Der Bader sah das Mädchen an. »Wie heißt du?« »Amelia Simpson, Sir.«
»In welcher Farbe wünschst du dir denn das Band, Miss Amelia?« »Rot.«
»Und die Länge?« »Zwei Yard sollten mir genügen.«
»Ich will es hoffen«, murmelte er und zog die Brauen hoch. Anzügliches Gelächter wurde laut, und er schien die Kellnerin zu vergessen. Er schnitt ein Seil in vier Teile, dann setzte er es nur mit Gesten zusammen, so dass es wieder ganz war. Er legte ein Halstuch über einen Ring und verwandelte ihn in eine Walnuss. Und dann führte er die Finger fast überrascht an den Mund, zog etwas zwischen seinen Lippen hervor, machte eine Pause und zeigte dem Publikum, dass es das Ende eines roten Bandes war.
Während sie zusahen, zog er es Stück für Stück aus dem Mund. Er ließ dabei den Kopf hängen und schielte.
Schließlich hielt er das letzte Stück fest, griff nach seinem Dolch, setzte die Klinge dicht an die Lippen, schnitt das Band ab und reichte es der Kellnerin mit einer Verbeugung.
Neben ihr stand der Dorfsänger, der das Band an seinen Zollstab hielt. »Genau zwei Yard!« erklärte er, und es gab großen Beifall. Der Bader wartete, bis sich der Lärm gelegt hatte, dann hielt er ein Fläschchen seiner Medizin in die Höhe.
»Herren, Damen und Jungfrauen! Nur meine universelle, spezifische Arznei verlängert die euch zugemessene Lebensspanne, regeneriert die verbrauchten Gewebe des Körpers, macht steife Gelenke biegsam und ausgeleierte Gelenke fest. Nur sie entlockt trüben Augen ein schelmisches Glitzern, verwandelt Krankheit in Gesundheit, gebietet dem Haarausfall Einhalt und lässt neue Haare auf spiegelnden Glatzen sprießen. Dazu schärft sie müde Augen und einen abgestumpften Verstand. Eine ausgezeichnete Herzstärkung, anregender als das beste Tonikum, ein sanfteres Abführmittel als ein Salbenklistier. Das universelle Spezificum bekämpft Blähungen und blutigen Fluss, erleichtert die Leiden des Kindbetts und der Monatsregel und heilt den Scharbock, den die Seefahrer heimbringen. Es ist gut für Mensch und Tier, behebt die Taubheit, heilt entzündete Augen, Husten, Auszehrung, Magenschmerzen, Gelbsucht, Fieber und Wechselfieber...«
Der Bader verkaufte vom Podium aus. Dann stellten er und Rob einen Wandschirm auf, hinter dem der Bader Patienten untersuchte. Die Kranken und die Leidenden warteten in einer langen Reihe und bezahlten einen oder zwei Penny für die Behandlung.
An diesem Abend aßen sie im Wirtshaus gebratene Gans, das erste Mal, dass Rob eine nicht selbst zubereitete Mahlzeit aß. Er fand sie besonders köstlich, obwohl der Bader behauptete, dass das Fleisch zu lange gebraten sei, und über Klumpen in dem Rübenmus murrte. Danach breitete der Bader auf dem Tisch eine Karte der britischen Insel aus. Es war die erste Landkarte, die Rob zu Gesicht bekam, und er sah fasziniert zu, wie des Baders Finger eine gewundene Linie darauf beschrieben: die Route, der sie in den kommenden Monaten folgen wollten.
Schließlich fielen Rob die Augen zu, und er taumelte durch die helle Mondnacht schläfrig zu ihrem Lager zurück, um sein Bett zurechtzumachen. In den letzten Tagen hatte sich aber so viel ereignet, dass sein verwirrter Geist ihn am Einschlafen hinderte.
Als Rob in der Kühle des Morgens erwachte, brachen sie das Quartier ab und verließen Farnham, während die meisten Bewohner noch in den Federn lagen.
Bald nach Sonnenaufgang kamen sie an einem Brombeerdickicht vorbei und hielten an, um einen Korb voll Beeren zu pflücken. Beim nächsten Bauernhof besorgte der Bader Lebensmittel. Als sie lagerten, um zu frühstücken, entfachte Rob ein Feuer und briet den Speck und den Käsetoast; der Bader schlug neun Eier in eine Schüssel, fügte reichlich dicke Sahne hinzu, schlug die Mischung schaumig und buk sie dann, ohne umzurühren, zu einer weichen Masse, die er mit überreifen Brombeeren bestreute. Er schien sich über den Eifer zu freuen, mit dem Rob seinen Anteil verzehrte.
Am Nachmittag kamen sie an einer großen, von Bauernhöfen umgebenen Burg vorbei. Rob konnte Menschen und Erdwälle in der Anlage sehen. Der Bader trieb das Pferd zum Trab an, um rasch vorbeizukommen.
Drei Reiter kamen ihnen jedoch von der Burg nach und riefen ihnen zu, anzuhalten. Die strengen, finsteren, waffenstarrenden Männer betrachteten neugierig den auffälligen Wagen. »Was ist dein Beruf?« fragte einer, der den leichten Kettenpanzer einer Person von Rang
trug.
»Bader, Mylord«, antwortete der Gefragte.
Der Mann nickte zufrieden und wendete sein Pferd. »Folgt mir!« Umringt von ihrer Begleitung, ratterte der Wagen durch ein schweres Tor, das in die Wälle eingelassen war, dann durch ein zweites Tor in einer Palisade aus zugespitzten Stämmen und schließlich über eine Zugbrücke, auf der sie den Burggraben überquerten. Rob war noch nie einer mächtigen Burg so nahe gekommen. Das riesige Gebäude hatte Grund- und Untergeschossmauern aus Stein und hölzerne Obergeschosse, dazu komplizierte Schnitzereien an Portal und Giebeln und einen vergoldeten Firstbalken, der in der Sonne glänzte. »Lass deinen Wagen im Hof stehen! Nimm deine chirurgischen Instrumente mit!«
»Worum handelt es sich, Mylord?« »Die Hündin hat sich die Pfote verletzt.«
Mit Instrumenten und Arzneiflaschen beladen, folgten sie dem Ritter in die höhlenartige Halle. Der Kamin in der Mitte war kalt, aber der Raum roch nach dem Rauch des vergangenen Winters; dazu kam ein weniger angenehmer Geruch, der am stärksten wurde, als sie vor dem Hund stehenblieben, der neben dem Kamin lag.
»Hat vor vierzehn Tagen in einer Falle zwei Zehen eingebüßt. Sie sind zunächst schön geheilt, haben aber dann zu eitern begonnen.« Der Bader nickte. Er leerte aus einer Silberschüssel neben dem Kopf der Hündin das Fleisch und goss den Inhalt zweier seiner Flaschen hinein. Die Hündin sah mit trüben Augen zu und knurrte, als er die Schüssel neben sie stellte, doch einen Augenblick später begann sie, das Spezificum auszulecken.
Der Bader ging kein Risiko ein; als die Hündin betäubt war, band er ihr die Schnauze zu und fesselte ihre Läufe, so dass sie ihm nichts tun konnte.
Die Hündin zitterte und jaulte, als der Bader schnitt. Es stank schrecklich, und im Fleisch saßen bereits Würmer.
»Sie wird noch eine Zehe verlieren.«
»Sie darf kein Krüppel werden. Mach deine Sache gut!« befahl ihm der Mann kalt.
Als er fertig war, wusch der Bader das Blut mit dem Rest der Arznei von der Pfote, dann verband er sie mit einem Lappen.
»Bezahlung, Mylord?« brachte er vorsichtig vor.
»Du musst warten, bis der Earl von der Jagd zurückkommt, und ihn darum bitten«, sagte der Ritter und ging.
Sie banden die Hündin behutsam los, nahmen dann die Instrumente
und kehrten zum Wagen zurück. Der Bader fuhr gemessen weg wie ein Mann, der die Erlaubnis hat zu gehen.
Doch als sie außer Sichtweite der Burg waren, räusperte er sich und spuckte. »Vielleicht kommt der Earl erst in einigen Tagen zurück.
Wenn die Hündin bis dahin gesund ist, würde der gute Earl vielleicht sogar bezahlen. Wenn die Hündin aber gestorben ist oder der Earl an einer Verstopfung leidet, würde er uns vielleicht schinden lassen. Ich gehe diesen Herrschaften aus dem Weg und versuche mein Glück
lieber in den kleinen Dörfern.« Nun trieb er das Pferd an.
Am nächsten Morgen war er besser gelaunt, als sie nach Chelmsford kamen. Aber dort hatte schon ein Salbenhändler Aufstellung genommen, um die Dorfbewohner zu unterhalten, ein schlanker Mann in einem grellen, orangefarbenen Kittel, der eine weiße Haarsträhne hatte.
»Sei gegrüßt, Bader«, sagte der Mann leichthin. »Hallo, Wat. Hast du die Bestie noch?«
»Nein, sie ist krank und zu bösartig geworden. Ich habe sie bei einer Tierhatz verloren.«
»Schade, dass du ihr nicht mein Spezificum gegeben hast. Es hätte sie geheilt.« Beide lachten.