? Welche Freunde denn, wenn ich fragen darf?»

Ich überlegte hastig. Konnte ich es wagen, Sir Eustace zu erwähnen? Er war ein sehr bekannter Mann, und sein Name hatte Gewicht. Wenn die Leute aber mit Pagett in Verbindung standen, würden sie meine Lüge erkennen. Nein, ich konnte es nicht riskieren.

«Zum Beispiel Mrs Blair, mit der ich im Hotel wohne», erwiderte ich leichthin.

«Das glaube ich Ihnen nicht», sagte mein Gegner. «Sie haben Mrs Blair seit heute Vormittag um elf nicht mehr gesehen. Und mein Briefchen haben Sie erst kurz vor dem Lunch erhalten.»

Seine Worte bewiesen, wie genau man jeden meiner Schritte beobachtet hatte. Aber ich war nicht gewillt, den Kampf so rasch aufzugeben.

«Sie sind nicht ganz so schlau, wie Sie glauben», entgegnete ich spöttisch. «Haben Sie noch nie von der sehr nützlichen Einrichtung des Telefons gehört? Mrs Blair rief mich nach dem Lunch in meinem Zimmer an, und natürlich habe ich bei dieser Gelegenheit gesagt, wo ich hingehe.»

Zu meiner großen Erleichterung sah ich, dass ein Schatten der Unsicherheit über sein Gesicht flog.

«Genug geredet!», sagte er barsch und erhob sich. «Sie kommen jetzt an einen Ort, wo Sie kein Unheil anrichten können, falls Ihre Freunde Sie hier suchen sollten.»

Mir lief es kalt über den Rücken, doch seine nächsten Worte beruhigten mich.

«Morgen werden Sie ein paar Fragen zu beantworten haben, und dann wird sich zeigen, was mit Ihnen weiter geschieht. Ich kann Ihnen versichern, junge Dame, dass wir über mehr als ein Mittel verfügen, um kleine Närrinnen zum Sprechen zu bringen.»

Das klang nicht ermutigend, aber es war wenigstens ein Aufschub. Offensichtlich war der Mann nur ein Untergebener, der die Befehle seines Meisters abwarten musste. Konnte es sein, dass dieser Meister Pagett war?

Er klatschte in die Hände, und zwei Kaffern erschienen. Trotz meines heftigen Sträubens schleppten sie mich die Treppe hinauf und in eine Dachkammer. Dort knebelten sie mich und banden mir Hände und Füße zusammen. Der Holländer machte eine höhnische Verbeugung und schloss die Tür hinter sich.

Ich war vollkommen hilflos. Wie ich mich auch wand und drehte, meine Fesseln lockerten sich nicht im Geringsten, und der Knebel erstickte jeden Schrei. Unten hörte ich eine Tür zufallen. Anscheinend verließ der Holländer das Haus. Wieder und wieder zerrte ich an meinen Fesseln. Schließlich muss ich in Ohnmacht gefallen sein.

Als ich wieder erwachte, taten mir alle meine Glieder weh. Es war dunkel geworden, nur der Mond sandte seinen blassen Schein durch die hohe Dachluke. Der Knebel erstickte mich fast, der Schmerz und die Verkrampfung waren kaum zu ertragen.

Da fiel mein Blick auf etwas Glitzerndes: eine Glasscherbe! Sie brachte mich auf eine Idee.

Meine Arme und Beine waren zwar hilflos, aber ich konnte mich doch rollend fortbewegen. Unendlich langsam gelangte ich an mein Ziel. Mit den Händen ergriff ich die Glasscherbe und stellte sie mit viel Mühe so gegen die Wand, dass ich meine Fesseln daran reiben konnte, bis sich die Knoten an meinen Handgelenken lösten; die Fesseln fielen – meine Hände waren frei!

Jetzt war es leicht, auch die Füße zu befreien. Einige Zeit dauerte es, bis ich die Kraft hatte, mich aufzurichten. Ich wartete noch eine Weile, dann schlich ich zur Tür. Zu meinem Glück war sie nicht verriegelt, sondern nur zugeklinkt. Vorsichtig öffnete ich sie und spähte hinaus.

Alles war still. Der Mond wies mir den Weg. Langsam und geräuschlos tastete ich mich die Treppe hinunter. Immer noch ließ sich kein Laut vernehmen. Doch als ich auf dem unteren Vorplatz anlangte, hörte ich deutlich ein Murmeln. Zu Tode erschrocken, blieb ich stehen. Eine Uhr an der Wand zeigte mir, dass Mitternacht vorbei war.

Durfte ich es wagen, mich den Stimmen zu nähern? Die Neugier verzehrte mich. Doch als ich mich umwandte, sah ich den Kaffernboy in der Eingangstür sitzen. Er hatte mich noch nicht bemerkt, und kurz darauf entdeckte ich, dass er tief und friedlich schlief.

Die Stimmen drangen aus dem Raum, in den man mich zuerst geführt hatte. Die eine war die des Holländers, die andere erkannte ich im Moment nicht.

Sollte ich bleiben oder gehen? Schließlich entschied ich, dass es meine Pflicht sei, soviel wie möglich von dem zu erfahren, was hier gesprochen wurde. Hoffentlich wachte der junge Kaffer nicht auf. Geräuschlos durchquerte ich die Halle. Die Stimmen wurden lauter, waren aber immer noch unverständlich.

Ich legte mein Auge ans Schlüsselloch. Richtig, der eine Sprecher war mein Holländer. Der andere Mann aber saß außerhalb meines Gesichtskreises.

Plötzlich stand er auf, um sich ein Glas vom Tisch zu holen. Sein schwarzbekleideter, breiter Rücken wurde sichtbar. Noch ehe er sich umdrehte, erkannte ich ihn.

Mr Chichester!

Jetzt wurden auch die Worte deutlicher.

«Es ist auf jeden Fall gefährlich. Wenn nun wirklich ihre Freunde nach ihr suchen?»

Das war die Stimme des Holländers. Chichester antwortete; von seinem salbungsvollen Ton war nichts mehr zu hören. Kein Wunder, dass ich ihn zuerst nicht erkannt hatte.

«Das war bloß ein Schreckschuss; kein Mensch ahnt, wo sie steckt.»

«Sie sprach aber sehr entschieden.»

«Das glaube ich; ein entschlossenes kleines Ding. Ich bin der Sache genau nachgegangen, wir haben nicht das Geringste zu befürchten. Und die Befehle des ‹Colonels› müssen befolgt werden. Sie werden sich doch nicht dagegen auflehnen wollen?»