«Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen, Sir Eustace?»
«Aber gewiss, meine Liebe! Ich muss Ihnen das Kompliment machen, dass Sie ausgezeichnete Nerven besitzen. In der Lage, in der die meisten Mädchen jammern und betteln würden, sind Sie imstande, ein gelassenes, sachliches Interesse zu zeigen.»
«Weshalb haben Sie Harry Rayburn als Sekretär angenommen, statt ihn sofort der Polizei zu übergeben?»
«Ich wollte doch diese verfluchten Diamanten haben! Nadina, dieser kleine Satan, hat Ihren Harry gegen mich ausgespielt. Sie drohte mir, ihm die Steine zu verkaufen, wenn ich ihr nicht einen enormen Preis dafür bezahlte. Damals habe ich einen zweiten Fehler begangen: Ich war überzeugt, dass sie die Diamanten bei sich habe. Aber sie war zu schlau dazu. Dann kam auch Carton, ihr Mann, ums Leben, und ich hatte keine Ahnung mehr, wo sich die Steine befinden könnten. Doch ich hatte bei Nadina die Abschrift eines Telegramms gefunden, das ihr jemand von Bord der Kilmorden geschickt hatte und das die Worte siebzehn eins zweiundzwanzig enthielt. Ich vermutete, dass es sich um eine Verabredung mit Rayburn handle, und fand meine Ansicht bestätigt, als er alles versuchte, um mit der Kilmorden zurückzufahren. Daher gab ich mir den Anschein, als würde ich seinen Worten glauben, und nahm ihn als zweiten Sekretär mit. Ich hoffte, durch ihn zu dem Versteck zu gelangen. Dann entdeckte ich Minks auf dem Schiff, der sein eigenes Spiel versuchte und mir dadurch in die Quere kam. Das habe ich rasch abgestellt, und er kroch ganz brav zu Kreuze. Es war sehr unangenehm für mich, dass ich mir die Kabine siebzehn nicht sichern konnte. Und außerdem tauchten plötzlich Sie auf, und ich wusste Sie nirgends unterzubringen. Als Rayburn in der Nacht vom Zweiundzwanzigsten seine Kabine verließ, um die Verabredung einzuhalten, ist ihm Minks auf meinen Befehl gefolgt. Doch er hat die Sache natürlich gründlich vermasselt.»
«Wieso aber stand in dem Telegramm siebzehn statt einundsiebzig?»
«Ich habe darüber nachgedacht. Es kann sich nur um einen Fehler des Schiffstelegrafisten handeln.»
«Was hat Colonel Race mit der Sache zu tun?»
«Ja, das war ein ganz schöner Schock für mich. Als Pagett mir erzählte, er sei ein höheres Tier im Geheimdienst, da lief es mir eiskalt über den Rücken. Ich erinnerte mich, dass er während des Kriegs in Paris hinter Nadina her war – und jetzt schien er mich selbst zu beargwöhnen. Und dann seine Art, sich an meine Fersen zu heften! Er ist unzweifelhaft ein stilles Wasser.»
Ein leises Summen ertönte. Sir Eustace ergriff den Hörer und lauschte eine Weile, ehe er antwortete: «Schön, ich werde sofort mit ihm reden.»
«Entschuldigen Sie mich, Miss Anne», wandte er sich an mich, «eine kleine geschäftliche Besprechung. Ich werde Sie inzwischen in Ihr Zimmer führen.»
Er brachte mich in einen kleinen, schäbigen Raum, ein junger Kaffer trug meinen Handkoffer, und Sir Eustace zog sich zurück – das Vorbild eines höflichen Gastgebers. Eine Kanne mit heißem Wasser stand im Waschbecken. Ich packte mein Handtuch und den Toilettenbeutel aus, um mich etwas zu erfrischen. Im Beutel fühlte ich einen harten Gegenstand, der nicht hineingehörte. Zu meiner größten Überraschung zog ich einen kleinen, handlichen Revolver heraus, der sich ganz bestimmt in Kimberley noch nicht dort befunden hatte. Er schien geladen zu sein.
Mit einem Gefühl der Beruhigung wog ich ihn in der Hand. In einem Haus wie diesem war eine solche Waffe unschätzbar. Doch wo sollte ich sie verstecken? Schließlich schob ich sie in meinen Strumpf. Es sah zwar hässlich aus, und ich befürchtete jeden Moment, der Revolver könnte losgehen, aber das war die einzige Stelle, wo ich ihn unterbringen konnte.
33
Erst am späten Nachmittag wurde ich wieder zu Sir Eustace gerufen. Tee und ein ausgiebiger Lunch waren mir ins Zimmer gebracht worden, und ich fühlte mich nun stark genug, um gegen weitere Konflikte gewappnet zu sein.
Sir Eustace war allein; er schritt im Raum auf und ab, und es entging mir nicht, dass er aus irgendeinem Grund innerlich frohlockte. Sein Ton mir gegenüber hatte sich leicht verändert.
«Ich habe Neuigkeiten für Sie. Ihr Freund ist auf dem Weg hierher. Dämpfen Sie Ihre Freude, ich habe Ihnen noch einiges mitzuteilen. Heute früh versuchten Sie mich zu hintergehen. Ich hatte Sie gewarnt, mir die Wahrheit zu sagen, und bis zu einem gewissen Grade haben Sie es auch getan. Aber in einem sehr wichtigen Punkt haben Sie mich belogen. Sie versuchten mir weiszumachen, dass Harry Rayburn im Besitz der Diamanten sei. Für den Moment ließ ich es dabei bewenden, weil mir sehr viel daran lag, den jungen Mann hierherzukriegen. Aber Sie dürfen mich nicht für dumm halten. Ich weiß, dass die Steine in meiner eigenen Obhut sind, seit ich die Victoriafalle verlassen habe – allerdings gebe ich zu, dass ich es erst gestern erfuhr.»
«Sie wissen…!» Ich rang nach Atem.
«Vielleicht interessiert es Sie zu hören, dass es Pagett war, dem ich diese Kenntnis verdanke. Der Idiot erzählte mir eine langatmige Geschichte über Rollfilme und eine Wette auf dem Schiff. Da genügte es, zwei und zwei zusammenzuzählen Mrs Blairs Verdacht gegen Race, ihre Angst und ihr Drängen, ich möge ihre Andenken in Verwahrung nehmen. In seinem Arbeitseifer hat Pagett die beiden Kisten ausgepackt, und ehe ich das Hotel heute verließ, steckte ich die Filme in meine Tasche. Ich hatte allerdings noch nicht die Zeit, sie zu öffnen, aber ich bemerkte sofort das besondere Gewicht des einen Films, der zu allem Überfluss beim Schütteln klirrt.
Der Fall liegt klar, nicht wahr? Und nun habe ich Sie also samt Ihrem geliebten Harry hübsch in der Falle. Wirklich schade, jammerschade, dass Sie absolut nicht Lady Pedler werden wollen!»
Auf der Treppe ertönten hastige Schritte, die Tür flog auf, und Harry stürzte ins Zimmer, eskortiert von zwei Männern.
Sir Eustace warf mir einen Blick des Triumphes zu.
«Alles verläuft plangemäß», sagte er grinsend.
«Was soll das alles heißen?», schrie Harry.
«Willkommen in meinem Haus, begrüßte die Spinne die Fliege», scherzte Sir Eustace. «Mein lieber Rayburn, Sie haben wirklich Pech.»
«Anne, du hast mir geschrieben, ich könne unbesorgt hierher kommen!»
«Sie dürfen ihr keinen Vorwurf machen, mein Guter. Dieser Brief wurde nach meinem Diktat geschrieben, und die Dame vermochte nichts dagegen zu unternehmen. Allerdings wäre es klüger gewesen, wenn sie nicht geschrieben hätte – aber ich hielt es nicht für nötig, ihr das zu sagen.»
Harry warf mir einen Blick zu. Ich verstand und trat näher zu Sir Eustace.
«Ja», fuhr dieser fort, «Sie haben entschieden kein Glück! Dies ist, wenn ich mich recht entsinne, unser dritter Zusammenstoß.»
«Stimmt», sagte Harry. «Zweimal haben Sie mich übertölpelt – haben Sie noch nie davon gehört, dass sich beim drittenmal das Blatt wendet? Dies ist meine Runde – Anne, halt ihn in Schach!»
Ich war bereit. In einer Sekunde hatte ich den Revolver herausgezogen und hielt ihn Sir Eustace an die Schläfe. Die beiden Wachen sprangen vor, doch Harry befahl ihnen, stehen zu bleiben.
«Einen Schritt weiter – und er ist ein toter Mann! Schieß, Anne, sobald sie sich bewegen, zögere nicht!»
«Du kannst dich darauf verlassen, wenn ich auch vor dem Abdrücken ein wenig Angst habe.»
Sir Eustace schien meine Angst zu teilen, er zitterte am ganzen Körper.
«Stehenbleiben!», rief er seinen Leuten zu, und sie gehorchten blind.
«Schicken Sie sie fort!», befahl Harry.
Sir Eustace tat es ohne langes Zögern, und Harry verschloss die Tür hinter ihnen.
«So, jetzt wollen wir uns unterhalten», sagte er mit grimmiger Miene, während er zu mir herüberkam und mir den Revolver aus der Hand nahm.