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»Zaki-Omar konnte auch ein liebenswerter Mann sein«, sagte Karim.

Er schenkte Rob ein leichtes, ausdrucksloses Lächeln.

Zwei Soldaten ergriffen seine Arme. Rob folgte ihm bis in den Hof, über dem die pralle Sonne brütete. Karims Knie gaben beim Gehen nach, aber ein unbeteiligter Zuschauer mußte annehmen, daß dies eine Folge der Angst war.

Etwas Schreckliches lag schon zu Füßen einer schwarzgekleideten Gestalt auf dem blutdurchtränkten Boden, aber das buing schlug den mullahs ein Schnippchen: Karim bemerkte Despina nicht. Karims Augen waren glasig, als ihn die Soldaten vorführten. Es kam zu keinem Abschiedswort. Der Hieb des Henkers kam schnell und sicher. Seine Schwertspitze traf jedoch das Herz und führte sofort den Tod herbei, weil er bestochen worden war.

Es war Robs Aufgabe, Despina und Karim zu einem Friedhof außerhalb der Stadtmauern bringen zu lassen. Als das Begräbnis vorbei war, trank Rob den Rest des Gemisches in der Flasche aus und überließ es dem braunen Wallach, ihn nach Hause zu bringen. Als sie sich jedoch dem Hause des Paradieses näherten, zugehe er das Pferd und betrachtete den Palast. Er erschien ihm an diesem Tag besonders schön, die bunten Wimpel flatterten in der Frühlingsbrise, die Sonne blitzte auf den Standarten und Hellebarden und ließ die Waffen der Wachtposten funkeln.

Er konnte Aläs Stimme hören: Wir sind vier Freunde... Wir sind vier Freunde...

Er schüttelte die Faust. »Du Unwürdiger!«

Ein Offizier kam zu den Torposten hinunter. »Wer ist das? Kennt ihr ihn?«

»Ja. Ich glaube, es ist der hakim Jesse, der Dhimmi« Sie beobachteten die Gestalt auf dem Pferd, sahen, wie er noch einmal die Faust schüttelte, bemerkten die Weinflasche und die losen Zügel des Wallachs.

Der Offizier wußte, daß der Jude beim Vorstoß nach Indien zurückgeblieben war, um die Wunden der Soldaten zu behandeln. »Sein Kopf ist voll vom Trinken.« Er grinste. »Aber er ist kein schlechter Kerl. Laßt ihn in Ruhe!«

Sie sahen zu, wie das braune Pferd den Arzt zu den Stadttoren trug.

Die graue Stadt

Er war also das letzte überlebende Mitglied jener Abordnung aus Isfahan. Wenn er daran dachte, daß Mirdin und Karim unter der Erde

lagen, war es, als trinke er ein Gebräu aus Zorn, Schmerz und Trauer. Doch so abwegig es schien, ihr Tod versüßte dennoch sein Leben wie ein liebevoller Kuß. Er genoß nun die alltäglichen Freuden des Lebens bewußter: einen tiefen Atemzug, ein ausführliches Pissen, einen gemächlichen Furz.

Und das trotz der Tatsache, daß Isfahan ein düsterer Ort geworden war. Wenn Allah und der Imam Qandrasseh sogar den heldenhaften Läufer zugrunde richten konnten, welcher Mensch würde dann noch wagen, die vom Propheten erlassenen islamischen Gebote zu brechen? Die Huren verschwanden, und auf den maidans gab es nachts keine Ausschweifungen mehr. Mullahs patrouillierten zu zweit durch die Straßen und achteten genau darauf, ob ein Schleier vielleicht das Gesicht einer Frau zuwenig verdeckte, ob sich jemand auf den Ruf des muezzm hin zu langsam niederwarf oder ob der Besitzer eines Erfrischungshauses so ungeschickt war, Wein zu verkaufen. Sogar in der Jehuddijeh, wo die Frauen ihre Haare ohnedies sorgfältig bedeckten, begannen viele jüdische Frauen, den schweren muselmanischen Schleier zu tragen.

Jeden Morgen kamen mehr Gläubige zu Ibn Sinas Haus und beteten mit ihm, aber sobald er seine Andacht beendet hatte, kehrte der Arzt aller Ärzte jetzt in sein Haus zurück und wurde erst wieder gesehen, wenn es Zeit zum nächsten Gebet war. Er gab sich vollkommen der Trauer und Selbstbeobachtung hin und kam nicht mehr in den mari-stan, um zu unterrichten oder Kranke zu heilen. Diejenigen, die sich von einem Dhimmi nicht berühren lassen wollten, wurden von al-Juzjani behandelt, aber es waren nicht viele. Rob hatte deshalb alle Hände voll zu tun, weil er sich Ibn Sinas Patienten und den seinen widmen mußte.

Eines Morgens kam ein magerer alter Mann mit stinkendem Atem und schmutzigen Füßen ins Krankenhaus.

Qasim Ibn Sahdi hatte Stor-chenbeine mit knorrigen Knien und einen mottenzerfressenen, strähnigen weißen Bart. Er wußte nicht, wie alt er war, und hatte kein Zuhause, denn er hatte den größten Teil seines Lebens als Treiber bei der einen oder anderen Karawane zugebracht.

Er besaß keine Familie, aber Allah hielt seine Hand über ihn. »Ich kam gestern mit einer Karawane hier an, die Wolle und Datteln aus Qum brachte. Unterwegs befiel mich ein Schmerz wie ein böser djinni. «•

»Schmerz? Wo?«

Qasim stöhnte und hielt sich die rechte Seite.

Er wurde zu einem Strohsack geführt, wo er gewaschen wurde und eine leichte Mahlzeit bekam. Es war der erste Patient mit der Seitenkrankheit, den Rob in einem Frühstadium des Leidens beobachten konnte. Vielleicht wußte Allah, wie Qasim zu heilen war, Rob jedenfalls wußte es nicht.

Er verbrachte Stunden in der Bibliothek. Schließlich fragte ihn Jussuf-al-Gamal, der Hüter des Hauses der Weisheit, höflich, was er so emsig

suche.

»Das Geheimnis der Seitenkrankheit. Ich versuche Berichte von alten Ärzten zu finden, die den menschlichen Bauch geöffnet haben, bevor es verboten wurde.«

Der ehrwürdige Bibliothekar blinzelte und nickte freundlich. »Ich werde versuchen, Euch zu helfen. Laßt mich sehen, was ich finden kann«, versprach er.

Nach einigen Tagen vergingen Qasims Schmerzen, doch Rob wollte ihn nicht entlassen. »Wohin werdet Ihr von hier gehen?«

Der alte Treiber zuckte die Schultern. »Ich werde eine Karawane suchen, Hakim, denn dort bin ich zu Hause.«

»Nicht alle, die hierher kommen, können wieder gehen. Manche sterben, versteht Ihr.«

Qasim nickte ernst. »Alle Menschen müssen einmal sterben.«

»Wenn man die Toten wäscht und sie für das Begräbnis zurechtmacht, dient man Allah. Könntet Ihr eine solche Arbeit verrichten?«

»Ja, Hakim. Denn es ist Gottes Arbeit, wie Ihr sagt«, erklärte er feierlich. »Allah hat mich hierher gebracht, und vielleicht ist es Sein Wille, daß ich bleibe.«

Neben den beiden Räumen, die als Leichenhaus des maristan dienten, lag eine kleine Vorratskammer. Sie brachten sie in Ordnung und machten sie zu Qasim Ibn Sahdis Unterkunft.

»Ihr werdet Eure Mahlzeiten hier einnehmen, nachdem die Patienten gegessen haben, und Ihr könnt Euch in den Bädern des maristan waschen.«

»Ja, Hakim.«

Rob gab ihm eine Schlafmatte und eine Tonlampe. Der Alte rollte seinen abgenutzten Gebetsteppich auf und erklärte, daß der Raum die beste Wohnung sei, die er je gehabt habe.

Es dauerte fast zwei Wochen, bis Robs arbeitsreicher Zeitplan ihm erlaubte, Jussuf-al-Gamal im Haus der Weisheit aufzusuchen. Er brachte dem Bibliothekar als Anerkennung für die Hilfe ein Geschenk mit: einen Schilfkorb mit zarten Wüstendatteln. Sie aßen die Früchte spät am Abend im Haus der Weisheit; die Räume waren verlassen.

»Ich bin diesmal zeitlich so weit zurückgegangen, wie es mir möglich ist, bis in die Antike. Sogar die Ägypter, deren Balsamierungskunst Ihr kennt, lehrten, daß es böse und eine Entstellung der Toten ist, den Unterleib zu öffnen.«

»Aber... wie brachten sie ihre Mumien fertig?« »Sie waren Heuchler. Sie bezahlten verachtete Männer, die paraschi-sten hießen, für die Sünde, daß sie den verbotenen ersten Einschnitt ausführten. Sobald sie den Einschnitt gemacht hatten, flohen die paraschisten, damit man sie nicht steinigte. Dieses Schuldbekenntnis ermöglichte es den ehrbaren Einbalsamierern dann, die Organe aus dem Leib zu entfernen und mit der Konservierung fortzufahren.« »Haben sie die Organe studiert, die sie entfernt haben? Haben sie Schriften über ihre Beobachtungen hinterlassen?« »Sie haben fünftausend Jahre lang einbalsamiert, insgesamt fast eine dreiviertel Milliarde Menschen ausgeweidet, und sie haben die Eingeweide in Gefäßen aus Ton, Kalkstein oder Alabaster aufbewahrt oder sie einfach weggeworfen. Es gibt aber keinen Hinweis darauf, daß sie die Organe je studiert haben. Bei den Griechen war es anders. Es geschah übrigens ebenfalls im Niltal.« Jussuf nahm sich noch eine Dattel. »Alexander der Große stürmte neunhundert Jahre vor Mohammeds Geburt durch unser Persien wie ein schöner, jugendlicher Kriegsgott. Er eroberte die Welt, und am nordwestlichen Ende des Nildeltas, auf einem Landstrich zwischen dem Mittelmeer und dem See Mareotis, gründete er eine anmutige Stadt, der er seinen Namen verlieh. Zehn Jahre später starb er am Sumpffieber, aber Alexandria war bereits ein Zentrum der griechischen Kultur. Bei dem Zusammenbruch des hellenistischen Reiches fielen Ägypten und die neue Stadt an Ptolemaios von Mazedonien, einen der gelehrtesten Begleiter Alexanders. Ptolemaios errichtete das Museion von Alexandria, die erste Universität der Welt, und die große Bibliothek von Alexandria. Alle Wissenszweige blühten, aber die medizinische Schule zog die talentiertesten Studenten aus der ganzen Welt an. Zum ersten und einzigen Mal in der langen Geschichte der Menschheit stellte die Anatomie den Grundpfeiler der Medizin dar, und das Sezieren des menschlichen Körpers wurde in den folgenden dreihundert Jahren in großem Umfang praktiziert.« Rob beugte sich eifrig vor. »Dann ist es möglich, aus dieser Zeit Beschreibungen jener Krankheiten nachzulesen, die die inneren Organe befallen?«