1 »Rob!« rief sie später. Und wieder: »Mein Rob!« Es war ein Schrei der Verzweiflung wie in einem Alptraum.
»Still, sonst weckst du den Kleinen«, flüsterte er. Er war überrascht, denn er hatte nicht gewußt, daß sie Alpträume hatte. Er streichelte ihren Kopf und tröstete sie, und sie zog ihn mit verzweifelter Kraft an sich.
»Ich bin doch bei dir, Mary. Ich bin doch hier, meine Liebste.« Er flüsterte ihr leise tröstende Worte ins Ohr, Zärtlichkeiten auf englisch, persisch und hebräisch, bis sie sich beruhigte.
Kurze Zeit später wurde sie wieder unruhig, aber dann berührte sie sein Gesicht, seufzte und umschlang seinen Kopf mit den Armen. Rob lag nun mit der Wange auf der weichen Brust seiner Frau, bis das süße, langsame Klopfen ihres Herzens auch ihm Ruhe brachte.
Karim
Die immer wärmer werdende Sonne ließ blaßgrüne Schößlinge aus der Erde sprießen, als der Frühling in Isfahan einzog. Es war, als hätte Rob die Hände der Erde ergriffen, um die grenzenlose, immerwährende Kraft der Natur zu fühlen. Mary war ein Beweis dieser Fruchtbarkeit. Die Anfälle von Übelkeit dauerten an und wurden schlimmer, aber diesmal brauchten sie Fara nicht, um festzustellen, daß sie schwanger war. Rob freute sich sehr, aber Mary war niedergeschlagen und wurde schneller ärgerlich als zuvor. Er verbrachte mehr Zeit denn je mit seinem Sohn.
In der gleichen Woche, in der das Kind die ersten zögernden, unsicheren Schritte machte, begann es auch zu sprechen. Es war kein Wunder, daß sein erstens Wort »Pa« war. An einem milden Nachmittag überredete er Mary, mit ihm zum
armenischen Markt zu gehen. Rob James trug er auf dem Arm. Beim Ledergeschäft stellte er das Kind auf den Boden, so daß Rob James einige wacklige Schritte auf Prisca zu machen konnte, und die ehemalige Amme schrie entzückt auf und schloß das Kind in die Arme. Später, während Mary pilaw kochte und Rob einen der Aprikosenbäume beschnitt, kamen zwei von den kleinen Töchtern Micah Halevis, des Bäckers, aus dem benachbarten Haus und spielten im Garten mit seinem Sohn. Rob freute sich über ihr kindliches Geschrei und ihre Dummheiten. Es gibt schlimmere Menschen als die Juden in der Jehuddijeh, sagte er sich, und schlimmere Orte als Isfahan.
Eines Tages traf Rob im maristan mit Ibn Sina zusammen. Sobald er den Arzt aller Ärzte erblickte, wußte er, daß Schlimmes geschehen war.
»Meine Despina und Karim Harun - sie sind verhaftet worden!« »Setzt Euch, Meister, und beruhigt Euch«, sagte Rob sanft, denn Ibn Sina war erschüttert und verwirrt und sah sehr gealtert aus. Robs schrecklichste Befürchtungen waren also wahr geworden. Er zwang sich, die notwendigen Fragen zu stellen, und war nicht überrascht, als er erfuhr, daß die beiden des Ehebruchs und der Unzucht beschuldigt wurden.
Qandrassehs Spitzel waren Karim an diesem Vormittag zu Ibn Sinas Haus gefolgt. Mullahs und Soldaten waren dann in den steinernen Turm eingedrungen und hatten die Liebenden entdeckt. »Was war mit dem Eunuchen?«
Ibn Sina blickte ihn kurz an, und Rob haßte sich, weil er begriff, was er mit seiner Frage zugegeben hatte.
Aber Ibn Sina schüttelte nur den Kopf. »Wasif ist tot. Hätten sie ihn nicht mit einer List getötet, hätten sie nicht in den Turm eindringen können.«
»Wie können wir Karim und Despina helfen?«
»Nur Alä Sbabansha kann ihnen helfen. Wir müssen ihn darum bitten.«
Zwei ganze Tage lang saßen sie im Haus des Paradieses, ohne zu Alä vorgelassen zu werden. Allmählich begriffen sie, daß der Herrscher, trotz des hohen Ranges des Arztes aller Ärzte und trotz der Tatsache, daß Karim Aläs Günstling war, nicht eingreifen würde.
»Er ist bereit, Karim Qandrasseh zu opfern«, stellte Rob betrübt fest, »als spielten sie das Spiel des Schahs und als wäre Karim eine Figur, deren Verlust man verschmerzen kann.«
Als sie das Haus des Paradieses verließen, trafen sie al-Juzjani, der auf sie gewartet hatte. Der Chirurg liebte Ibn Sina mehr als jeder andere, und aus dieser Liebe heraus brachte er ihm die schlimme Nachricht: Karim und Despina waren vor ein islamisches Gericht gestellt worden. Drei Zeugen hatten ausgesagt, jeder von ihnen ein mullab. Zweifellos, um nicht gefoltert zu werden, hatten weder Despina noch Karim versucht, sich zu verteidigen. Der mufti, der den Vorsitz führte, hatte beide zum Tod am nächsten Morgen verurteilt. »Die Frau wird geköpft. Karim wird der Bauch aufgeschlitzt.« Sie starrten einander entsetzt an. Rob wartete darauf, daß Ibn Sina vielleicht al-Juzjani sagen würde, wie Karim und Despina noch gerettet werden könnten. Doch der alte Mann schüttelte den Kopf. »Wir können das Urteil nicht umstoßen«, erklärte er müde. »Wir können nur dafür sorgen, daß ihr Ende barmherzig ist.« »Dann muß Verschiedenes getan werden«, sagte al-Juzjani ruhig. »Man muß Bestechungsgelder bezahlen. Und den medizinischen Gehilfen im Gefängnis des kelonter müssen wir durch einen Arzt ersetzen, dem wir vertrauen können.«
Trotz der warmen Frühlingsluft überlief es Rob eiskalt. »Laßt mich dieser Mann sein«, sagte er.
Nach einer schlaflosen Nacht stand er vor Sonnenaufgang auf und ritt zu Ibn Sinas Haus. Ibn Sina gab ihm eine Flasche mit Traubensaft. »Er ist mit viel Opiaten und einem Pulver aus reinen Hanfsamen, das huing heißt, vermischt. Es besteht aber ein gewisses Risiko: Sie müssen viel davon trinken, wenn jedoch einer so viel trinkt, daß er nicht mehr gehen kann, wenn sie abgeholt werden, sterbt Ihr mit ihnen.«
Im Gefängnis erklärte Rob der Wache, daß er der Medicus sei, und er erhielt eine Eskorte. Despina wartete in einer winzigen Zelle. Sie war ungewaschen und nicht parfümiert, und ihr Haar hing in glatten Strähnen herab. Ihr zierlicher, zarter Körper war in ein schmutziges, schwarzes Kleid gehüllt.
»Ich habe dir etwas zu trinken gebracht.«
In ihren Augen standen Tränen, aber sie wies das Getränk zurück.
»Du mußt trinken. Es wird dir helfen.«
Sie schüttelte den Kopf. Ich werde bald im Paradies sein, flehten ihn ihre angstgeweiteten Augen, um Bestätigung heischend, an. »Gib es ihm«, flüsterte sie, und Rob verabschiedete sich von ihr.
Sein Freund war blaß. »Also, Europäer.«
»Also, Karim.«
Sie umarmten einander, hielten sich fest umschlungen.
»Ist sie...?«
»Ich war bei ihr. Sie ist wohlauf.«
Karim seufzte. »Ich hatte seit Wochen nicht mehr mit ihr gesprochen.
Ich wollte nur ihre Stimme hören, verstehst du? Ich war sicher, daß mir an diesem Tag niemand gefolgt war.«
Rob nickte.
Karims Lippen zitterten. Als Rob ihm die Flasche reichte, ergriff er sie und trank mit einem Zug zwei Drittel der Flüssigkeit, bevor er sie zurückgab.
»Es wird wirken. Ibn Sina hat es selbst gemischt.«
»Der alte Mann, den du verehrst. Ich habe oft davon geträumt, daß ich ihn vergifte, um sie ganz besitzen zu können.«
»Jeder Mensch hat böse Gedanken. Du hättest sie nie ausgeführt.«
Karim nickte. Rob beobachtete ihn genau, weil er befürchtete, dass Karim zuviel buing getrunken haben könnte.
Wenn der Trank zu schnell wirkte, würde ein Gericht von muftis auch einen zweiten Arzt hinrichten lassen.
Karims Augen blickten müde. Er blieb wach, beschloß aber, nicht mehr zu sprechen. Rob harrte schweigend bei ihm aus, bis er endlich Schritte hörte. »Karim!«
Er blinzelte. »Ist es soweit?«
»Denk an den Gewinn des chatir«, erinnerte Rob ihn sanft. Die Schritte hielten an, die Tür ging auf. Es waren drei Soldaten und zwei mullahs. »Denk an den glücklichsten Tag deines Lebens!«