Выбрать главу

Rawlins dachte einen Augenblick darüber nach. „Muller hatte keine Drohnen“, sagte er schließlich. „Wie ist er nur an all den Fallen vorbeigekommen?“

„Ich weiß es nicht“, sagte Boardman halblaut, „ich kann mir nur vorstellen, daß er unglaublich viel Glück gehabt hat.“

Drei

Im Zentrum des Labyrinths verfolgte Muller auf den trüben Übertragungsschirmen die Ereignisse in den Außenzonen. Er entdeckte, daß sie irgendwelche Roboter hineinschickten. Eine nach der anderen wurden die Maschinen recht brutal ausgeschaltet. Aber jeder neue Roboter drang ein paar Meter weiter in das Labyrinth ein. Aus unaufhörlichen Versuchen und aus jedem Fehlschlag hatten die Eindringlinge gelernt, wie die richtige Route durch Zone H verlief. Mittlerweile hatten sie die schon durchquert und befanden sich weit in G. Muller war auf eine effektive Verteidigung eingerichtet, falls die Roboter die inneren Zonen erreichen sollten. Bis dahin blieb er ganz gelassen im Zentrum der Stadt und ging seiner täglichen Routine nach.

Morgens verbrachte er den Großteil seiner Zeit damit, über die Vergangenheit nachzudenken. In früheren Jahren hatte es für ihn andere Welten gegeben, andere Arten von Frühling, wärmere Jahreszeiten als diese hier. Sanfte Augen hatten in seine gesehen, andere Hände die seinen gehalten. Lächeln, Gelächter, blankpolierte Böden und elegant gekleidete Menschen, die sich unter halbkreisförmigen Bögen bewegten. Muller hatte zweimal geheiratet. Beide Male hatten sie sich nach der festgesetzten Zeit friedlich voneinander getrennt. Er war viel gereist und weit herumgekommen. Er hatte mit Königen und Ministern zu tun gehabt. In seiner Nase steckte der Duft von hundert Planeten, die quer über die Galaxis verstreut waren. Wir kommen nur ein kleines Stück voran, bevor wir die Weltbühne verlassen, dachte er. Im Frühling und Sommer seines Lebens war er verwöhnt worden und hatte viel Farbe bekommen. Es war hell gewesen. Jetzt war er nicht der Ansicht, er habe diesen dumpfen, freudlosen Herbst verdient.

Die Stadt sorgte auf ihre Weise für ihn. Er hatte eine Wohnung — konnte unter Tausenden Wohnungen wählen. Von Zeit zu Zeit zog er um, bloß um einmal eine andere Aussicht zu haben. Alle Häuser hier waren nicht mehr als leere Kästen. Er hatte sich aus Tierhäuten ein Bett gebaut, es mit Fellstücken gefüllt und aus Leder, Sehnen und Knochen einen Stuhl gefertigt. Mehr brauchte er nicht. Die Stadt gab ihm Wasser. Wilde Tiere zogen in solchen Mengen durch die Stadt, daß es ihm nie an Nahrung mangeln würde, solange er nur so gesund blieb, um auf die Jagd gehen zu können. Einige wichtige Gegenstände hatte er von der Erde mitgebracht. Zum Beispiel drei Buch- und einen Musikwürfel, insgesamt ein Stapel von knapp einem Meter Höhe. Sie würden ausreichen, seiner Seele und seinem Gemüt in den Jahren Nahrung zu geben, die ihm noch verblieben. Er hatte auch einige erotische Würfel mitgebracht. Und er besaß einen kleinen Recorder, in den er manchmal seine Memoiren diktierte. Er hatte einen Schreibblock. Er verfügte über Waffen und einen Massedetektor. Er hatte ein Diagnostat, das selbständig und in ausreichender Menge Medikamente produzierte. Es reichte aus.

Er aß regelmäßig. Er schlief lange und gut. Er machte sich nie Gewissensbisse, zweifelte nie an seinem Tun. Er war fast so weit, mit seinem Schicksal zufrieden zu sein. Bitterkeit kann man nur eine gewisse Zeit lang nähren, dann bildet das Unterbewußtsein eine Schutzkapsel um die Stelle, aus der das Gift kommt.

Er machte heute niemandem mehr einen Vorwurf für das, was ihm zugestoßen war. Sein eigener Ehrgeiz war daran schließlich nicht unschuldig gewesen. Er hatte versucht, das ganze Universum zu erobern. Er hatte danach gestrebt, ein Gott zu sein. Und irgendeine unerbittlich lenkende Schicksalsmacht hatte ihn vom höchsten Ruhm hinabgestoßen, hatte ihn immer weiter stürzen lassen und zerschmettert, hatte ihn so besiegt zurückgelassen, daß er nur noch zu dieser toten Welt kriechen konnte, um dort seine gebrochene Seele so gut es ging zusammenzuflicken.

Die Stationen seines Weges zu dieser Welt waren ihm nur zu gut bekannt. Mit achtzehn hatte er nackt unter den Sternen gelegen, die Wärme gespürt und sich seiner hochtrabenden Pläne gerühmt. Mit fünfundzwanzig war er sich seiner Ambitionen bewußt geworden und hatte sie erfüllt. Bevor er vierzig war, hatte er an die hundert Welten besucht und war auf dreißig von ihnen berühmt und bekannt. Ein Jahrzehnt später war er einer Verblendung erlegen, er glaubte sich zum Staatsmann berufen. Und im Alter von dreiundfünfzig hatte er sich von Charles Boardman dazu überreden lassen, die Mission nach Beta Hydri IV zu übernehmen.

In jenem Jahr hatte er im Tau Ceti-System Ferien gemacht, ein Dutzend Lichtjahre von der Erde entfernt. Marduk, der vierte Planet in diesem System, war zur Vergnügungswelt für die Minenarbeiter umfunktioniert worden, die damit beschäftigt waren, dem Bruderplaneten die überschwenglich vorhandenen reaktiven Metalle zu entreißen. Muller gefiel es nicht, wie diese Welten ausgeplündert wurden, aber das hinderte ihn nicht daran, auf Marduk Erholung zu suchen. Es war eine Welt, die mit senkrechter Achse durch ihre Umlaufbahn zog und auf der es demzufolge kaum Jahreszeiten gab. Sie besaß vier Kontinente, die im stetigen Frühling von einem ruhigen, seichten Ozean umspült wurden. Das Wasser war grün, die Landflora hatte einen leichten Stich ins Bläuliche, und die Luft wies ein wenig vom Prickeln jungen Champagners auf. Irgendwie hatten sie den Planeten in ein Ebenbild der Erde umgewandelt — einer Erde, wie sie zu einer unschuldigeren Zeit einmal ausgesehen haben mochte: überall Parklandschaft, saftige Wiesen und einladende Wirtshäuser. Es war eine ruhevolle Welt, deren Herausforderungen selbst zu wählen waren. Die Riesenfische im Ozean waren von Natur aus träge und ließen mit sich spielen. Die hohen Berge mit ihren Schneekuppen sahen tückisch aus, selbst für Bergsteiger in Gravitronstiefeln. Aber bisher war noch nie jemand in ihnen verloren gegangen. Die Tiere, von denen es in den Wäldern wimmelte, waren groß und mächtig, und sie schnaubten wütend, wenn sie angriffen. Aber sie waren lange nicht so gefährlich wie sie aussahen. Im Grunde genommen sagten Muller solche Orte nicht zu. Aber er hatte genug Abenteuer erlebt und war nach Marduk gekommen, um sich für einige Wochen einem Scheinfrieden hinzugeben. Ein Mädchen, das er vor einem Jahr, zwanzig Lichtjahre von Marduk entfernt, kennengelernt hatte, begleitete ihn. Sie hieß Marta und war groß und schlank. Sie hatte große, dunkle Augen, die mit modischen, roten Lidschatten umrahmt waren, und trug glänzendes, blaues Haar, das um ihre weichen Schultern spielte. Marta sah aus wie zwanzig, hätte aber genausogut eine Neunzigjährige nach der dritten Verjüngungsoperation sein können. Man wußte nie, wie alt jemand wirklich war, besonders nicht bei den Frauen. Aber Muller glaubte aus unerfindlichen Gründen zu wissen, daß sie wirklich noch so jung war. Es lag nicht direkt an der Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen und ihrer spontanen Agilität — solche Eigenschaften konnte man sich antrainieren —, sie besaß vielmehr einen unterschwelligen Enthusiasmus, so etwas wie unverfälschte Mädchenhaftigkeit, von dem er gerne annahm, er sei nicht das Produkt eines Chirurgen.

Ob es nun beim Powerschwimmen war, beim Flößersport, bei der Blasrohrjagd oder im Bett, immer schien Marta sich so vollständig den Vergnügungen hinzugeben, daß sie ihr wirklich relativ neu gewesen sein mußten.

Muller hatte kein Interesse daran, solchen Dingen intensiv nachzugehen. Marta war reich, eine Erdgeborene, hatte keine erkennbaren Familienverpflichtungen und ging einfach dorthin, wo es ihr gerade gefiel. Aus einem plötzlichen Impuls heraus hatte er sie angerufen und gefragt, ob sie ihn auf Marduk treffen wolle. Ohne Fragen zu stellen war sie gekommen. Und es machte ihr auch nichts aus, mit Richard Muller dieselbe Suite im Hotel zu teilen. Sicher wußte sie genau, wer er war, aber die Aura des Ruhms, die ihn umgab, war ihr gar nicht wichtig. Ihr kam es mehr darauf an, was er zu ihr sagte, wie er sie festhielt und was sie zusammen taten. Seine Erfahrungen und Kenntnisse, die er zu anderen Zeiten erworben hatte, spielten da gar keine Rolle mehr.