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Als Bruder Paulinus im Refektorium von St. Paul beim Abendessen saß, verließ sein leiblicher Bruder die Stadt London. Rob lenkte das schwerfällige Pferd über die schlammige Lincoln Road, die nach Norden führte. Furien jagten ihn, aber er entkam ihnen nie, weil er einige von ihnen in sich trug.

Eine vertraute Reise

In der ersten Nacht schlief er weich in einem Heuhaufen neben der Straße.

Am Morgen war er hungrig. Er wollte aber nicht in einem Bauernhaus um eine Mahlzeit bitten, weil man sich gut an ihn erinnert hätte, falls jemand nach ihm gefragt hätte. Er ritt lieber den halben Vormittag mit leerem Magen, bis er zu einem Dorf kam, wo er auf dem Marktplatz Brot und Käse kaufen konnte, um seinen Hunger zu stillen und Vorräte mitzunehmen.

Während er ritt, brütete er vor sich hin. Es war schlimmer, einen solchen Bruder zu finden, als ihn nie zu finden, und er fühlte sich betrogen und zurückgewiesen. Aber er sagte sich, daß er um William getrauert hatte, als sie sich einst aus den Augen verloren, daß er aber froh sein würde, den Paulinus mit den eisigen Augen nie wieder zu Gesicht zu bekommen. »Geh zum Teufel, Hilfsbischof von Worcester!« rief er.

Wenn er verfolgt würde, würden sie ihn auf den Hauptstraßen suchen, deshalb bog er von der Lincoln Road ab und folgte den Uferstraßen, die die an der Küste liegenden Dörfer miteinander verbanden. Er war mehrmals mit dem Bader hiergewesen. Diesmal trommelte er nicht, auch gab er keine Vorstellung noch suchte er Patienten, weil er befürchtete, daß Nachforschungen nach einem flüchtigen Medicus im Gang waren. In keinem Dorf erkannte jemand den jungen Baderchirurgen von damals. Es wäre unmöglich gewesen, in diesen Orten Eideshelfer zu finden. Er wäre verloren gewesen und wußte, daß er sich glücklich schätzen konnte, daß ihm die Flucht gelungen war. Die Trostlosigkeit schwand langsam, als ihm klar wurde, daß das Leben ihm noch unendlich viele Möglichkeiten bot.

Rob ging sparsam mit seinem Geld um. Wann immer man es ihm erlaubte, schlief er in warmen Scheunen auf Stroh und ging den Menschen aus dem Weg, doch wenn es sich nicht vermeiden ließ, übernachtete er in Gasthöfen. Eines Abends sah er in einem Wirtshaus in der Hafenstadt Middlesborough, wie zwei Seeleute sich eine Unmenge Ale zu Gemüte führten. Einer von ihnen, ein untersetzter, breit gebauter Mann mit schwarzem, von einer Zipfelmütze halb verdecktem Haar, schlug auf den Tisch. »Wir brauchen noch einen Mann. Wir segeln die Küste entlang zum Hafen Eyemouth in Schottland und fischen unterwegs Heringe.

Gibt es denn hier keinen Mann dafür?«

Die Taverne war halb voll, aber es herrschte Stille. Einige kicherten, doch keiner rührte sich.

Soll ich es wagen? fragte sich Rob. Ich würde um soviel schneller vorankommen.

Er trat zu ihnen. »Ist es Euer Boot?«

»Ja, ich bin der Kapitän. Ich heiße Nee. Und er Aldus.«

»Ich bin Jonsson«, stellte sich Rob vor. Der Name war so gut wie jeder andere.

Nee blickte zu ihm auf. »Ein großer Kerl.« Er ergriff Robs Hand, drehte sie um und tippte verächtlich auf die weiche Handfläche.

»Ich kann arbeiten.«

»Wir werden ja sehen«, meinte Nee.

Rob schenkte das Pferd am selben Abend in der Taverne einem Fremden, denn er hatte am nächsten Morgen keine Zeit mehr, es zu verkaufen, und das Tier hätte ihm ohnehin nicht viel eingebracht. Als er das verwitterte Heringsboot sah, dachte er, daß es ebenso alt und so jämmerlich war wie das Pferd. Aber Nee und Aldus hatten den Winter gut genutzt. Die Fugen des Bootes waren ordentlich mit Werg gedichtet und geteert, es ritt leicht auf der Dünung.

Bald nachdem sie ausgelaufen waren, wurde Rob übel. Er beugte sich über Bord und erbrach, während die beiden Fischer fluchten und drohten, ihn ins Meer zu werfen. Er zwang sich, trotz der Übelkeit und des Brechreizes zu arbeiten. Nach einer Stunde warfen sie das Netz aus und schleppten es hinter sich her, während sie weitersegelten, und dann holten sie es zu dritt ein. Es war triefend naß und leer. Immer wieder warfen sie es aus und holten es ein, aber sie fingen nur wenige Fische darin, und Nee wurde reizbar und unangenehm. Rob war davon überzeugt, daß nur seine Größe sie davon abhielt, ihn zu

mißhandeln.

Das Abendessen bestand aus hartem Brot, Räucherfisch voller Gräten und Wasser, das nach Hering schmeckte.

Rob versuchte ein paar Bissen hinunterzuwürgen, erbrach sie aber sofort wieder. Zu allem Überfluß bekam Aldus Durchfall und benutzte den Abfalleimer, der zu einer Zumutung für Augen und Nase wurde. Jemanden, der lange in einem Krankenhaus gearbeitet hatte, ließ so etwas freilich kalt, und Rob entleerte den Eimer und spülte ihn mit Meerwasser, bis er sauber war. Vielleicht überraschte diese freiwillig übernommene Dreckarbeit die anderen beiden, denn von da an verwünschten sie ihn nicht mehr. In der Nacht fror er, und während das Boot in der Dunkelheit stampfte und gierte, kroch Rob immer wieder zum Rand des Bootes, bis er nichts mehr im Magen hatte, was er erbrechen konnte. Am Morgen begann die trostlose Routine wieder, aber als sie das Netz zum sechstenmal einholten, hatte sich etwas geändert. Als sie am Netz zogen, schien es sich verhängt zu haben. Langsam und mühevoll holten sie es ein, und endlich ergoß sich aus ihm ein silbriger, zappelnder Strom.

»Jetzt haben wir die Heringe gefunden!« frohlockte Nee. Dreimal kam das Netz voll herein, dann mit geringeren Mengen, und als sie keinen Platz mehr für die Fische hatten, steuerten sie vor dem Wind an Land.

Am nächsten Morgen wurde der Fang von Händlern übernommen, die ihn teils frisch, teils sonnengetrocknet oder geräuchert verkaufen wollten, und sobald das Boot ausgeladen war, stachen sie wieder in See.

Robs Hände bekamen Blasen, sie schmerzten, und schließlich wuchsen ihm Schwielen. Das Netz zerriß, und er lernte, wie man die Knoten richtig knüpfte, um es zu flicken. Am vierten Tag verschwand die unangenehme Übelkeit, ohne daß er es merkte. Sie kam auch nicht wieder. Das muß ich Tarn erzählen, dachte er dankbar, als es ihm klar wurde.

Jeden Tag segelten sie die Küste entlang weiter nach Norden und legten immer wieder an, um den letzten Fang zu verkaufen, bevor er verderben konnte. Manchmal sah Nee in den Mondnächten einen Schwärm von Fischen, die winzig waren wie Regentropfen und aus dem Wasser sprangen, um einem jagenden Heringsschwarm zu entkommen. Dann warfen sie das Netz aus und schleppten es den Mondscheinstreifen entlang, um anschließend das Geschenk des Meeres einzuholen. Nee lächelte oft und sagte zu Aldus, daß Jonsson ihnen Glück gebracht habe. Wenn sie jetzt am Abend in einen Hafen einliefen, spendierte Nee seiner Besatzung Ale und eine warme Mahlzeit, und sie blieben bis spät auf und sangen. Zu den neuen Kenntnissen, die Rob sich als Seemann erwarb, gehörten auch etliche unanständige Lieder. »Du würdest einen guten Fischer abgeben«, lobte ihn Nee. »Wir werden fünf, sechs Tage in Eyemouth bleiben und die Netze ausbessern. Dann kehren wir nach Middlesborough zurück, denn das ist unsere Strecke, wir pendeln zwischen Middlesborough und Eyemouth und fangen Heringe. Möchtest du nicht bei uns bleiben?« Rob dankte ihm herzlich, sagte aber, er müsse sie in Eyemouth verlassen.

Wenige Tage später kamen sie dort an, sie legten in dem überfüllten, hübschen Hafen an, und Nee zahlte Rob mit ein paar Münzen und einem Schlag auf den Rücken aus. Als Rob erwähnte, daß er ein Pferd brauche, führte ihn Nee durch die Stadt zu einem ehrlichen Händler, der ihm zwei seiner Pferde empfahl, eine Stute und einen Wallach. Die Stute war bei weitem hübscher. »Ich hatte einmal Glück mit einem Wallach«, sagte jedoch Rob und beschloß, es wieder mit einem Wallach zu versuchen. Dieser war kein Araber, sondern ein unansehnliches englisches Pferd mit kurzen, zotteligen Beinen und einer verfilzten Mähne. Er war zwei Jahre alt, kräftig und lebhaft. Rob befestigte seinen Packen hinter dem Sattel, schwang sich auf das Tier und verabschiedete sich von Nee. »Ich wünsche dir einen reichen Fang.« »Geh mit Gott, Jonsson«, sagte Nee.