»Gestehst du, Nachbar Farrow, dass du mit dem Teufel im Bund gewesen bist?« fragte ihn Beck mit freundlicher Stimme. Doch der Gefesselte konnte nur husten und nach Luft schnappen. Also tauchten sie ihn wieder in den Teich. Diesmal wurde das Kreuz unter Wasser gedrückt, bis keine Luftblasen mehr aufstiegen. Und sie hoben ihn noch immer nicht heraus.
Henry konnte nur zuschauen und weinen, als sähe er zum zweitenmal, wie sie seinen Vater ermordeten. Er war erwachsen, kein Junge mehr, doch er war machtlos gegen die Hexenjäger und befürchtete, sie könnten auf den Gedanken kommen, dass der Baderlehrling der Gehilfe des Hexers war. Schließlich ließen sie das untergetauchte Kreuz los, sprachen den
Gegenzauber und gingen von dannen; sie ließen es auf dem Teich schwimmen.
Als alle fort waren, watete Henry durch den Morast, um das Kreuz an Land zu ziehen. Rosa Schaum hatte sich zwischen den Lippen seines Lehrherrn gebildet. Er drückte die Augen zu, die blicklos in dem weißen Gesicht anklagten, und entfernte die Wasserlinsen von Farrows Schultern, bevor er ihn vom Kreuz schnitt. Der Landbader war ein Witwer ohne Familie gewesen, und deshalb fiel die Verantwortung seinem Lehrling zu. Er begrub Farrow so rasch wie möglich.
Als er sich im Haus umsah, entdeckte er, dass sie vor ihm dagewesen waren. Zweifellos hatten sie Beweise für Farrows Teufelswerk gesucht, als sie sein Geld und seinen Alkohol mitnahmen. Das Haus war geplündert worden, doch es gab noch Kleidungsstücke, die in besserem Zustand waren als die seinen, und Lebensmittel, die er in einen Sack steckte. Er nahm auch eine Tasche mit chirurgischen Instrumenten mit und fing Farrows Pferd ein, auf dem er aus Matlock hinausritt, bevor sie sich seiner erinnerten und zurückkamen.
Er wurde wieder ein Wanderer, doch diesmal hatte er einen Beruf, und das machte einen gewaltigen Unterschied. Überall gab es kranke Menschen, die einen oder zwei Penny für eine Behandlung bezahlten.
Irgendwann begriff er, was man mit dem Verkauf von Arzneien verdienen konnte, und um eine Menschenmenge zusammenzubringen, verwendete er einige der Methoden, die er auf den Reisen mit den Gauklern gelernt hatte.
Da er glaubte, man könnte ihn suchen, hielt er sich nie lang an einem Ort auf, und er vermied die Nennung seines vollen Namens: So wurde er der Bader. Bald entwickelte sich auf diese Weise ein Leben, das ihm zusagte: Er kleidete sich warm und gut, hatte Frauen, so viele er wollte, trank, wenn er Lust dazu verspürte, aß bei jeder Mahlzeit reichlich und gelobte sich, nie wieder zu hungern. Er nahm rasch zu. Als er die Frau kennerlernte, die er heiratete, wog er über zweihundertzwanzig Pfund. Lucinda Eames war eine Witwe mit einem schönen Anwesen in Canterbury. Er kümmerte sich ein halbes Jahr lang um ihre Tiere und Felder und spielte den Ehemann. Ihr kleines, weißes Gesäß gefiel ihm, es war wie ein blasses, umgekehrtes Herz. Wenn sie sich liebten, streckte sie die rosige Zungenspitze aus dem linken Mundwinkel, wie ein Kind, das eine schwierige Aufgabe macht. Sie machte ihm Vorwürfe, weil sie nicht schwanger wurde. Vielleicht hatte sie recht, aber sie hatte von ihrem ersten Mann auch kein Kind empfangen. Ihre Stimme wurde schrill, ihr Ton bitter, und sie gab sich keine Mühe beim Kochen. Und lange bevor ein Jahr mit ihr vorbei war, erinnerte er sich an herzlichere Frauen, köstlichere Mahlzeiten, und er sehnte sich danach, ihrer spitzen Zunge zu entkommen.
Man schrieb das Jahr 1012, in dem Swegen, König der Dänen, die Herrschaft über England übernahm. Zehn Jahre lang hatte Swegen Aethelred immer wieder überfallen, um Schmach über den Mann zu bringen, der seine Verwandten hatte ermorden lassen. Schließlich floh Aethelred mit seinen Schiffen auf die Insel Wight, und Königin Emma fand Zuflucht bei ihren Söhnen Edward und Alfred in der Normandie. Bald danach starb Swegen eines natürlichen Todes. Er hinterließ zwei Söhne, Harold, der ihm auf dem dänischen Thron folgte, und Knut, einen Jüngling von neunzehn Jahren, der von den dänischen Streitkräften zum König von England ausgerufen wurde. Aethelred hatte noch Kraft für einen Angriff und vertrieb die Dänen, doch Knut kehrte schon bald wieder zurück, und diesmal eroberte er das ganze Land mit Ausnahme von London. Er war im Begriff, auch diese Stadt zu erobern, als er erfuhr, dass Aethelred gestorben war. Mutig berief er eine Versammlung des Witan ein, des Rates der weisen Männer von England, und Bischöfe, Äbte, Grafen und Lehensleute kamen nach Southampton und wählten Knut zum König. Knut bewies sein Talent für die Befriedung der Nation, als er Gesandte in die Normandie schickte, die Königin Emma dazu überreden sollten, jenen Mann zu heiraten, der ihrem verstorbenen Gemahl auf den Thron gefolgt war, und sie erklärte sich sofort dazu bereit. Sie war um Jahre älter als Knut, aber noch immer eine begehrenswerte, sinnliche Frau; man witzelte kichernd darüber, wieviel Zeit sie und Knut in der Schlafkammer verbrachten.
So eilig es der neue König mit der Ehe hatte, so schnell floh der Bader vor ihr. Er ließ einfach eines Tages Lucinda Eames mit ihrem Gezänk und ihrem ungenießbaren Essen stehen und nahm seine Reisen wieder auf. Er kaufte seinen ersten Wagen in Bath und nahm in Northumberland seinen ersten Lehrling unter Vertrag.
Die Vorteile waren sofort deutlich zu spüren. Er hatte seither im Lauf der Jahre viele junge Burschen ausgebildet. Die wenigen, die tüchtig gewesen waren, hatten ihm Geld eingebracht, die anderen aber hatten ihn gelehrt, was er von einem Lehrling erwarten musste.
Er wusste, was mit einem Jungen geschah, der versagte und fortgeschickt wurde. Den meisten erging es katastrophaclass="underline" Wenn sie Glück hatten, wurden sie Lustknaben oder Unfreie, die weniger Glücklichen verhungerten oder wurden umgebracht. Diese Einsicht machte ihm mehr zu schaffen, als er wahrhaben wollte, doch er konnte es sich nicht leisten, einen untalentierten Jungen zu behalten. Er hatte selbst nur knapp überlebt und brachte es fertig, sein Herz zu verhärten, wenn es um sein eigenes Wohlergehen ging.
Der letzte, dieser Junge, den er in London gefunden hatte, war offenbar bestrebt, alles richtig zu machen, doch der Bader wusste, dass bei Lehrlingen der äußere Anschein oft trog. Es hatte keinen Sinn, sich mit dem Problem zu plagen wie ein Hund mit einem Knochen. Die Zeit würde es an den Tag bringen, und er würde bald genug erfahren, ob der junge Cole fähig war zu überleben.
Die Bestie in Chelmsford
Rob erwachte beim ersten schwachen Tageslicht und stellte fest, dass sein Meister schon wach und ungeduldig war. Er sah sofort, dass der Bader den Tag nicht in allerbester Laune begann, und in dieser nüchternen Stimmung nahm der Mann den Speer aus dem Wagen und zeigte Rob, wie man mit ihm umging. »Er ist nicht zu schwer für dich, wenn du beide Hände benützt. Du brauchst keine besondere Geschicklichkeit dazu. Stoß so fest zu, wie du kannst. Wenn du auf die Leibesmitte des Angreifers zielst, musst du ihn irgendwo treffen. Sobald du ihn durch eine Verwundung aufhältst, habe ich die Möglichkeit, ihn zu töten. Hast du mich verstanden?« Rob nickte. »Wie wirst du für gewöhnlich gerufen, Kleiner?«
»Rob.«
»Rob... und?«
Er zögerte dem Bader gegenüber verlegen. »Jeremy.« »Also, Rob Jeremy, wir müssen wachsam sein und die Waffen in Griffweite bereithalten, denn nur so bleiben wir am Leben. Diese römischen Straßen sind noch immer die besten in England, aber sie werden nicht instand gehalten. Die Krone ist dafür verantwortlich, sie auf beiden Seiten freizuhalten, um es den Straßenräubern zu erschweren, Reisende aus dem Hinterhalt zu überfallen. Aber an den meisten unserer Straßen wird das Unterholz nie zurückgeschnitten.« Er zeigte ihm, wie man das Pferd einspannt. Als sie weiterfuhren, saß Rob in der heißen Sonne neben ihm auf dem Kutschbock und wurde noch immer von allerlei Befürchtungen geplagt. Bald lenkte der Bader Tatus von der römischen Straße weg auf einen kaum befahrbaren Weg durch den tiefen Schatten des Urwaldes. Über seiner Schulter hing an einer Sehne das braune Sachsenhorn, das einmal einen großen Ochsen geziert hatte. Er setzte es an den Mund und entlockte ihm ein lautes, weiches Geräusch, halb Signal, halb Stöhnen. »Es kündet jedem in Hörweite, dass wir uns nicht heimlich heranschleichen, um zu rauben und zu morden. In manchen abgelegenen Orten töten sie den Fremden, auf den sie unerwartet stoßen. Das Hörn verkündet, dass wir ehrenwerte und selbstsichere Leute und imstande sind, uns zu wehren.«