Выбрать главу

Mein Trick hatte Erfolg. Ein Diener in Livree nahm meine Karte in Empfang, und bald darauf erschien ein bleicher Sekretär, den ich mit Leichtigkeit überwand. Geschlagen zog er sich zurück und kam kurz darauf wieder mit der Bitte, ihm zu Lord Nasby zu folgen. Ich betrat ein großes Arbeitszimmer, aus dem gleichzeitig eine verschüchterte Stenotypistin flüchtete. Die Tür schloss sich hinter mir, und ich stand dem großen Mann gegenüber.

Ein großer Mann in jeder Beziehung. Ein gewaltiger Kopf mit dichtem Bart und Fleischmassen. Ich riss mich zusammen, denn schließlich war ich nicht hergekommen, um Lord Nasbys Körper zu betrachten. Und schon bellte er mich an. «Nun, was gibt es denn? Was will Loamsley von mir? Sind Sie seine Sekretärin?»

«Zunächst muss ich Ihnen sagen, dass ich Lord Loamsley überhaupt nicht kenne», begann ich so kühl wie möglich. «Ich habe seine Karte bei Bekannten gestohlen und selbst die einführenden Worte geschrieben. Es war sehr wichtig für mich, zu Ihnen vorzudringen.»

Im ersten Moment schien es fraglich, ob Lord Nasby der Schlag treffen würde oder nicht. Doch dann schluckte er zweimal schwer und sagte: «Ich bewundere Ihre Keckheit, junge Frau. Nun, Sie sehen mich also. Und wenn Sie mich zu interessieren vermögen, können Sie mich noch genau zwei Minuten länger ansehen.»

«Das genügt mir vollständig», erwiderte ich. «Und ich weiß, dass ich Sie interessieren werde. Es betrifft den Mord im Haus zur Mühle…»

«Falls Sie den Mann im braunen Anzug gefunden haben, schreiben Sie an den Herausgeber», unterbrach er mich hastig.

«Wenn Sie mich noch öfter unterbrechen, brauche ich länger als zwei Minuten», entgegnete ich kühn. «Ich habe den Mann im braunen Anzug noch nicht gefunden, aber ich bin auf dem besten Weg.»

So kurz wie möglich schilderte ich ihm den Unfall an der U-Bahn-Station und meine Schlussfolgerungen. Als ich fertig war, fragte er unvermittelt: «Was wissen Sie über brachyzephale Kopfformen?»

Ich erwähnte Papa.

«Der Mann mit der vorsintflutlichen Rassentheorie, wie? Nun, meine Dame, Sie scheinen einen ganz vernünftigen Kopf auf Ihren Schultern zu tragen. Aber Ihre Angaben sind sehr mager. Damit lässt sich nicht viel anfangen. Jedenfalls nutzlos für uns – zumindest.»

«Das ist mir völlig klar.»

«Ja, was wollen Sie dann eigentlich?»

«Eine Stelle als Reporterin, um der Sache nachgehen zu können.»

«Unmöglich. Wir haben unseren eigenen Mann für diese Geschichte.»

«Und ich habe Kenntnisse, die er nicht besitzt.»

«Nur das, was Sie mir eben erzählten?»

«O nein, Lord Nasby. Das Wichtigste habe ich nicht gesagt.»

«Tatsächlich? Nun, Sie sind wirklich ein recht selbstsicheres Mädchen. Was gibt es denn noch?»

«Als der so genannte Arzt zum Lift stürzte, fiel ihm ein Zettel aus der Tasche. Ich hob ihn auf. Das Papier roch nach Mottenkugeln – genau wie der Mantel des Verunglückten. Der Doktor hatte diesen Geruch nicht an sich. Da war mir klar, dass er den Zettel dem Toten entwendet hatte. Ein paar Zahlen stehen darauf und zwei Worte.»

«Lassen Sie sehen.» Lord Nasby streckte die Hand aus.

«Das werde ich kaum tun», sagte ich lächelnd. «Es ist mein Fund, nicht wahr?»

«Ich hatte doch Recht, Sie sind ein kluges Mädchen. Keine Skrupel, dass Sie es der Polizei nicht gemeldet haben?»

«Ich komme eben von Scotland Yard. Die Polizei bleibt dabei, die Sache habe nichts mit dem Mord in Marlow zu tun. Daher hielt ich das Papier zurück. Außerdem hat mich der Inspektor geärgert.»

«Kurzsichtiger Mann! Nun, meine Liebe, ich kann nur eines für Sie tun: Verfolgen Sie die Sache weiter, und wenn Sie etwas entdecken, das unsere Leser interessiert, dann sollen Sie Ihre Chance haben. Für wirkliche Begabungen ist immer Platz beim Daily Budget. Aber zuerst müssen Sie etwas leisten, verstehen Sie?»

6

Frohlockend ging ich nach Hause. Mein Plan hatte besser geklappt, als ich jemals zu hoffen gewagt hätte. Lord Nasby war eine Glanznummer. Jetzt musste ich nur noch «etwas leisten», wie er es ausdrückte. In meinem Zimmer eingeschlossen, zog ich das kostbare Papier hervor und studierte es eingehend. Hier lag der Schlüssel zu dem Geheimnis.

Was hatten die Zahlen zu bedeuten? Fünf Zahlen waren es, mit einem Punkt nach der Zweiten. «Siebzehn – einhundertzweiundzwanzig», murmelte ich.

Das sagte mir gar nichts.

Als Nächstes versuchte ich es mit Addieren. In Romanen wird dies oft gemacht und bringt erstaunliche Ergebnisse.

«Eins und sieben ist acht und eins ist neun und zwei ist elf und zwei macht dreizehn.»

Dreizehn, die Unglückszahl! Bedeutete das eine Warnung für mich, die Sache fallen zu lassen? Möglich, aber außer einer Warnung ergab diese Ziffer nichts. Sicher würde kein Verschwörer die Dreizehn auf so umständliche Weise schreiben.

Meine arithmetischen Übungen schienen zu keinem Resultat zu führen. Ich gab es auf und beschäftigte mich mit den Wörtern.

Kilmorden Castle – das war wenigstens ein Anhaltspunkt. Vermutlich handelte es sich um einen Ort, vielleicht um die Wiege einer noblen Familie – verschwundene Erbin? Titelanwärter? – oder um eine malerische Ruine – vergrabener Schatz.

Der Gedanke an einen vergrabenen Schatz sagte mir am meisten zu. Zahlen bedeuteten immer etwas in solchen Fällen. Ein Schritt nach rechts, sieben Stufen in die Tiefe… oder so ähnlich. Das konnte ich später feststellen. Zuerst musste ich Kilmorden Castle so rasch wie möglich ausfindig machen.

Nach einem Rundgang im Haus kehrte ich mit Büchern beladen in mein Zimmer zurück. Alles, was ich über englischen Hochadel und über alte Schlösser finden konnte, hatte ich mitgebracht.

Die Zeit verging. Ich suchte systematisch, aber ohne jeden Erfolg. Schließlich klappte ich das letzte Buch ärgerlich zu. Es gab keinen Ort mit dem Namen Kilmorden Castle.

Hier war ein unerwartetes Hindernis. Das Schloss musste existieren; kein Mensch würde einen solchen Namen einfach erfinden und ihn auf ein Blatt Papier schreiben!

Ich kauerte enttäuscht auf dem Boden und grübelte. Was konnte ich noch unternehmen? Plötzlich sprang ich erfreut auf. Natürlich! Ich musste zum «Ort des Verbrechens». Das tut jeder erfahrene Detektiv. Und gleichgültig, wie viel Zeit bereits verflossen ist, er findet immer etwas, das die Polizei übersehen hat! Mein Weg war klar – ich musste nach Marlow. Wie aber sollte ich in das Haus gelangen? Ich verwarf mehrere abenteuerliche Möglichkeiten und entschloss mich zum einfachsten Weg. Das Haus war zu vermieten – ich würde mich als eventuellen Mieter vorstellen.

Ohne Zeit zu verlieren, begab ich mich zu dem Makler.

Eine Viertelstunde später stand ich bereits vor dem Pförtnerhaus. Nach mehrmaligem Klopfen flog die Tür auf, und eine kleine, ältliche Frau schoss zornig heraus.

«Niemand kommt mir ins Haus, verstehen Sie? Eine unverschämte Bande seid ihr Reporter! Sir Eustaces Befehl lautet…»

«Ich habe geglaubt, das Haus sei zu vermieten», unterbrach ich sie und zeigte ihr mein Formular vor. «Natürlich, wenn ich es nicht besichtigen kann…»

«Oh, ich bitte um Entschuldigung, Miss! Diese Reporter haben mich halb verrückt gemacht. Keine Minute war man sicher vor ihnen. Natürlich gebe ich Ihnen die Schlüssel; es wird ohnehin nicht leicht sein, das Haus zu vermieten – unter den jetzigen Umständen.»

«Ist etwa die Installation nicht in Ordnung?», fragte ich.

«Guter Gott, nein, die Installation ist vollkommen in Ordnung! Aber Sie haben doch sicherlich davon gehört, dass eine Ausländerin hier umgebracht wurde.»

«Ich habe so etwas in der Zeitung gelesen», sagte ich gleichgültig.

Es gibt kein besseres Mittel als geheuchelte Teilnahmslosigkeit, um einen Menschen zum Reden zu bringen.