Rob drückte Mirdins gütige Augen zu und band das lange Kinn hoch. Er dachte dabei nicht nach, bewegte sich wie ein Betrunkener. Von Zeit zu Zeit ging er weg, um die Sterbenden zu trösten oder die Verwundeten zu versorgen, er kam aber immer wieder zurück und setzte sich zu dem toten Freund. Einmal küßte er den kalten Mund, glaubte aber nicht, daß Mirdin dies merke. Das gleiche empfand er, als er versuchte, die Hand des Freundes zu halten. Mirdin war nicht mehr bei ihnen. Er hoffte, daß Mirdin eine seiner Brücken überquert habe.
Schließlich verließ Rob den Toten und versuchte, blindwütig zu arbeiten. Ein Mann mit einer verstümmelten Hand wurde hereingebracht, und Rob führte die letzte Amputation dieses Feldzugs durch; er nahm die Hand dicht über dem Handgelenk ab. Als er gegen Mittag zu Mirdin zurückkehrte, hatten sich bereits Fliegen auf dem Leichnam niedergelassen.
Er zog die Decke weg und sah, daß die Axt Mirdins Brust gespalten hatte. Als er sich über die große Wunde beugte, konnte er sie mit den Händen weiter öffnen.
Er bemerkte weder den Leichengeruch im Zelt noch den Duft des heißen, zerstampften Grases. Das Stöhnen der Verwundeten, das Summen der Fliegen und die Schreie und Kampfgeräusche drangen nicht mehr an sein Ohr. Er vergaß, daß sein Freund tot war, und die erdrückende Last seines Kummers schwand.
Zum erstenmal griff er ins Innere eines menschlichen Körpers und berührte das menschliche Herz.
Vier Freunde 2
Rob wusch Mirdin, schnitt ihm die Nägel, kämmte sein Haar und hüllte ihn in seinen Gebetsschal, von dem er die Hälfte der Fransen abgeschnitten hatte, wie es der Brauch erforderte. Er suchte Karim auf, der bei der Nachricht blinzelte, als hätte man ihn ins Gesicht geschlagen.
»Ich will nicht, daß er ins Massengrab kommt«, sagte Rob. »Seine Familie wird bestimmt herkommen, um ihn zu holen und bei seinem Volk in Masqat in geweihter Erde zu bestatten.« Sie wählten einen Platz direkt vor einem Felsen, der so groß war, daß ihn Elefanten nicht wegrollen konnten, bestimmten dann die genaue Lage und schritten die Entfernung vom Felsen zum Rand der nahen Straße ab. Karim erhielt auf Grund seines Vorrechts Papier, Feder und Tinte, und nachdem sie das Grab ausgehoben hatten, fertigte Rob eine genaue Skizze an, um sie nach Masqat zu schicken. Wenn es keinen unbestreitbaren Beweis dafür gab, daß Mirdin gestorben war, würde Fara als aguna, als verlassene Ehefrau, betrachtet werden und durfte nicht wieder heiraten.
So lautete das Gesetz; Mirdin hatte es ihn
gelehrt.
»Alä Shahansha wird dabei sein wollen«, meinte Rob und beobachtete Karim, der den Schah aufsuchte. Alä
trank mit seinen Offizieren und sonnte sich im warmen Schein seines Sieges. Er hörte Karim einen Moment zu und winkte dann ungeduldig ab. Rob fühlte, wie Haß in ihm aufstieg, denn er hörte noch die Stimme des Königs in der Höhle, der zu Mirdin gesagt hatte: »Wir sind vier Freunde.«
Karim kam zurück und meinte beschämt, sie müßten weitermachen. Er murmelte Stellen aus islamischen Gebeten, während sie die Grube zuschaufelten, aber Rob versuchte nicht zu beten. Mirdin standen trauernde, im Haskara andächtig erhobene Stimmen und der Kaddisb zu. Doch der Kaddish mußte von zehn Juden gesprochen werden, er
aber war ein Christ, der sich als Jude ausgab und erschüttert und schweigend die Erde über seinem Freund aufhäufte. An diesem Nachmittag fanden die Perser im Wald keine Inder mehr, die sie töten konnten. Der Weg zurück war offen. Alä ernannte einen kampferprobten Veteranen namens Fahrhad zu seinem neuen Stadthauptmann, und der Offizier begann alsbald, lauthals seine Befehle zu brüllen, um die Streitmacht zum Abmarsch zusammenzutrommeln. Unter allgemeinem Jubel stellte Alä seine Rechnung auf: Er hatte einen indischen Waffenschmied gewonnen. Er hatte m Mansura zwei Elefanten verloren, dort aber achtundzwanzig erbeutet. Außerdem hatten die mahouts vier junge, gesunde Elefanten in einem Gehege in Kau-sambi gefunden.
Es waren Arbeitselefanten, nicht für die Schlacht geschult, aber dennoch wertvoll. Die indischen Pferde waren armselige, kleine Tiere, die von den Persern gar nicht beachtet wurden, dafür hatten sie eine kleine Herde schöner, schneller Kamele in Mansura und Dutzende von Tragkamelen in Kausambi erbeutet. Alä strahlte über den Erfolg seines Feldzugs.
Hundertzwanzig Mann von den sechshundert, die dem Schah aus Isfahan gefolgt waren, hatten den Tod gefunden, und Rob war für siebenundvierzig Verwundete verantwortlich. Von diesen waren viele schwer verletzt, so daß sie während der Reise sterben würden, aber es kam nicht in Frage, sie in dem geplünderten Dorf zurückzulassen. Sobald frische indische Truppe eintrafen, würde jeder Perser, der dort gefunden wurde, getötet werden.
Rob schickte Soldaten aus, um Teppiche und Decken in den Häusern einzusammeln, die zwischen Stangen befestigt wurden, um Tragbahren zu bilden. Als sie am nächsten Tag bei Morgengrauen abzogen, trugen Inder diese Bahren.
Nach dreieinhalb Tagen harten, anstrengenden Marsches erreichten sie die Stelle, an der sie den Fluß überqueren konnten. Gleich zu Beginn wurden zwei Männer fortgerissen und ertranken. In der Mitte des Indus war das Wasser nicht tief, aber reißend, und die mahouts stellten stromaufwärts Elefanten auf, welche die Gewalt des Wassers wie eine lebende Mauer brachen, womit der wahre Wert dieser Tiere einmal mehr bewiesen war.
Die schwersten Fälle unter den Verwundeten starben sehr schnell. An einem Tag verschieden allein ein halbes Dutzend. Nach zwei Wochen
erreichten sie Belutschistan, wo sie auf einem freien Feld lagerten und Rob seine Verwundeten in einer Scheune, die keine Seitenwände hatte, unterbrachte. Als er Farhad sah, ersuchte er um eine Audienz, aber der neue Stadthauptmann posierte nur und vertröstete ihn selbstherrlich auf später. Zum Glück hörte Karim sein Ansuchen und brachte ihn sofort zum Schah.
»Ich habe noch einundzwanzig Verwundete. Aber sie müssen für einige Tage an einem Ort liegen bleiben können, sonst werden sie ebenfalls sterben, Majestät.«
»Ich kann nicht auf Verwundete warten«, lautete Aläs Absage, weil er seinen triumphalen Einzug in Isfahan nicht verschieben wollte. »Dann ersuche ich um Eure Erlaubnis, mit ihnen hierbleiben zu dürfen.«
Der Schah starrte ihn an. »Aber ich werde nicht auf Karim verzichten, damit er als hakim bei dir bleiben kann.
Karim muß mit mir zurückkehren.« Rob nickte.
Sie ließen ihm fünfzehn Inder für die Tragbahren und siebenundzwan-zig bewaffnete Soldaten, dazu zwei mahouts und alle fünf verletzten Elefanten, damit er die Tiere weiter behandeln konnte. Karim ließ Säcke mit Reis abladen. Am nächsten Morgen erfüllte die übliche hektische Geschäftigkeit das Lager. Dann machte sich der Stoßtrupp auf den Weg, und als endlich der letzte Mann abgezogen war, blieb Rob mit seinen Kranken und einer Handvoll Helfer in einer plötzlichen Stille zurück, die willkommen und zugleich beunruhigend war.
Die Ruhe im Schatten und ohne Staub tat seinen Patienten gut und erlöste sie von dem unaufhörlichen Gerüttel beim Marsch. Am ersten Tag starben zwar zwei Männer in der Scheune, und ein anderer folgte ihnen am vierten Tag, aber die Überlebenden waren zähe Kerle, die sich ans Leben klammerten. Robs Entschluß, in Belutschistan eine Rastpause einzulegen, rettete ihnen das Leben.
Zuerst ärgerten sich die Soldaten über den Dienst. Die Kameraden würden bald sicher und unter triumphierendem Beifall in Isfahan einziehen, während sie weiterhin den Gefahren ausgesetzt waren und schmutzige Arbeiten verrichten mußten. Zwei bewaffnete Wachtposten verschwanden in der zweiten Nacht auf Nimmerwiedersehen. Die