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Nach einer längeren Pause schwebte einer der anderen Hydrier mühelos gleitend vor und wischte mit einem halbkugelförmigen Fuß über die Zeichen auf dem Boden. Sein Bein bewegte sich nur leicht, doch die Linien verschwanden sofort. Der Fremde glättete die Erde auf dem Boden.

„Also gut“, sagte Muller, „dann zeichnet ihr etwas für mich.“

Der Hydrier kehrte zu seinem Platz im Kreis zurück.

„Auch gut“, sagte Muller, „es gibt noch eine weitere universelle Sprache. Ich hoffe, sie beleidigt eure Ohren nicht.“

Er zog eine Sopranflöte aus der Tasche und setzte sie an die Lippen. Durch den Schutzanzug gehindert, konnte er keine musikalische Meisterleistung bieten.

Er atmete tief ein und blies eine atonale Tonleiter. Die Arme der Hydrier flatterten ein wenig. Sie konnten ihn also hören oder zumindest Vibrationen wahrnehmen. Er wechselte auf Moll über und spielte eine weitere Tonleiter. Danach versuchte er es mit einer chromatischen Tonleiter. Sie zeigten sich etwas beeindruckter. Aha, ihr seid also nicht ganz ohne, dachte er, ihr seid Genießer. Vielleicht paßt die Volltonleiter besser zu der Atmosphäre dieses wolkenbedeckten Planeten, sagte er sich. Er führte ihnen mehrere Oktaven vor und bedachte sie auch mit Debussy, um sie zu erfreuen.

„Ist das nach eurem Geschmack?“ fragte er.

Sie machten den Eindruck, als diskutierten sie miteinander.

Dann verließen sie ihn.

Er versuchte, ihnen zu folgen. Aber er konnte mit ihnen nicht Schritt halten und verlor sie bald im diffusen Licht des Waldes aus den Augen. Aber Muller gab nicht auf. Und ein Stück weiter fand er sie wieder. Sie standen dicht beisammen, als ob sie auf ihn warteten. Als Muller auf sie zuging, setzten sie sich wieder in Bewegung. Auf diese Weise, mit ständig wiederkehrendem Anhalten und Losgehen, führten sie ihn zu ihrer Stadt.

Muller ernährte sich von Konzentraten und synthetischen Lebensmitteln. Eine Chemoanalyse hatte ihm klargemacht, daß es nicht ratsam sei, von den einheimischen Speisen zu kosten.

Ungezählte Male zeichnete er für sie den Satz des Pythagoras. Er skizzierte für sie die verschiedenartigsten arithmetischen Grundrechenarten. Er spielte Schönberg und Bach. Er konstruierte gleichseitige Dreiecke. Er führte kompliziertere geometrische Formen vor. Er sprach zu ihnen in Französisch, Russisch, Mandarin und auch Englisch, um ihnen die Mannigfaltigkeit der menschlichen Zunge aufzuzeigen. Er zeigte ihnen Ausschnitte aus dem Periodensystem der Elemente.

Nach sechs Monaten hatte er noch immer nichts über ihre Denkweise in Erfahrung gebracht.

Sie tolerierten seine Anwesenheit, sprachen aber niemals ein Wort zu ihm. Wenn sie miteinander kommunizierten, vollzog sich das vornehmlich in raschen, flüchtigen Gesten, kurzen Handbewegungen und leichtem Zucken der Nasenflügel. Offensichtlich besaßen sie eine gesprochene Sprache, aber sie war so leise und gehaucht, daß er keine Silben, geschweige denn Worte heraushören oder unterscheiden konnte. Allerdings nahm er alles, was er hörte, auf seinem Rekorder auf.

Irgendwann schienen sie seiner überdrüssig zu werden und kamen zu ihm.

Er schlief.

Erst lange Zeit später entdeckte er, was sie ihm während seines Schlafs angetan hatten.

2

Er war achtzehn Jahre alt und lag nackt unter den kalifornischen Sternen. Der ganze Himmel flimmerte. Er glaubte, er brauche nur die Hand auszustrecken, um sie einzeln herabzupflücken.

Ein Gott sein. Das Universum besitzen.

Er drehte sich zu ihr. Ihr Körper war kühl, schlank und zitterte ein wenig vor innerer Anspannung. Er streichelte ihre Brüste mit den Händen. Er ließ eine Hand über ihren flachen Bauch gleiten. Sie zitterte leise. „Du“, stöhnte sie. „Oh!“ Ein Gott sein, dachte er. Er küßte sie sanft und dann noch einmal, nicht mehr so sanft. „Warte“, sagte sie. „Ich bin noch nicht so weit.“ Er wartete. Half ihr. Oder tat zumindest die Dinge, von denen er glaubte, sie würden ihr weiterhelfen. Kurz darauf begann sie zu keuchen. Sie sagte wieder seinen Namen. Wieviele Sterne kann ein Mensch in seinem Leben besuchen? Wenn jeder Stern im Durchschnitt zwölf Planeten hat und man bei einer galaktischen Linse mit einem Durchmesser von X Lichtjahren mit etwa einhundert Millionen Sonnen rechnen muß… Ihre Oberschenkel öffneten sich. Seine Augen schlossen sich. Er spürte weiche, alte Piniennadeln an seinen Knien und Ellenbogen pieksen. Sie war nicht seine erste, aber die erste, die zählte. Als der Blitz in seinem Kopf explodierte, nahm er ihre Reaktion wie durch einen Schleier wahr: verkrampft zunächst und gehemmt, doch dann plötzlich um so kraftvoller. Ihre Intensität erschreckte ihn, aber nur einen Augenblick lang, dann ritt er mit ihr bis zu Ende.

Gott sein mußte ein ganz ähnliches Gefühl sein.

Er rollte von ihr weg, zeigte auf die Sterne und nannte ihr der Reihe nach die Namen, wobei nur die Hälfte stimmte. Doch das brauchte sie nicht zu wissen. Er teilte seine Träume mit ihr. Später liebten sie sich ein zweites Mal, und es war noch besser.

Er hoffte, es würde um Mitternacht regnen, damit sie im Regen tanzen konnten. Aber der Himmel blieb klar. Statt dessen gingen sie schwimmen und verließen dann zitternd aber lachend wieder das Wasser. Als er sie nach Hause gebracht hatte, nahm sie ihre Pille mit einem Glas Chartreuse ein. Er sagte ihr, daß er sie liebte.

Jahrelang schickten sie sich noch Weihnachtskarten.

3

Die achte Welt von Alpha Centauri B war ein Gasriese mit einem Kern von geringer Dichte und einer Schwerkraft, die kaum über dem Wert der Erde lag. Muller hatte bei seiner zweiten Ehe dort Flitterwochen gemacht. Teilweise hatte diese Reise auch mit Arbeit zu tun, denn es gab Ärger mit den irdischen Kolonisten auf dem sechsten Planeten. Sie planten, einen künstlichen Wirbel zu erzeugen, der den größten Teil der rohstoffreichen Atmosphäre vom achten Planeten absaugen sollte, um sie der eigenen Industrie zuzuführen.

Mullers Konferenzen mit den örtlichen Regierungsstellen verliefen recht zufriedenstellend. Er konnte sie überreden, nur einen geringen Teil der Atmosphäre abzusaugen, und erntete für seine kleine Nachhilfestunde in interplanetarer Ökologie sogar noch Lob.

Danach machten Nola und er auf Staatskosten Urlaub auf der achten Welt. Im Gegensatz zu Lorayn reiste Nola gern. Sie begleitete Muller auf vielen seiner Reisen.

In Schutzanzügen durchschwammen sie eiskalte Methanseen. Lachend rannten sie über Ammoniakstrände. Nola war so groß wie er und hatte muskulöse, sportliche Beine, dunkelrotes Haar und grüne Augen. Sie umarmten sich in einem warmen Zimmmer hinter Spiegelglasfenstern, die einen Ausblick über das einsame Meer gewährten, das sich über hunderttausende von Kilometern erstreckte.

„Für immer“, sagte sie.

„Ja. Für immer.“

Bevor die Woche abgelaufen war, lagen sie sich schon in den Haaren. Aber es war nur ein Spiel. Denn je wütender sie miteinander stritten, desto leidenschaftlicher versöhnten sie sich wieder. Einige Male wenigstens. Später machten die Streiteren keinen Spaß mehr. Als der Ehevertrag auslief, wollte keiner erneuern. Später, als er ein bekannter Mann geworden war, erhielt er manchmal noch nette Briefe von ihr. Nachdem er von Beta Hydri IV zurückgekehrt war, hätte er sie gerne einmal gesehen. Er glaubte, daß Nola ihm über seine Schwierigkeiten hinweghelfen könnte. Im Gegensatz zu allen anderen würde sie sich nicht von ihm abwenden. Und sei es nur der alten Zeiten wegen.

Aber sie befand sich damals gerade mit ihrem siebten Ehemann auf Vesta. Muller erfuhr das von ihrem fünften Gatten. Er selbst war der dritte gewesen. Aber er rief sie nicht an.

4

„Tut mir leid, Mr. Muller, aber wir können nichts für Sie tun“, sagte der Chirurg. „Ich möchte gar nicht erst versuchen, falsche Hoffnungen in Ihnen zu wecken. Wir haben Ihre Neuralfunktionen gemessen und verglichen, aber wir können nirgendwo eine Abweichung entdecken. Es tut mir wirklich ausgesprochen leid.“