Выбрать главу

Am nächsten Morgen durchdrang die Sonne den über dem größten Teil des persischen Heeres wirbelnden Sand.

Einige seien entkommen, und es hieß, daß A\äShahansha sich unter ihnen befinde, berichtete ein Kurier, aber das sei nicht sicher. »Was ist aus Ibn Sina geworden?« fragte al-Juzjani. »Ibn Sina hat die Armee lange vor der Ankunft in al-Karaj verlassen, Hakim«, sagte der Kurier. »Er wurde von einer schrecklichen Kolik geplagt, die ihn hilflos niederwarf. Deshalb brachte ihn der jüngste Arzt seiner Feldschere, ein gewisser Bibi al-Ghüri, in die Stadt Hamadhan, wo Ibn Sina noch das Haus seines Vaters besitzt.« »Ich kenne das Haus«, bestätigte al-Juzjani.

Rob wußte, daß al-Juzjani hinreisen würde. »Laßt mich mitkommen!« bat er ihn.

Einen Moment lang sprach aus den Augen des älteren Arztes Eifersucht, doch die Vernunft siegte schnell, und er nickte. »Wir werden uns sofort auf den Weg machen«, beschloß er.

Sie mußten einen Umweg nach Osten in Kauf nehmen, um den Kämpfen auszuweichen, die, soviel sie wußten, noch in der Umgebung von Hamadhän ausgefochten wurden. Aber als sie die Hauptstadt erreichten, von der die Region ihren Namen hatte, wirkte Hamadhän verschlafen und friedlich. Nichts deutete auf das große Gemetzel hin, das sich in einer Entfernung von nur wenigen Meilen abgespielt hatte.

Während sie sich dem Haus näherten, fand Rob, daß es besser zu Ibn Sina paßte als der große Besitz von Isfahan. Das aus Lehm und Steinen erbaute Haus war wie die Kleidung, die Ibn Sina immer trug, unauffällig fast und schäbig, aber bequem.

Im Inneren jedoch schlug ihnen der Gestank der Krankheit entgegen. Al-Juzjani ersuchte Rob in einem Anflug von Eifersucht, vor dem Zimmer zu warten, in dem Ibn Sina lag. Einen Augenblick später vernahm Rob murmelnde Stimmen, dann zu seiner Überraschung und Bestürzung das unverkennbare Geräusch einer Ohrfeige.

Der junge Medicus namens Bibi al-Ghüri kam aus dem Zimmer. Sein Gesicht war weiß, und er weinte. Er eilte grußlos an Rob vorbei und stürzte aus dem Haus.

Bald darauf kam al-Juzjani, dem ein älterer mullah folgte, heraus. »Der junge Scharlatan hat Ibn Sina auf dem Gewissen. Als sie hier eintrafen, verabreichte al-Ghüri dem Meister Selleriesamen gegen die Blähungen. Aber statt zwei düng Samen gab er ihm fünf mescal, und seither hat Ibn Sina große Mengen von Blut ausgeschieden.«

Ein mescal entsprach sechs dung; das bedeutete, daß Ibn Sina das Fünfzehnfache der empfohlenen Dosis des starken Abführmittels verabreicht worden war.

Al-Juzjani sah Rob an. »Ich war Mitglied der Prüfungskommission, die al-Ghüri durchkommen ließ«, sagte er bitter. »Ihr konntet nicht in die Zukunft schauen und diesen Fehler voraussehen«, tröstete ihn Rob.

Aber al-Juzjani ließ sich nicht trösten. »Was für eine grausame Ironie des Schicksals«, klagte er, »daß der große Arzt von einem unwürdigen hakim getötet wird!« »Ist der Meister bei Bewußtsein?«

Der mullah nickte. »Er hat seine Sklaven freigelassen und sein Vermögen den Armen geschenkt.« »Darf ich hineingehen?« Al-Juzjani nickte.

Im Zimmer erschrak Rob. In den vier Monaten, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte, war Ibn Sinas Fleisch geschmolzen. Seine geschlossenen Augen waren eingesunken, sein Gesicht war eingefallen, und seine Haut wächsern.

Al-Ghüris Behandlung hatte ihm geschadet, aber sie hatte nur die unvermeidlichen Folgen des Magenkrebses beschleunigt. Rob ergriff Ibn Sinas Hände und spürte so wenig Leben in ihnen, daß es ihm schwerfiel zu sprechen. Ibn Sina öffnete die Augen. Sie bohrten sich in die seinen. Er fühlte, daß sie seine Gedanken lesen konnten, es war unnötig, ihm etwas vorzumachen.

»Warum ist es so eingerichtet, Meister«, fragte Rob bitter, »daß ein Arzt trotz allem, was er tun kann, nur ein Blatt im Wind ist, und die wahre Macht doch bei Allah liegt?«

Zu seiner Verblüffung leuchteten die verfallenen Züge auf. Und plötzlich wußte er, warum Ibn Sina zu lächeln versuchte. »Ist das das Rätsel?« fragte er schwach.

»Es ist das Rätsel... mein Europäer. Ihr müßt den Rest Eures Lebens damit verbringen... es zu lösen.« »Meister?«

Ibn Sina hatte die Augen wieder geschlossen und antwortete nicht. Eine Zeitlang saß Rob schweigend neben ihm. »Ich hätte, ohne zu heucheln, anderswohin gehen können«, sagte er auf englisch. »Ins westliche Kalifat -

nach Toledo, Cordoba. Aber ich hatte von einem Mann namens Avicenna gehört, dessen arabischer Name mich berührte wie ein Zauber und mich erschütterte wie ein Fieber: Abu Ali al-Hussein Ibn Abdullah Ibn Sina.«

Der Arzt aller Ärzte konnte nicht mehr als seinen Namen verstanden haben, doch er öffnete die Augen wieder, und seine Finger übten einen leichten Druck auf Robs Hände aus. »Um den Saum Eures Gewandes zu berühren.

Des größten Arztes der Welt«, flüsterte Rob.

Das war der einzige Vater, den seine Seele je gekannt hatte. Er vergaß alles, worüber er sich geärgert hatte, und war sich nur eines Wunsches bewußt: »Ich bitte um Euren Segen.«

Die stockenden Worte, die Ibn Sina sprach, waren reines Arabisch, aber es war nicht notwendig, daß Rob sie verstand. Er wußte, dass Ibn Sina ihn schon lange vorher gesegnet hatte.

Er küßte den alten Mann zum Abschied. Als er ging, hatte sich der mullah wieder neben das Bett gesetzt, um laut aus dem Koran zu lesen.

Der König der Könige

Rob ritt allein nach Isfahan zurück. Al-Juzjani war in Hamadhän geblieben und hatte ihm erklärt, daß er mit seinem sterbenden Meister während der letzten Tage allein sein wolle. »Wir werden Ibn Sina nie wiedersehen«, eröffnete Rob Mary sanft, als er nach Hause zurückkam, und sie wandte das Gesicht ab und weinte wie ein Kind.

Sobald er sich ausgeruht hatte, eilte er in den maristan. Ohne Ibn Sina oder al-Juzjani befand sich das Krankenhaus schnell in Auflösung, und es gab viel zu erledigen. So verbrachte er einen langen Tag damit, Patienten zu untersuchen und zu behandeln, über Wunden zu dozieren und - eine unangenehme Aufgabe - mit Hadschi Davout Hosein über die allgemeine Verwaltung der Schule zu beraten. In dieser Nacht waren Marys Augen rot und geschwollen, und sie und Rob klammerten sich mit einer Zärtlichkeit aneinander, die sie schon beinahe vergessen hatten.

Als er am Morgen das kleine Haus in der Jehuddijeh verließ, spürte er in der Luft die Veränderung wie die Feuchtigkeit eines englischen Gewitters.

Auf dem jüdischen Markt waren die meisten Läden ungewöhnlich leer, und Hinda packte fieberhaft ihre Waren zusammen. »Was ist los?«

»Die Afghanen!«

Er ritt zur Mauer. Als er die Treppe hinaufstieg, war die Mauerkrone von merkwürdig schweigenden Menschen besetzt, und er erkannte sofort die Ursache ihrer Angst: Die Streitmacht aus Ghazna stand in voller Kriegsstärke vor den Toren. Masüds Fußsoldaten füllten die Hälfte der kleinen Ebene im Westen der Stadt. Die Pferde- und Kamelreiter hatten ihr Lager auf den Vorbergen aufgeschlagen, und auf den höheren Hängen waren in der Nähe der einfachen Zelte und der Prunkzelte der Adeligen und Befehlshaber, deren Standarten im trockenen Wind flatterten, die Kriegselefanten angepflockt. In der Mitte des Lagers schwebte über allem das schlangenförmige Banner der Ghaznaniden-Familie, ein schwarzer Leopardenkopf in einem orangefarbenen Feld.

Rob schätzte, daß das Ghazna-Heer viermal so groß war wie jenes, das Masüd auf seinem Weg nach Westen durch Isfahan geführt hatte.

»Warum sind sie nicht in die Stadt eingedrungen?« fragte er einen Untergebenen des kelonter.

»Sie haben Alä bis hierher verfolgt. Er befindet sich innerhalb der Stadtmauern.«

»Und warum sollten sie deshalb draußen bleiben?«

»Masüd verlangt, daß Alä von seinem eigenen Volk verraten wird.

Wenn wir den Schah ausliefern, wird er unser Leben schonen. Wenn wir nicht dazu bereit sind, droht er aus unseren Gebeinen auf dem zentralen maidan einen Haufen zu errichten.«