Rob ging zu der Hebamme Nitka, um ihren Rat einzuholen. »Kommt«, sagte sie und führte ihn zwei Straßen weit zu Reb Asher Jakobi, dem mohel.
»So«, sagte der mohel, »eine Beschneidung. Die Mutter...« Nachdenklich sah er Nitka aus zusammengekniffenen Augen an, und seine Finger wühlten in seinem Bart, »...ist eine Andersgläubige.« »Es muß ja keine bent mit allen Gebeten sein«, sagte Nitka ungeduldig. Da sie den ersten Schritt getan hatte, den Sohn einer Andersgläubigen zu entbinden, schlüpfte sie mühelos in die Rolle der Beschützerin. »Wenn der Vater das Siegel Abrahams auf dem Kind verlangt, ist es ein Segen, es zu beschneiden, nicht?«
»Ja«, gab Reb Asher zu. »Und Euer Vater. Wird er das Kind halten?« fragte er Rob. »Mein Vater ist tot.«
Reb Asher seufzte. »Werden andere Familienmitglieder anwesend sein?«
»Nur meine Frau. Hier leben keine anderen Familienmitglieder. Ich werde das Kind selbst halten.«
»Eine Gelegenheit zum Feiern«, meinte Nitka freundlich. »Macht es Euch etwas aus? Meine Söhne Shemuel und Chofni, ein paar Nachbarn...« Rob nickte.
»Ich werde mich darum kümmern«, versprach Nitka. Am nächsten Morgen trafen sie und ihre beiden stämmigen Söhne, die Steinmetzen waren, als erste vor Robs Haus ein. Hinda, die Händlerin vom jüdischen Markt, kam mit ihrem Großen Isak, einem graubärtigen Gelehrten, der nachdenklich dreinblickte. Hinda lächelte noch immer nicht, aber sie brachte als Geschenk eine Windel. Jakob der Schuhmacher und seine Frau Naoma brachten einen Krug Wein. Micha Halevi, der Bäcker, kam in Begleitung seiner Frau Judith, die zwei große Laibe gezuckertes Brot brachte.
Während Rob den süßen kleinen Körper auf seinem Schoß hielt, kamen ihm Bedenken, als Reb Asher die Vorhaut von dem kleinen Penis schnitt. »Möge der Knabe an Geist und Körperkraft zunehmen und ein Leben guter Werke führen«, erklärte der mohel, und der Kleine schrie. Die Nachbarn hoben die Becher mit Wein und spendeten Beifall, und Rob gab dem Knaben den jüdischen Namen Mirdin ben Jesse.
Für Mary war jeder Augenblick der Feier eine Qual. Eine Stunde später, als alle nach Hause gegangen waren und sie und Rob mit ihrem Kind allein waren, befeuchtete sie ihre Finger mit Gerstenschleim und berührte ihren schreienden Sohn leicht an der Stirn, dem Kinn und den beiden Ohrläppchen.
»Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes taufe ich dich auf den Namen Robert James Cole«, sagte sie deutlich, indem sie ihn nach seinem Vater und seinem Großvater taufte. Von da an rief sie, sobald sie allein waren, ihren Mann Rob, und das Kind Rob James.
An den Hochgeehrten Reb Mulka Askari, Perlenhändler in Masqat, mit den besten Grüßen.
Euer verstorbener Sohn Mirdin war mein Freund. Möge er in Frieden ruhen!
Wir waren zusammen Feldschere in Indien, von wo ich die Habseligkeiten mitgebracht habe, die ich Euch jetzt durch das freundliche Entgegenkommen von Reb Moise ben Zavil, Kaufmann aus Qum, übersende, dessen Karawane heute mit einer Ladung Olivenöl nach Eurer Stadt aufbricht.
Reb Moise wird Euch eine Karte aus Pergament übergeben, die die genaue Lage von Mirdins Grab beim Dorf Kausambi anzeigt, damit seine Gebeine eines Tages, wenn es Euer Wunsch ist, heimgeführt werden können. Ich schicke euch auch die tefillin, die er täglich um seinen Arm gewunden hat und die Ihr ihm, wie er mir erzählt hat, geschenkt habt, als er sein vierzehntes Lebensjahr erreichte. Außerdem sende ich die Figuren und das Brett des Schachspiels, bei dem Mirdin und ich viele glückliche Stunden verbracht haben. Er hatte in Indien keine anderen Habseligkeiten bei sich. Er wurde selbstverständlich in seinem tallit bestattet. Ich bete, der Herr möge Eurem und unserem schweren Verlust Verständnis entgegenbrin-gen. Mit Mirdins Hinscheiden ist ein Licht aus meinem Leben verschwunden. Er war der beste Mensch, den ich jemals zu meinen Freunden zählen durfte. Ich weiß, daß Mirdin bei Adashem ist, und hoffe, daß ich eines Tages würdig sein werde, mit ihm zusammenzusein.
Bitte übermittelt seiner Witwe, die inzwischen bei Euch weilt, und seinen tapferen jungen Söhnen meine Zuneigung und Hochachtung und teilt ihnen mit, daß meine Frau einen gesunden Sohn, Mirdin ben Jesse, geboren hat und ihnen ihre liebevollen Wünsche für ein gutes Leben sendet.
Jivorechachachah Adonai VJishmorechah, möge der Herr Euch beschützen! Ich bin Jesse ben Benjamin, hakim.
Abu Ubaid al-Juzjani war jahrelang Ibn Sinas Assistent gewesen. Er hatte selbst einen guten Ruf als Chirurg erlangt und war der reichste von den ehemaligen Assistenten, die alle Erfolg gehabt hatten. Der hakim-bashi ließ seine Assistenten hart arbeiten, und die Stellung war wie eine verlängerte Ausbildung, also eine Gelegenheit, weiter zu lernen. Rob assistierte Ibn Sina nicht nur und brachte ihm Dinge, die er benötigte, sondern sein Meister erwartete, daß man ihn beizog, wenn es ein Problem gab oder seine Ansicht erforderlich war. Der junge hakim genoß sein Vertrauen, und Ibn Sina erwartete von ihm, daß er selbständig handelte.
Für Rob war es eine glückliche Welt. Er hielt an der madrassa einen Vortrag über Weinbäder für offene Wunden, doch hatte er nur wenige Zuhörer, weil ein zu Besuch weilender Medicus an diesem Vormittag einen Vortrag über das Thema der körperlichen Liebe hielt. Die persischen Ärzte drängten sich immer zu Vorlesungen, die mit dem Geschlechtsleben zu tun hatten, was Rob merkwürdig erschien, denn in Europa waren die Ärzte für dieses Thema nicht zuständig. Also besuchte auch er viele solche Vorträge, und dank oder trotz dem, was er lernte, gestaltete sich seine Ehe glücklich.
Mary erholte sich rasch von der Geburt. Sie befolgten die Vorschriften Ibn Sinas, der darauf hinwies, daß nach der Niederkunft sechs Wochen lang Enthaltsamkeit geübt werden solle. Er riet auch, die Scham der jungen Mutter vorsichtig mit Olivenöl zu behandeln und mit einem Gemisch aus Honig und Gerstenschleim einzureiben. Die Behandlung
hatte ausgezeichneten Erfolg, nur das sechswöchige Warten wollte jvlary wie eine Ewigkeit erscheinen, und als es vorüber war, wandte sie sich Rob ebenso begierig zu, wie er sie umarmte. Einige Wochen später begann die Milch in ihren Brüsten zu versiegen. Sie brauchten also eine Amme, und Rob sprach mit mehreren Hebammen, durch deren Vermittlung er eine kräftige, einfache Armenierin namens Prisca fand, die genug Milch für ihre neugeborene Tochter und den Sohn des hakim hatte. Viermal am Tag trug Mary das Kind zum Ledergeschäft von Priscas Ehemann Dikran und wartete, während der kleine Rob die Brust bekam. Abends kam Prisca zum Haus in der Jehuddijeh und übernachtete mit den beiden Kindern im anderen Zimmer, während Mary und Rob sich bemühten, beim Liebesakt keinen Lärm zu machen, und dann den ungestörten Schlaf genossen. Mary war zufrieden, und ihr Glück ließ sie aufblühen, ja sie schien dank einer neuen Selbstsicherheit richtig aufzuleuchten.
In der ersten Woche des Monats Schaban kam die Karawane von Reb Moise ben Zavil wieder auf dem Weg nach Qum durch Isfahan, und der Kaufmann brachte Geschenke von Reb Mulka Askari und seiner Schwiegertochter Fara mit. Fara schickte dem Kind Mirdin ben Jesse sechs Leinenkleidchen, die sie mit Liebe und Sorgfalt selbst genäht hatte. Der Perlenhändler schickte Rob das Schachspiel zurück, das seinem toten Sohn gehört hatte.
Es war das letztemal, daß Mary aus Sehnsucht nach Fara weinte. Als sie sich die Augen getrocknet hatte, stellte Rob Mirdins Figuren auf dem Brett auf und lehrte sie das Spiel des Schahs. Danach grübelten sie oft über dem Schachbrett. Er erwartete zunächst nicht viel von ihr, denn es war doch ein Spiel für Krieger, und sie, dachte er, war ja nur eine Frau. Aber sie lernte schnell und schlug bald seine Figuren jubelnd mit einem Schlachtruf, der zu einem seldschukischen Plünderer gepaßt hätte. Die Geschicklichkeit und Schnelligkeit, mit der die Armee ihres Königs angriff, überraschte Rob, war aber dennoch kein großer Schreck, denn er hatte längst erkannt, daß Mary Cullen ein außergewöhnliches Geschöpf war.