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Sicher, seine Augen wirkten traurig, und die Lippen waren zu dünnen, schmalen Strichen zusammengepreßt. Aber Ned hatte eigentlich etwas Dramatischeres erwartet, etwas Phantastischeres, eine Widerspiegelung von Agonie in seinem Gesicht. Statt dessen sah er in die runzeligen, indifferenten und irgendwie doch ausdrucksstark wirkenden Züge eines harten, belastbaren Mannes in der zweiten Hälfte der mittleren Jahre. Mullers Haar war ergraut, seine Kleidung sah recht abgewetzt aus. Er selbst wirkte etwas verbraucht und abgenutzt. Aber das war bei einem Mann, der neun Jahre in diesem Exil zugebracht hatte, auch nicht anders zu erwarten. Rawlins vermißte etwas Pittoreskeres, ein abgemagertes, verhärmtes Gesicht vielleicht oder dunkle Augen, hinter denen ein dunkles Geheimnis steckte.

„Was willst du hier?“ fragte Muller die Drohne. „Wer hat dich geschickt? Warum verschwindest du nicht wieder?“

Rawlins wagte nicht zu antworten. Er hatte keine Vorstellung von dem Spiel, das Boardman in diesem Moment spielen wollte. Kurz entschlossen schaltete er die Drohne auf passives Verhalten um und rannte zu der Kuppel, unter der Boardman schlief.

Der alte Mann ruhte unter einem Baldachin aus lebenserhaltenden Anlagen. Immerhin war er mit seinen knapp achtzig Jahren nicht mehr der Jüngste — obwohl er ganz und gar nicht wie ein Greis aussah. Eine Möglichkeit, sich das nicht ansehen zu lassen, bestand darin, sich jede Nacht an ein Regenerationssystem anzuschließen. Rawlins genierte sich ein wenig, Boardman, der so vollständig in sein Zubehör eingebettet war, stören zu müssen. An der Stirn des alten Mannes befanden sich Elektroden, die an sein Gehirn angeschlossen waren und ihm während der verschiedenen Schlafstufen eine ausreichende und alle Bereiche betreffende Wiederauffrischung garantierten, indem sie alle Erschöpfungsgifte aus seinem Verstand wuschen. Ein Ultraschall-Schröpfkopf filterte Ablagerungen und Fettrückstände aus Boardmans Adern. Hoch über seiner Brust hing ein verwirrendes Geflecht aus Leitungen und Schläuchen, die seinen Hormonspiegel kontrollierten. Die ganze Anlage war mit dem Schiffscomputer verbunden und wurde von dort auch gesteuert. In dem vollkommenen Regenerationssystem sah Boardman unwirklich und wächsern aus. Seine Atmung erfolgte langsam aber regelmäßig. Die weichen Lippen hingen schlaff herab. Die Wangen wirkten geschwollen und kraftlos. Die Augäpfel bewegten sich rasch unter den Lidern. Er träumte also im leichten Schlaf. Konnte er in diesem Augenblick unbedenklich geweckt werden?

Rawlins wagte nicht, das zu riskieren. Auf alle Fälle nicht mit der direkten Methode. Er bewegte sich leise hinaus und aktivierte den Terminal am Eingang. „Gib Charles Boardman einen Traum ein“, ordnete er an. „Laß ihn wissen, daß wir Muller gefunden haben. Er soll unverzüglich aufwachen. Sag ihm:,Charles, Charles, wach auf, wir brauchen dich!’ Verstanden?“

„Registriert“, gab das Schiffsgehirn zurück.

Der Impuls floß von der Kuppel zum Schiff, wurde dort in eine dem Auftrag gemäße Form umgewandelt und dann in die Kuppel zurückgeschickt. Neds Befehl sickerte durch die Elektroden auf der Stirn in Boardmans Bewußtsein. Rawlins sagte sich, er habe seine Sache gut gemacht, betrat wieder Boardmans Schlaf räum und wartete dort.

Der alte Mann rührte sich. Seine Hände wurden zu Klauen, die leicht an der Maschinerie kratzten, in deren Armen er lag.

„Muller…“, murmelte er.

Seine Augen öffneten sich, konnten einen Augenblick lang jedoch nichts erkennen. Aber der Weckprozeß hatte eingesetzt, und das Lebenssystem rüttelte Boardmans Metabolismus solange auf, bis er wieder einsatzfähig war. „Ned?“ krächzte er schließlich. „Was tun Sie denn hier? Ich habe gerade geträumt, daß…“

„Es war kein richtiger Traum, Charles. Ich habe ihn Ihnen eingegeben. Wir sind bis in Zone A vorgestoßen. Und wir haben Muller gefunden.“

Boardman entledigte sich der Anschlüsse zum Regenerationssystem und setzte sich auf, ganz wach und bei vollem Bewußtsein. „Wie spät ist es?“

„Der Morgen graut gerade.“

„Wie lange ist es her, seit Sie ihn gefunden haben?“

„Vielleicht fünfzehn Minuten. Ich habe die Drohne auf,Passiv’ umgestellt und bin direkt zu Ihnen gekommen. Aber ich wollte Sie nicht wachrütteln, da…“

„Ist schon in Ordnung. Alles okay.“ Boardman schwang sich bei den letzten Worten aus dem Bett. Als er aufstand, schwankte er ein wenig. Seine volle Tatkraft hatte er noch nicht wiedergewonnen, fiel Rawlins auf. Jetzt zeigte sich sein wahres Alter. Ned fand etwas, worauf er sich statt dessen konzentrieren konnte. Er studierte angestrengt die Regenerationsanlage, um nicht die Falten und Fettrollen an Boardmans Körper betrachten zu müssen.

Wenn ich in seinem Alter bin, sagte sich Rawlins, werde ich für regelmäßige Schönheitsoperationen an meinem Körper sorgen. Das ist im Grunde keine Frage der Eitelkeit, sondern hat etwas mit Höflichkeit gegenüber seinen Mitmenschen zu tun. Wir müssen nicht alt und erschlafft aussehen, wenn wir das nicht wollen. Warum also Anlaß zum Anstoß geben?

„Gehen wir“, sagte Boardman. „Aktivieren Sie die Drohne wieder. Ich will ihn auf der Stelle sehen.“

Rawlins trat an den Terminal in der Kuppel und schaltete den Roboter wieder ein. Auf dem Bildschirm erschien die Zone A des Labyrinths. Sie wirkte freundlicher als die äußeren Bezirke. Muller war nicht zu sehen. „Schalten Sie auf Tonempfang“, sagte Boardman.

„Ist eingeschaltet.“

„Wohin ist er verschwunden?“

„Er muß den Sichtbereich verlassen haben“, erklärte Rawlins. Er ließ die Drohne sich um dreihundertsechzig Grad drehen. Die Robotaugen schwenkten an niedrigen, würfelförmigen Häusern, hochgewölbten Bögen und gestuften Mauern vorbei. Ein kleines, katzenartiges Tier lief davon. Doch von Muller war nichts zu sehen.

„Er stand direkt dort drüben“, beharrte Ned unglücklich. „Er…“

„Ist schon gut. Er brauchte ja nicht auf der Stelle stehenzubleiben, während Sie damit beschäftigt waren, mich zu wecken. Lassen Sie den Roboter weiterrollen.“

Rawlins betätigte einige Knöpfe und ließ die Drohne langsam über die Straße rollen. Instinktiv tat er das mit großer Vorsicht, weil er jeden Moment mit einer neuen Falle rechnete.

Auf der anderen Seite sagte er sich mehrere Male, daß die Erbauer des Labyrinths sicher nicht ihre eigenen Wohnbezirke mit trügerischen Hinterhalten bestückt hatten. Plötzlich trat Muller aus einem fensterlosen Gebäude und stellte sich direkt vor die Drohne.

„Da bist du ja wieder“, sagte er. „Wieder zum Leben erwacht, was? Warum sprichst du nicht? Von welchem Schiff kommst du? Und wer hat dich geschickt?“

„Sollen wir antworten?“ fragte Rawlins.

„Nein.“

Boardmans Gesicht war fest gegen den Bildschirm gepreßt.

Er schob Rawlins’ Finger von den Kontrollen und arbeitete selbst solange an der Feineinstellung, bis Muller scharf und deutlich zu erkennen war. Boardman ließ den Roboter sich weiterbewegen, hielt ihn ständig vor Muller in Bewegung, um die Aufmerksamkeit des Mannes nicht erlahmen zu lassen und ihn davon abzuhalten, wieder zu verschwinden.

Mit leiser Stimme sagte Boardman schließlich: „Es ist erschreckend. Wie sein Gesicht aussieht…“

„Mir kam es ziemlich normal vor.“

„Was wissen Sie denn schon? Ich erinnere mich an den Mann. Ned, das ist das Gesicht eines Mannes, der die Hölle durchgemacht hat. Seine Wangenknochen zeichnen sich doppelt so scharf ab wie damals. Und seine Augen sind furchtbar. Sehen Sie, wie sein Mund ein wenig nach unten hängt, dort, der linke Mundwinkel? Vielleicht hat er einen leichten Schlaganfall gehabt. Aber ich muß zugeben, er hat sich insgesamt recht gut gehalten.“