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Rufus, ein gesetzter Mann, der etwa zehn Jahre älter war als Rob, strich sich mit der Hand durch sein schütter werdendes Haar und nickte recht freundlich. »Es wird an jedem ersten Montag des Monats zur Zeit des Abendessens im Raum über der >Illingsworth's Tavern< auf dem Cornhill abgehalten. Es dient uns hauptsächlich als Vorwand, um zu schlemmen. Jeder bezahlt für sein Essen und Trinken selbst.«

»Muß man eingeladen sein?«

»Keineswegs. Das Lyceum steht allen Londoner Ärzten offen. Aber wenn Euch eine Einladung lieber ist, lade ich Euch hiermit ein.« Rob dankte Rufus lächelnd und verabschiedete sich. So begab er sich also am ersten Montag des nassen neuen Jahres in »Illingworth's Tavern«, wo er zahlreiche Ärzte antraf. Sie saßen an Tischen, unterhielten sich lächelnd, hatten Getränke vor sich stehen, und als er eintrat, blickten sie ihn mit der verstohlenen Neugierde an, die eine Gruppe immer einem Neuankömmling entgegenbringt. Der erste, den er erkannte, war Hunne, der die Stirn runzelte, als er Robs ansichtig wurde, und seinen Kollegen etwas zuraunte.

Aber Aubrey Rufus saß an einem anderen Tisch und bedeutete Rob, sich zu ihm zu setzen. Er stellte ihm die vier anderen Tischgenossen vor und erwähnte, daß Rob erst vor kurzem in die Stadt gekommen sei und sich in der Thames Street niedergelassen habe. »Bei wem habt Ihr studiert?« fragte ein Mann namens Brace. »Ich war bei einem Medicus namens Heppmann in der ostfränkischen

Stadt Freising tätig.« Als Tarn in Freising krank darniederlag, hatte ihr Wirt Heppmann geheißen. »Und wie lang hat die Ausbildung gedauert?« »Sechs Jahre.«

Nach der Mahlzeit stellte sich heraus, daß Brace an diesem Abend der Vortragende war. Er sprach über das Schröpfen und ermähnte seine Kollegen, das Schröpfglas hinreichend zu erwärmen, weil die Wärme im Glas das schlechte Blut an die Hautoberfläche ziehe, wo es durch Aderlassen abgezapft werden könne.

»Die Patienten müssen davon überzeugt sein, daß das wiederholte Schröpfen und Aderlassen Heilung bringt, so daß sie Euren Optimismus teilen«, riet Brace.

Der Vortrag war schlecht vorbereitet, und Rob wurde aus der anschließenden Diskussion klar, daß der Bader ihm, als er elf Jahre alt gewesen war, über Aderlassen und Schröpfen mehr beigebracht hatte, als die meisten dieser Ärzte wußten.

So wurde das Lyceum rasch zu einer Enttäuschung. Die Teilnehmer schienen nur an Honorare zu denken. Rufus zog den Vorsitzenden, einen königlichen Arzt namens Dryfield, sogar neiderfüllt auf, weil dieser jedes Jahr ein Gehalt und ein neues Gewand erhielt. »Man kann für ein Gehalt heilen, ohne dem König zu dienen«, warf Rob ein. Nun wurden sie aufmerksam. »Wie ist das möglich?« fragte Dryfield. »Ein Medicus kann für ein Krankenhaus arbeiten, für ein Haus des Heilens, das den Kranken und der Erforschung der Krankheiten gewidmet ist.«

Manche blickten ihn verständnislos an, aber Dryfield nickte. »Eine Idee aus dem Orient, die langsam an Boden gewinnt. Man hört von einem neuen Krankenhaus in Salerno, und das Hotel Dieu in Paris besteht schon lange.

Aber ich muß Euch warnen: Die Menschen werden ins Hotel Dieu eingeliefert, um zu sterben, und sie werden dort vergessen; es ist ein höllischer Ort.«

»Krankenhäuser müssen nicht so sein wie das Hotel Dieu«, widersprach Rob, den es quälte, daß er ihnen nicht vom maristan erzählen

konnte.

Da mischte Hunne sich ein. »Vielleicht funktioniert dergleichen bei den ungewaschenen Völkern, aber englische Ärzte sind geistig unabhängiger und sollten ihre Geschäfte selbständig führen.«

»Die Medizin ist sicherlich mehr als ein Geschäft«, widersprach Rob sanft.

»Sie ist weniger als ein Geschäft«, konterte Hunne, »wenn die Honorare so niedrig sind wie jetzt und zudem ständig neue Windbeutel in London eintreffen. Wieso haltet Ihr sie für mehr als ein Geschäft?« »Sie ist eine Berufung, Master Hunne«, antwortete Rob, »so wie Geistliche von Gott für die Kirche berufen werden.« Brace meckerte. Doch der Vorsitzende hüstelte, denn er hatte genug von dem Streit. »Wer wird nächsten Monat den Vortrag halten?« fragte er.

Stille trat ein.

Rob wußte, daß es ein Fehler war, sich beim ersten Treffen anzubieten. Aber niemand meldete sich, und schließlich erklärte er: »Ich werde den Vortrag halten, wenn es Euch genehm ist.«

Dryfield zog die Augenbrauen hoch. »Und über welches Thema, Master?«

»Ich werde über die Seitenkrankheit sprechen.« »Über die Seitenkrankheit? Master... Crowe war doch Euer Name?« »Cole.«

»Master Cole, ein Vortrag über die Seitenkrankheit wäre ausgezeichnet«, strahlte der Vorsitzende.

Julia Swane, die als Hexe angeklagt war, gestand. Man hatte das ' Hexenmal im weichen, weißen Fleisch ihres Armes, dicht unterhalb der linken Schulter, gefunden. Ihre Tochter Glynna bezeugte, daß Julia sie festgehalten und gelacht habe, während sie von jemandem sexuell mißbraucht wurde, den sie für den Satan gehalten habe.

Mehrere Opfer beschuldigten Julia, gezaubert zu haben. Während die Hexe an einen Stuhl gefesselt wurde, um in die eisige Themse getaucht zu werden, entschloß sie sich, alles zu gestehen, und nun arbeitete sie mit den kirchlichen Fanatikern des Bösen zusammen, die sie eingehend über die Hexenkunst befragten.

Rob versuchte, nicht an die Hexe zu denken. Er kaufte eine etwas dicke graue Stute und stellte sie im ehemaligen Egglestan-Stall ein, der jetzt einem Mann namens Thorne gehörte. Die Stute war nicht mehr jung und nichts Besonderes, aber er wollte sie auch nicht für das Ball-und-Stock-Spiel benutzen. Er ritt auf ihr zu Patienten, wenn er

gerufen wurde, andere fanden den Weg zu seiner Tür. Es war die Jahreszeit für Krupp, und wenn er auch gern persische Arzneien wie Tamarinde, Granatäpfel und pulverisierte Feigen verwendet hätte, bereitete er Heiltränke aus den Krautern und Mitteln zu, die ihm zur Verfügung standen: in Rosenwasser eingeweichter Portulak zum Gurgeln für entzündete Kehlen, einen Aufguß aus getrockneten Veilchen zur Linderung von Kopfschmerzen und Fieber sowie Fichtenharz mit Honig, das gegen Schleim und Husten eingenommen wurde. Ein Mann, der sich Thomas Hood nannte, suchte ihn auf. Er hatte rötliches Kopf- und Barthaar, eine bläulich geäderte Nase und kam Rob bekannt vor. Plötzlich wurde ihm klar, daß dieser Mann der Zuschauer bei dem Vorfall mit dem Juden und den beiden Seeleuten gewesen war. Hood beklagte sich über unbestimmte Krankheitssymptome im Mund, hatte aber weder Pusteln noch Fieber, noch einen geröteten Hals, und er war auch viel zu vital, um krank zu sein. Er stellte statt dessen unaufhörlich persönliche Fragen: Bei wem Rob gelernt habe. Ob er allein wohne. Was, keine Frau, kein Kind? Wie lang er schon in London sei. Woher er gekommen sei. Selbst ein Blinder hätte bemerkt, daß das kein Patient, sondern ein Schnüffler war. Rob erzählte ihm nichts, verschrieb ihm ein starkes Abführmittel, das Hood bestimmt nicht nehmen würde, und begleitete ihn zur Tür, ohne auf seine weiteren Fragen einzugehen. Aber der Besuch beunruhigte ihn doch sehr. Wer hatte Hood geschickt? In wessen Auftrag erkundigte er sich? Und war es nur Zufall, daß er beobachtet hatte, wie Rob die beiden Seeleute vertrieben hatte?

Am nächsten Tag erhielt er auf einige seiner Fragen Antwort, als.er den Kräuterhändler aufsuchte, um Ingredienzien für seine Heilmittel zu kaufen, und dort Aubrey Rufus traf, der aus dem gleichen Grund gekommen war.

»Hunne hetzt gegen Euch, wo und wann er nur kann«, erzählte ihm Rufus. »Ihr seid ihm zu dreist. Er findet, daß Ihr wie ein Rüpel und ein Gauner ausseht, und er bezweifelt, daß Ihr überhaupt Medicus seid. Er will jedem, der nicht bei englischen Ärzten ausgebildet wurde, die Mitgliedschaft im Lyceum verwehren.« »Was ratet Ihr mir?«