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An diesem Morgen wurde er in den Familienbetrieb eingeführt. »Die Frühjahrsgeburten haben schon begonnen«, erzählte Mary, »und jeder von uns muß Tag und Nacht den Mutterschafen helfen. Die Lämmer für die Häute müssen zwischen dem dritten und dem zehnten Lebenstag getötet werden, weil die Felle da am schönsten sind.«

Sie überließ ihn Craig und verschwand. Nach einigen Stunden hatten ihn die Schäfer akzeptiert, denn er blieb auch bei den schwierigsten Geburten ruhig und wußte, wie man ein Messer schleift und damit umgeht.

Entsetzt war er darüber, wie sie neugeborene männliche Lämmer kastrierten. Sie bissen einfach die zarten Geschlechtsdrüsen ab und spuckten sie in einen Eimer. »Warum tut ihr das?« fragte er. Craig grinste ihn mit blutverschmiertem Mund an. »Man muß die Eier entfernen. Wir können nicht so viele Böcke brauchen.«

»Warum verwendet ihr kein Messer?«

»Es wurde schon immer auf diese Weise gemacht. Es geht am schnellsten und bereitet den Lämmern die wenigsten Schmerzen.« Rob ging zu seinem Packen, nahm ein Skalpell aus gemustertem Stahl heraus, und bald gaben Craig und die anderen Schäfer widerwillig zu, daß diese Methode auch recht gut funktionierte. Er verschwieg ihnen jedoch, daß er vor allem deshalb gelernt hatte, schnell und geschickt zu arbeiten, um Männern, die zu Eunuchen bestimmt waren, unnötige Schmerzen zu ersparen.

Er nahm schnell wahr, daß die Schäfer freie Männer waren, die über unentbehrliche Kenntnisse verfügten.

»Kein Wunder, daß du mich genommen hast«, scherzte er später. »Jeder andere Mann in diesem verdammten Land ist dein Verwandter.«

Sie lächelte müde, denn sie hatte den ganzen Tag Schafe abgehäutet. Der Raum stank nach Schafen, aber auch nach Blut und Fleisch, und das waren für ihn keine unangenehmen Gerüche, weil sie ihn an den maristan und die Krankenzelte in Indien erinnerten. »Jetzt bin ich hier, und du brauchst einen Schäfer weniger«, sagte er zu ihr, und ihr Lächeln verschwand. »Seht!« sagte sie scharf. »Bist du verrückt geworden?« Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn aus dem Abdeckraum zu einem aus Steinen errichteten Nebengebäude. Darin befanden sich drei weißgetünchte Räume. Einer war ein Apothekenraum. Einer war sichtlich als Untersuchungsraum eingerichtet worden, mit Tischen und Schränken wie in seinem Behandlungsraum in Isfahan. Im dritten Raum standen Holzbänke, auf denen die Patienten sitzen würden, während sie darauf warteten, daß der Medicus sie hereinrief.

Er fing an, die einzelnen Leute näher kennenzulernen. Ein Mann namens Ostric war Musiker. Ein Abdeckmesser war abgeglitten und hatte eine Arterie in Ostrics Unterarm durchschnitten. Rob brachte die Blutung zum Stillstand und schloß die Wunde. »Werde ich wieder den Dudelsack spielen können?« fragte Ostric besorgt. »Es ist der Arm, der das Gewicht der Pfeifen trägt.«

»In ein paar Tagen merkt Ihr nichts mehr davon«, versicherte ihm Rob.

Einige Tage später ging er durch den Gerbschuppen, in dem die Felle gebeizt wurden, und er sah Craig Cullens alten Vater Malcolm, einen Vetter Marys. Er blieb stehen, musterte die verdickten, geschwollenen Fingerspitzen des Mannes und sah, daß seine Fingernägel seltsam verkrümmt waren.

»Ihr habt lange Zeit einen schlimmen Husten gehabt. Und häufig Fieber«, sagte er leise zu dem alten Mann.

»Wer hat Euch das verraten?« fragte Malcolm Cullen.

Es war ein Zustand, den Ibn Sina »hippokratische Finger« genannt hatte, und er deutete immer auf eine Erkrankung der Lunge hin. »Ich sehe es an Euren Händen. Eure Zehen sehen genauso aus, nicht wahr?« Der alte Mann nickte. »Könnt Ihr etwas für mich tun?« »Ich weiß es nicht.« Er legte das Ohr an Malcolms Brust und hörte ein rasselndes Geräusch.

»Eure Lunge ist voller Flüssigkeit. Kommt einmal am Morgen in meine Apotheke. Ich werde zwischen zwei Rippen ein kleines Loch bohren und Wasser abzapfen, jedesmal ein wenig. Inzwischen werde ich mir auch Euren Harn ansehen und die Entwicklung der Krankheit beobachten. Ich werde Euch auch Ausräucherungen und eine Diät verschreiben, um Euren Körper auszutrocknen.« An diesem Abend sagte Mary lächelnd zu ihm: »Du hast den alten Malcolm behext. Er erzählt jedem, daß du magische Heilkräfte besitzt.«

»Ich habe noch nichts für ihn getan.«

Am nächsten Tag blieb er der einzige in der Apotheke. Weder Malcolm noch sonst jemand war erschienen. Auch am nächsten Morgen nicht. Als er sich darüber beklagte, schüttelte Mary den Kopf. »Sie werden erst kommen, wenn die Lammzeit zu Ende ist, das ist ihre Art.« Es stimmte. Noch weitere zehn Tage lang kam niemand. Dann während der ruhigen Zeit zwischen dem Lammen und dem Scheren öffnete er eines Morgens die Tür zu seiner Apotheke, und alle Bänke waren mit Kranken besetzt. Der alte Malcolm wünschte ihm einen schönen Tag.

Von nun an kamen sie pünktlich jeden Morgen, denn in den Schluchten und Tälern zwischen den Hügeln verbreitete sich rasch die Kunde, daß Mary Cullens Mann ein wirklicher Heiler war. Es hatte in Kilmarnock noch nie einen Medicus gegeben, und er erkannte, daß er Jahre brauchen würde, um die Selbstbehandlungen abzustellen. Außerdem brachten sie ihre kranken Tiere mit, oder wenn ihnen das nicht möglich war, holten sie ihn unbekümmert in ihre Schuppen. So lernte er die Fußfäule und die Maulseuche der Schafe sehr genau kennen.

Wenn sich die Gelegenheit ergab, sezierte er eine Kuh und einige Schafe, um zu wissen, was er tat. Er stellte fest, daß sie anders aussahen als Schweine und Menschen.

Im Dunkel ihres Schlafzimmers, wo sie die Nächte damit verbrachten, ein weiteres Kind zu zeugen, dankte er ihr für die Einrichtung der Apotheke, denn er hatte erfahren, daß diese das erste gewesen war, was sie bei ihrer Rückkehr nach Kilmarnock in Angriff genommen hatte. Sie beugte sich über ihn. »Wie lange würdest du ohne deine Arbeit bei mir bleiben, Medicus?« In ihren Worten lag kein Stachel, und sie küßte ihn, kaum daß sie sie ausgesprochen hatte.

Ein Versprechen wird eingelöst

Rob nahm seine Söhne mit in den Wald und in die Hügel, wo er die Pflanzen und Krauter ausfindig machte, die er benötigte. Sie sammelten zu dritt die heilkräftigen Pflanzen, brachten sie nach Hause, trockneten sie und verrieben manche zu Pulver. Er unterrichtete seine Söhne sorgfältig, zeigte ihnen jedes Blatt und jede Blume. Er erzählte ihnen von den Krautern: welche gegen Kopfschmerzen und welche gegen Krämpfe verwendet wurden, welche bei Fieber und welche bei Katarrh, welche bei Nasenbluten und welche bei Frostbeulen, welche bei Halsentzündung und welche bei Knochenschmerzen angezeigt waren.

Craig Cullen war ein Löffelmacher und verwendete seine Fertigkeit auch dafür, Holzschachteln herzustellen, in denen Arzneikräuter sicher und trocken aufbewahrt werden konnten. Die Schachteln waren wie Craigs Löffel mit geschnitzten Elfen, Kobolden und wilden Geschöpfen aller Art verziert. Als Rob sie sah, kam er auf die Idee, einige der Figuren zu zeichnen, aus denen das Spiel des Schah bestanden hatte.

»Könntet Ihr so etwas anfertigen?« Craig blickte ihn belustigt an. »Warum nicht?«

Rob zeichnete jede Figur und das Schachbrett. Mit sehr wenig Anleitung schnitzte Craig alles, so daß Rob mit Mary jetzt wieder Stunden mit einem Zeitvertreib verbringen konnte, den ihn ein toter Herrscher gelehrt hatte.

Rob war entschlossen, Gälisch zu lernen. Mary besaß keine Bücher, begann aber, ihn zu unterrichten, und fing mit dem aus achtzehn Buchstaben bestehenden Alphabet an. Inzwischen wußte er, wie man vorgehen mußte, um eine fremde Sprache zu lernen, und er arbeitete

während des ganzen Sommers und Herbstes, so daß er zu Winterbeginn schon kurze Sätze auf gälisch schreiben konnte und zur Belustigung der Schäfer und seiner Söhne auch versuchte, gälisch zu sprechen. Wie sie erwartet hatten, war der Winter hart. Die bitterste Kälte setzte kurz vor Lichtmeß im Februar ein. Die Zeit danach gehörte den Jägern, denn der verschneite Boden half ihnen, Wildbret und Vögel aufzuspüren und Wildkatzen und Wölfe zu erlegen, die die Herden plünderten. Am Abend versammelten sich immer Leute in der Halle vor dem großen Kaminfeuer. Craig schnitzte, andere flickten Zaumzeug oder befaßten sich mit anderen häuslichen Arbeiten, die man in Gesellschaft und im Warmen besorgen konnte. Manchmal spielte Ostric auf seinem Dudelsack. In Kilmarnock wurde ein berühmter Wollstoff hergestellt, und sie färbten ihre beste Schurwolle in den Farben des Heidekrauts, indem sie mit von den Felsen gepflückten Flechten eine Lauge herstellten und die Wolle in ihr einweichten. Jeder webte in seinem Haus, doch kamen sie zum Walken, dem Einlaufenlassen des Stoffs, in der Halle zusammen. Der nasse Stoff, der in Seifenwasser getaucht worden war, wurde um den Tisch weitergereicht, und jede Frau klopfte und neb ihn. Dabei sangen sie Walklieder, und Rob fand, daß die Frauenstimmen und Ostrics Dudelsack einen einzigartigen Klang ergaben.