Der drahtige Wallach bereitete Rob Freude. Er war leistungsfähiger, als er aussah, und Rob beschloß, ihn AI Borak zu nennen, nach dem Pferd, das dem muselmanischen Glauben zufolge Mohammed von der Erde in den siebten Himmel getragen hatte.
Solange es warm war, versuchte er jeden Nachmittag bei einem See oder einem Fluß eine Pause einzulegen und AI Borak zu baden. Er bearbeitete die verfilzte Mähne mit den Fingern und bedauerte, daß er keinen kräftigen Holzkamm besaß. Das Pferd war unermüdlich, und die Straßen waren trocken, weshalb sie rascher vorankamen.
Rob folgte fünf Tage lang dem Tweed, dann bog der Fluß nach Süden ab, während Rob sich nach Norden wandte. Hier gab es nur wenige, weit voneinander entfernte Bauernhöfe. Bei manchen handelte es sich um ausgedehnte Besitzungen, andere waren bescheidene Katen. Fast alle aber waren gut instand gehalten, und die schöne Ordnung, in der sie sich befanden, konnte nur durch harte Arbeit erreicht werden.
Es war ein Gebiet, das den Menschen zwar gefallen mochte, eigentlich aber für Schafe und Kühe bestimmt war.
Während die Hügelkuppen meist kahl waren, bestanden die unteren Hänge aus saftigem Weideland. Alle Schäfer hielten hier Hunde, die Rob bald fürchten lernte. Eine halbe Tagesreise hinter Cumnock bat er in einem Bauernhof um die Erlaubnis, in dieser Nacht im Heu schlafen zu dürfen, und er erfuhr, daß am vorhergehenden Tag ein Hund der Bauersfrau eine Brust abgerissen hatte.
»Gott sei gelobt!« flüsterte ihr Mann, als Rob erklärte, daß er Medicus sei.
Die Patientin war eine kräftige Frau mit erwachsenen Kindern und schien vor Schmerzen ganz außer sich zu sein. Es mußte sich um einen wilden Angriff gehandelt haben, denn sie sah aus, als wäre sie von einem Löwen gebissen worden. »Wo ist der Hund?«
»Den Hund gibt es nicht mehr«, knurrte der Mann grimmig. Sie zwangen die Frau, Kornschnaps zu trinken. Er nahm ihr zwar den Atem, half ihr aber, als Rob das zerrissene Fleisch zurechtstutzte und die Wunde nähte. Er nahm an, daß sie auch ohne ihn überlebt hätte, aber es ging ihr dank seiner Hilfe zweifellos besser. Er hätte sie einen oder zwei Tage beobachten müssen, blieb aber eine Woche, bis ihm eines Morgens klar wurde, daß er nicht weiterzog, weil Kilmarnock nahe war und er Angst davor hatte, am Ende seiner Reise anzulangen. Er sagte dem Mann, wohin er reisen wollte, und der Mann zeigte ihm den besten Weg.
Zwei Tage später dachte er wieder an die Wunden der Frau, als ein großer, knurrender Köter seinem Pferd den Weg versperrte. Er hatte schon halb sein Schwert gezogen, als das Tier zurückgerufen wurde.. Der Schäfer sagte auf gälisch etwas Unfreundliches zu Rob. »Ich verstehe Eure Sprache nicht.« »Ihr seid auf dem Besitz der Cullens.« »Hierher wollte ich.« »Ja? Warum denn?«
»Das werde ich Mary Cullen sagen.« Rob blickte ihn abschätzend an. Der Schäfer war noch jung, aber wettergegerbt, hatte graues Haar und war wachsam wie ein Hund. »Wer seid Ihr?«
Der Schotte erwiderte seinen Blick und wußte anscheinend nicht, ob er antworten solle. »Craig Cullen«, sagte er schließlich. »Ich heiße Cole. Robert Cole.«
Der Schäfer nickte und wirkte weder überrascht noch freundlich. »Am besten, Ihr folgt mir«, sagte er und setzte sich in Bewegung. Rob hatte nicht gesehen, ob der Schäfer dem Hund ein Zeichen gegeben hatte, aber das Tier blieb zurück und hielt sich dicht hinter dem Pferd, so daß er zwischen dem Mann und dem Hund ritt, wie ein Landstreicher, den sie in den Hügeln aufgestöbert hatten und ablieferten. Haus und Scheune waren aus Stein, vor langer Zeit fest gebaut. Kinder starrten ihn an und flüsterten, als er in den Hof ritt, und er brauchte einen Augenblick, bis er merkte, daß seine Söhne unter ihnen waren. Tarn sagte leise auf gälisch etwas zu seinem Bruder. »Was hat er gesagt?«
»Er hat gefragt: >Ist das unser Pa?< Und ich habe geantwortet: >Ja.<« Rob lächelte und wollte sie in die Höhe heben, doch sie kreischten und liefen mit den anderen Kindern davon, als er sich aus dem Sattel schwang. Tarn hinkte noch, konnte aber ohne Schwierigkeiten laufen. »Sie sind nur schüchtern. Sie werden zurückkommen«, sagte Mary von der Tür her. Sie hielt das Gesicht abgewendet und wollte seinem Blick nicht begegnen. Er dachte zuerst, sie freue sich nicht, ihn wiederzusehen. Dann aber flog sie in seine Arme, in denen sie sich so wohl fühlte. Hätte sie einen anderen Mann gehabt, hätte er schon im Scheunenhof merken müssen, woran er war.
Rob küßte sie und entdeckte, daß ihr ein Zahn fehlte, vorne rechts im Oberkiefer.
»Ich habe eine Kuh in den Stall bringen wollen und bin ausgeglitten und auf ihre Hörner gefallen.« Sie weinte.
»Ich bin alt und häßlich.« »Ich habe keinen verdammten Zahn geheiratet.« Sein Ton war rauh, aber er berührte die Zahnlücke sanft mit der Fingerspitze, und er spürte die feuchte, warme Geschmeidigkeit ihres Mundes, als sie an seinem Finger saugte. »Ich habe keinen verdammten Zahn in mein Bett genommen«, ergänzte er, und obwohl ihre Augen noch feucht schimmerten, lächelte sie.
»Komm in dein Weizenfeld!« forderte sie ihn auf. »Hinunter auf die Erde zu Mäusen und allerlei kriechendem Gewürm wie ein Bock, der ein Schaf bespringt.« Sie wischte sich die Augen ab. »Du wirst müde und hungrig sein«, lenkte sie ab und führte ihn in das Küchenhaus. Es war merkwürdig für ihn, daß sie hier so daheim waren.
Sie brachte ihm Haferkuchen und Milch, und er erzählte ihr von seinem Bruder, den er gefunden und verloren hatte, und von seiner Flucht aus London.
»Wie seltsam und traurig für dich... Wenn das nicht geschehen wäre, wärst du dann zu mir gekommen?«
»Früher oder später.« Sie lächelten einander immer noch an. »Es ist ein schönes Land«, stellte er fest. »Aber rauh.«
»Bei warmem Wetter ist es freundlicher. Ehe wir es merken, wird es Zeit zum Pflügen sein.«
Er konnte den Haferkuchen nicht mehr schlucken. »Es ist schon jetzt Zeit zum Pflügen.«
Sie errötete noch immer leicht, eine Eigenart, die sie nie ablegen würde. Während sie ihn zum Hauptgebäude führte, versuchten sie, einander umschlungen zu halten, aber das Ergebnis war, daß jeder über die Beine des anderen stolperte. Bald lachten sie so heftig, daß er befürchtete, es würde sie beim Lieben stören, doch es stellte sich schnell heraus, daß es kein Hindernis war.
Lammzeit
Am nächsten Morgen zeigte sie ihm den riesigen, hügeligen Besitz, wobei jeder ein Kind vor sich im Sattel sitzen hatte. Überall gab es Schafe, die schwarze Gesichter, weiße Gesichter und braune Gesichter vom frischen Gras hoben, wenn die Pferde vorbeitrabten. Sie führte ihn weit herum und zeigte ihm alles voll Stolz. In der näheren Umgebung des großen Besitzes befanden sich siebenundzwanzig kleine Anwesen. »Alle Kleinbauern sind meine Verwandten.« »Wie viele Männer gibt es insgesamt?« »Einundvierzig.« »Deine ganze Sippe ist also hier versammelt?«
»Die Cullens sind hier. Die Tedders und die MacPhees sind auch mit uns verwandt. Die MacPhees leben einen halben Tagesritt von uns in den niedrigen Hügeln im Osten. Die Tedders leben einen Tagesritt im Norden von uns, jenseits der Schlucht und des großen Flusses.« »Wie viele Männer zählen die drei Familien?« »Vielleicht hundertfünfzig.«
Er schob die Lippen vor. »Du hast eine eigene Armee.« »Ja. Das ist beruhigend.«
Er hatte den Eindruck, daß es hier Schafe wie Sand am Meer gab. »Wir halten die Herden wegen der Wolle und der Häute. Das Fleisch verdirbt schnell, deshalb essen wir alles gleich auf. Du wirst bald genug vom Hammelfleisch haben.«