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Boardman lachte auf. „Wollen wir wetten? Ich setze fünf zu eins, daß Muller innerhalb der nächsten fünf Jahre freiwillig herauskommt.“

„Nun…“

„Dann gilt die Wette hiermit.“

Rawlins verließ das Büro des alten Mannes. Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen. Er überquerte draußen vor dem Gebäude eine Brücke. In einer Stunde würde er mit einem entzückend warmen, weichen und anschmiegsamen Wesen zu Abend essen. Es begeisterte sie ungemein, mit dem berühmten Ned Rawlins zu gehen. Sie war eine gute Zuhörerin, die ihn immer wieder mit kleinen weiblichen Listen dazu brachte, Geschichten von seinen wagemutigen Taten zu erzählen. Sie nickte jedesmal ergriffen, wenn er von den Gefahren sprach, die noch anstanden. Im Bett besaß sie übrigens auch einige Vorzüge.

Er blieb auf der Brücke stehen und sah zu den Sternen hinauf.

Eine Million glitzernder Lichtpunkte schimmerte am Himmel. Dort draußen standen irgendwo Lemnos, Beta Hydri IV und die Welten, die die Radiowesen erobert hatten, und alle von den Menschen besiedelten Planeten und selbst die Heimatgalaxis der Aliens, unsichtbar zwar, aber unzweifelhaft vorhanden. Irgendwo dort draußen lag auf einer weiten Ebene das Labyrinth, breitete sich ein Wald aus schwamm weichen Bäumen aus, die mehrere hundert Meter hoch waren, hatte man auf tausend Planeten die jungen Städte der Menschen gepflanzt, trieb ein höchst merkwürdiger Tank in einer Umlaufbahn um eine eroberte Welt. In dem Tank hauste etwas unsagbar Fremdes. Auf den tausend Planeten lebten Menschen, die sich große Sorgen um die Zukunft machten. Unter den weichen Bäumen gingen graziöse, schweigende Gestalten mit einer Unmenge Armen. Und in dem Labyrinth wohnte… ein Mensch.

Vielleicht, sagte sich Rawlins, gehe ich Muller in ein oder zwei Jahren besuchen.

Es war noch zu früh, um zu wissen, wie die weitere Entwicklung verlaufen würde. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt sagen, wie die Radiowesen, wenn überhaupt, auf all das reagieren würden, was sie von Richard Muller in Erfahrung gebracht hatten. Die Rolle und das Verhalten der Hydrier, die Anstrengungen der Menschen zu ihrer eigenen Verteidigung, Mullers Wiedereintritt in die menschliche Gesellschaft… das waren noch Geheimnisse, die variabel waren, sich in mehrere Richtungen entwickeln konnten. Es war aufregend und auch ein wenig furchteinflößend, wenn er daran dachte, daß er in einer Zeit solcher anstehender Prüfungen leben würde.

Ned überquerte die Brücke. Er beobachtete, wie hoch über ihm Raumschiffe kreuz und quer über den Himmel flogen. Reglos blieb er stehen, als er den Drang zu den Sternen in sich spürte. Das ganze Universum schien an ihm zu zerren, jeder Stern all seine Kraft auszuspielen. Das Glühen des Himmels verwirrte ihn. Offenstehende Wege zu den Sternen winkten ihm zu. Ned dachte an den Mann im Labyrinth. Er dachte auch an das Mädchen, an ihre Geschmeidigkeit und Leidenschaft, ihre dunklen Augen, die silbernen Spiegel ihrer Augen, an ihren Körper, der ihn erwartete.

Plötzlich war er Richard Muller; Muller im Alter von vierundzwanzig Jahren, den auch die Galaxis gerufen hatte. War es bei dir anders? fragte er sich. Was hast du empfunden, als du zu den Sternen aufgesehen hast? Wo hat es dich erwischt? Hier? Oder dort? Oder auch da, wo es mich getroffen hat? Und du bist hinaufgegangen. Und hast gefunden, was du gesucht hast. Und es wieder verloren. Und dafür etwas anderes gefunden. Erinnerst du dich noch daran, Dick, was du einst gespürt hast? Heute Nacht, in deinem winddurchwehten Labyrinth, woran denkst du da? Erinnerst du dich, wie es einmal war?

Warum hast du dich von uns abgewandt, Dick?

Und was ist aus dir geworden?

Er eilte zu dem Mädchen, das ihn erwartete. Sie tranken jungen Wein, der sauer und elektrisierend schmeckte. Sie lächelten sich durch das Flackern der Kerze an. Später öffnete sie für ihn die ganze Weichheit und Zartheit ihres Körpers. Und noch eine Weile später standen sie beide eng aneinander gepreßt auf dem Balkon und sahen hinaus auf die größte und großartigste aller Städte, die je von Menschen erbaut worden war. Die Lichter erstreckten sich bis in die Unendlichkeit, stiegen immer höher, bis sie mit den Lichtern am Himmel verschmolzen. Er legte ihr den Arm um die Taille, zog sie zu sich heran und drückte sie fest an sich.

„Wie lange bleibst du dieses Mal?“ fragte sie.

„Noch vier Tage.“

„Und wann wirst du zurückkehren?“

„Sobald meine Mission beendet ist.“

„Ned, wirst du nie zur Ruhe kommen? Wirst du jemals sagen, daß du genug davon hast, daß du nicht länger hinaus willst, daß du den richtigen Planeten gefunden hast, auf dem du bleiben willst?“

„Doch“, sagte er mit entrückter Stimme. „Ich denke schon. Nach einiger Zeit sicher.“

„Das meinst du nicht wirklich. Du sagst es nur so. Keiner von euch kommt jemals zur Ruhe.“

„Wir können es einfach nicht“, murmelte er. „Wir ziehen immer weiter. Immer stehen neue Welten vor einem… neue Sonnen…“

„Du willst zuviel. Du willst das ganze Universum. Aber das ist Anmaßung, Ned, Sünde. Du mußt akzeptieren, daß es Grenzen gibt.“

„Ja“, sagte er. „Du hast recht. Ich weiß, du hast recht.“ Seine Finger wanderten über ihre samtweiche Haut. Sie erschauderte. „Wir tun das, was wir tun müssen“, sagte er. „Wir versuchen, von den Fehlern der anderen zu lernen. Wir dienen unserer Sache. Wir versuchen, uns selbst gegenüber ehrlich zu sein. Wie sollte es anders gehen?“

„Der Mann, der ins Labyrinth zurückkehrte…“

„… ist glücklich“, ergänzte Rawlins. „Er folgt seinem selbstgewählten Kurs.“

„Wie das?“

„Das kann ich nicht erklären.“

„Er muß uns alle furchtbar hassen, wenn er auf diese Weise dem ganzen Universum den Rücken kehrt.“

„Er steht jenseits von Haß und solchen Gefühlen. Irgendwie hat er es geschafft“, bemerkte Rawlins. „Er hat seinen Frieden gefunden. Was immer auch aus ihm geworden ist.“

„Geworden ist?“

„Ja“, sagte er sanft. Er spürte das Frösteln mitternächtlicher Kühle und führte sie hinein. Sie standen am Bett. Die Kerze war beinahe abgebrannt. Er küßte sie innig und dachte dabei an Richard Muller. Er fragte sich, was für ein Labyrinth ihn am Ende seines Weges erwarten würde. Er zog sie ganz nahe an sich heran und spürte den Druck von angespanntem Fleisch an seiner kühlen Haut. Sie sanken auf das Bett hinab. Seine Hände suchten, kneteten, streichelten. Ihr Atem kam stoßweise, kam unregelmäßig.

Wenn ich dich wiedersehe, Dick, dann habe ich dir so viel zu erzählen, dachte er.

„Warum hat er sich eigentlich selbst in den Irrgarten eingesperrt, Ned?“ fragte sie.

„Aus dem gleichen Grund, aus dem er zum erstenmal zu den Außerirdischen gegangen ist. Aus diesem Grund ist er auch zum zweiten Mal gegangen.“

„Und was war das für ein Grund?“

„Er liebte die Menschheit“, sagte Rawlins. Er hielt diese Art Grabinschrift für genausogut wie jede andere auch. Dann umarmte er das Mädchen. Aber bevor der Morgen graute, hatte er sie bereits verlassen.

Nachwort

Robert Silverberg wurde 1934 in New York geboren, studierte Englisch an der Columbia University und erwarb dort den akademischen Grad des Bachelor of Arts. Als Jugendlicher schon für Science Fiction begeistert, begann er mit dem Schreiben von SF-Stories in den frühen fünfziger Jahren. 1954 gelang es ihm, die erste Kurzgeschichte zu verkaufen, und schon 1955 begann er eine Karriere als Fließbandschreiber für billige amerikanische SF-Magazine. Später gelang ihm der Absprung zum Genre der populärwissenschaftlichen Sachbücher. Zehn Jahre lang blieb er den Sachbüchern treu, erwarb sich Reputation damit und erlangte zudem wirtschaftliche Unabhängigkeit. Es war ein neuer Silverberg, der nach dieser Zeitspanne zur Science Fiction zurückkehrte. Mit Thorns (1967, Der Gesang der Neuronen) gelang ihm auf Anhieb ein vielbeachteter neuer Start. Noch im selben Jahr erschienen mit Hawksbill Station (1967, Verbannte der Ewigkeit) und To Open the Sky (1967, Öffnet den Himmel!) zwei weitere bemerkenswerte Romane. In der Folge waren es Werke wie Up the Line (1969, Zeitpatrouille), The Man in the Maze (1969, Der Mann im Labyrinth), To Live Again (1969, Noch einmal leben), Tower of Glass (1970, Kinder der Retorte), A Time of Changes (1971, Zeit der Wandlungen), Dying Inside (1972, Es stirbt in mir, Neuauflage bei Moewig in Vorbereitung) und The Book of Skulls (1972, Bruderschaft der Unsterblichen), die ihn in die Gruppe der besten und beliebtesten Autoren beförderten. Nach mehrjähriger Pause legte er 1979 mit Lord Valentine’s Castle (Buchausgabe 1980, Krieg der Träume, als Moewig-Hardcover erschienen) einen mit Spannung erwarteten voluminösen neuen Roman vor. Robert Silverberg erhielt zweimal den Hugo-Gernsback-Award, einmal den Jupiter, einmal den Locus-Award und viermal den Nebula-Award. Ferner erwarb er sich Meriten als Verfasser von SF-Jugendbüchern.