Sie behandelten einunddreißig Soldaten, und als es beim Morgengrauen in dem grausigen zerstörten Ort hell wurde, fanden sie sieben weitere Verwundete.
Nach dem ersten Gebet überbrachte Khuff den Befehl, daß die Feldschere die Wunden von fünf Elefanten behandeln sollten, ehe sie sich weiter um die Soldaten kümmerten. Drei Tiere hatten Schnitte in den Beinen, einem war das Ohr von einem Pfeil durchbohrt worden, und
dem letzten war der Rüssel abgetrennt worden. Auf Robs Vorschlag wurden dieser Elefant und jener, der geblendet worden war, von den Lanzenträgern getötet.
Nach dem Frühstücks-pz/aw gingen die mahouts in die Elefantengehege von Mansura, um dort die Tiere auszusuchen. Sie sprachen leise mit ihnen und führten sie herum, indem sie sie mit Stachelstöcken, die man ankushas nannte, an den Ohren zogen.
Mit sanften Rufen trennten die mahouts die abgerichteten Tiere von den noch halbwilden, denn sie konnten nur gefügige Tiere brauchen, die ihnen auf dem Rückmarsch nach Isfahan gehorchen würden. Die anderen wurden freigelassen, so daß sie m den Wald zurückkehren konnten.
Zu den Stimmen der mahouts gesellte sich noch ein weiteres Geräusch: das Summen der Schmeißfliegen, die die Leichen entdeckt hatten. Mit zunehmender Hitze sollte auch der Leichengeruch unerträglich werden.
Dreiundsiebzig Perser waren ums Leben gekommen. Von den Indern waren nur einhundertdrei am Leben geblieben; sie hatten sich ergeben. Als Alä ihnen anbot, in seinem Heer Lastenträger zu werden, nahmen sie sichtbar erleichtert an. Im Laufe der Jahre konnten sie sich Vertrauen erwerben und dann die Erlaubnis erhalten, für Persien zu kämpfen. Sie wurden selbstverständlich lieber Soldaten als Eunuchen. Vorerst betreute man sie allerdings mit dem Ausheben eines Massengrabes für die gefallenen Perser.
Mirdin sah Rob an. Schlimmer, als ich befürchtet habe, sagten seine Augen. Rob stimmte ihm zu, tröstete sich aber damit, daß es vorbei war und sie nun nach Hause zurückkehren konnten. Da suchte sie Karim auf. Khuff hatte einen indischen Offizier getötet, aber vorher hatte das Schwert des Inders den weicheren Stahl von Khuffs überbreiter Klinge fast zur Hälfte durchschlagen. Karim zeigte ihnen, wie tief Khuffs Schwert eingekerbt war.
Das eroberte indische Schwert war aus jenem kostbaren blauen Stahl mit dem Wirbelmuster geschmiedet, und nun trug es Alä Shahansha. Der Schah hatte persönlich das Verhör der Gefangenen geleitet, bis er erfuhr, daß ein Schmied namens Dhan Vangalil in Kausambi, einem Dorf, das drei Tagesmärsche nördlich von Mansura lag, das Schwert angefertigt hatte. »Alä hat beschlossen, nach Kausambi zu marschieren«, eröffnete ihnen Karim.
Sie wollten den indischen Schmied gefangennehmen und nach Isfahan mitnehmen, wo er Waffen aus dem harten Stahl herstellen sollte, damit der Schah seine Nachbarn besiegen und das einstige persische Großreich wiederherstellen konnte.
Pas war leicht gesagt, erwies sich aber als äußerst schwierig. JCausambi war ein kleines Dorf am Westufer des Indus, ein aus einigen putzend windschiefer Holzhäuser bestehender Ort, dessen vier staubige Straßen alle zu der Militärgarnison führten. Wieder gelang es ihnen, einen Überraschungsangriff durchzuführen, indem sie durch den Wald krochen, der das Dorf an der dem Flußufer abgewandten Seite umschloß. Als die indischen Soldaten erkannten, daß sie angegriffen wurden, rannten sie wie erschrockene Affen aus dem Ort in alle Windrichtungen davon und verkrochen sich in der Wildnis. Alä war entzückt, weil ihm die Feigheit des Feindes einen leichten Sieg geschenkt hatte. Er setzte unverzüglich einem verängstigten Dorfbewohner sein Schwert an die Kehle und zwang ihn, ihn zu Dhan Vangalil zu führen. Der Waffenschmied war ein drahtiger Mann, der sich nicht überrascht zeigte. Er hatte graue Haare und einen weißen Bart, der sein altersloses Gesicht beinahe vollkommen verdeckte. Vangalil war durchaus bereit, nach Isfahan mitzukommen und dem Schah zu dienen, erklärte aber, er würde in den Tod gehen, wenn ihm der Schah nicht gestatte, seine Frau, zwei Söhne und eine Tochter mitzunehmen sowie verschiedene Vorräte, die erforderlich waren, um den blauen Stahl mit dem Muster von kleinen Winkeln herzustellen, darunter einen großen Stapel quadratischer Barren aus hartem indischen Stahl. Der Schah war sofort damit einverstanden. Bevor sie aber das Dorf verlassen konnten, brachten Kundschafter beunruhigende Nachricht: Die indischen Truppen waren keineswegs geflohen, sondern hatten im Wald und an der Straße Stellungen errichtet, und sie waren bereit, über jeden herzufallen, der Kausambi verließ.
Alä wußte, daß die Inder nicht unbegrenzt ausharren konnten. Wie in Mansura waren auch die versteckten Soldaten schlecht bewaffnet; außerdem waren sie gezwungen, von den wilden Früchten des Landes zu leben. Die Offiziere machten den Schah darauf aufmerksam, daß zweifellos Läufer ausgeschickt worden waren, um Verstärkungen heranzubringen, aber die nächste bekannte indische Garnison befand sich in dem sechs Tagereisen entfernten Sehwan.
»Ihr müßt den Wald durchkämmen und säubern«, befahl Alä. Die gut fünfhundert Perser wurden in zehn Einheiten von Fußsoldaten zu je fünfzig Mann aufgeteilt. Sie verließen das Dorf und durchstreiften den Busch, um ihre Feinde aufzustöbern, als jagten sie Wildschweine. Wenn sie auf Inder stießen, war der Kampf heftig, blutig und zäh. Alä befahl, alle persischen Gefallenen aus dem Wald zu entfernen, damit der Feind sie nicht zählen und daraus schließen konnte, daß die Stärke des persischen Stoßtrupps abnahm. So wurden also die persischen Toten in den grauen Staub einer Straße nach Kausambi gelegt, um von den Gefangenen aus Mansura in Massengräbern bestattet zu werden. Die erste Leiche, die zu Beginn der Kämpfe aus dem Wald herausgetragen wurde, war die des Stadthauptmanns Khuff. Er war von einem indischen Pfeil, der ihn im Rücken traf, getötet worden. Als strenger, ernster Mann und Stütze des Heeres war er schon zu Lebzeiten eine Legende gewesen. Die Narben auf seinem Körper erzählten die Geschichte der verlustreichen Feldzüge unter zwei Schahs. Den ganzen Tag hindurch defilierten persische Soldaten an seiner Leiche vorbei, um sich von ihm zu verabschieden.
Zweimal täglich wurden die Verwundeten auf einer Lichtung zusammengelegt, und einer der Feldschere ging mit einer Leibwache hinaus, leistete Erste Hilfe und brachte die Stöhnenden ins Dorf. Die Kämpfe dauerten drei Tage. Von den achtunddreißig in Mansura Verwundeten waren elf gestorben, bevor die Perser den Ort verlassen hatten, und weitere sechzehn hatten auf dem dreitägigen Marsch nach Kausambi ihr Leben ausgehaucht.
Zu den elf Verwundeten, die dank der Behandlung von Mirdin und Rob überlebten, kamen nun während der drei Kampftage im Wald weitere sechsunddreißig. Siebenundvierzig weitere Perser fielen. Zuerst behandelten Mirdin und Rob die Wunden so, wie Ibn Sma es sie gelehrt hatte: Sie kochten Öl und gössen es so heiß wie möglich in die Wunden, um eine Eiterung zu vermeiden. Aber am Morgen des letzten Tages ging Rob das Öl aus. Er erinnerte sich, daß der Bader Fleischwunden mit Metheglin behandelt hatte. Also nahm er einen Ziegenschlauch mit starkem Wein und wusch jede neue Wunde mit dem alkoholischen Getränk, bevor er sie verband.
An diesem Morgen hatten sofort nach Sonnenaufgang die letzten erbitterten Kämpfe begonnen. Am Vormittag traf eine neue Gruppe
von Verwundeten ein, und Träger brachten einen Toten, der von Kopf bis Fuß in eine erbeutete indische Decke gehüllt war. »Hier kommen nur Verwundete her«, sagte Rob grob. Aber sie legten den Toten nieder und blieben verlegen wartend stehen, bis Rob plötzlich merkte, daß der Tote Mirdins Schuhe trug. »Wenn er ein Soldat gewesen wäre, hätten wir ihn auf die Straße gelegt«, erklärte einer von ihnen. »Aber er ist ein hakim, deshalb haben wir ihn zum hakim gebracht.«
Sie erzählten, sie seien auf dem Rückweg gewesen, als ein Mann mit einer Axt aus dem Gebüsch hervorgesprungen sei. Der Inder hatte als ersten Mirdin getroffen und war dann getötet worden. Rob dankte den Männern, und sie entfernten sich. Als er die Decke vom Gesicht schob, sah er, daß es wirklich Mirdin war. Sein Gesicht schien verzerrt, es wirkte verdutzt und leicht wunderlich.