Als in der Feuerstelle die Flammen loderten, wärmten sie den Rest eines Schinkens auf, der sie schon die ganze Woche ernährt hatte. Das abgehangene Fleisch hatte einen starken Beigeschmack, und das Brot war schimmlig.
Es war keine Mahlzeit nach dem Geschmack des
Meisters. »Morgen müssen wir Vorräte anlegen«, brummte er misslaunig.
Rob nahm die Holzbälle und übte in dem flackernden Lichtschein kreuzweise Würfe. Es ging gut, aber schließlich landeten die Bälle doch auf dem Fußboden.
Der Bader zog einen gelben Ball aus der Tasche und warf ihn auf den Boden zu den anderen. Grün und braun, rot, blau. Und jetzt gelb.
Rob dachte an die Farben des Regenbogens und versank in tiefe Verzweiflung. Er blickte den Bader an. Er wusste, dass der Mann ihm den Widerstand, der vorher nicht da gewesen war, von den Augen ablesen konnte, doch er war nicht fähig, sich zu verstellen. »Wie viele noch?«
Der Bader verstand die Frage und die Verzweiflung. »Keine. Das ist der letzte«, antwortete er ruhig.
Sie arbeiteten, um sich auf den Winter vorzubereiten. Es war genug Holz vorhanden, aber ein Teil musste noch kleingehackt werden; man musste auch Holz zum Unterzünden sammeln, brechen und neben dem Herd aufschichten. In dem Haus gab es zwei Räume, einen zum Wohnen und den anderen für die Lebensmittelvorräte.
Der Bader wusste genau, wo sie die haltbarsten Vorräte bekamen. Sie kauften Rüben, Zwiebeln und einen Korb Kürbisse. In einem Obstgarten in Exeter pflückten sie ein Fass Äpfel mit goldener Schale und weißem Fleisch und brachten es mit dem Wagen nach Hause. Sie erstanden ein Fässchen gepökeltes Schweinefleisch. Ein benachbarter Bauer besaß ein Räucherhaus; sie kauften Schinken und Makrelen und ließen sie bei ihm gegen Bezahlung räuchern. Dann hängten sie sie zusammen mit einem gekauften Viertel von einem Hammel hoch und trocken auf. Der Bauer kannte nur Leute, die ihre Nahrung stahlen oder selbst erzeugten, und wunderte sich, dass ein einfacher Mann so viel Fleisch kaufte.
Rob hasste den gelben Ball. Der gelbe Ball war sein Ruin. Mit fünf Bällen zu jonglieren funktionierte von Anfang an nicht. Der Bader versuchte ihm zu helfen. »Du musst sie sehr rasch hochschnellen.« Als Rob es versuchte, war ihm, als ginge ein Regen herabfallender Bälle auf ihn nieder. Er haschte nach ihnen, doch sie fielen alle um ihn
herum und rollten in sämtliche Ecken. Der Bader lächelte: »Das wird deine Aufgabe für den Winter sein«, stellte er fest.
Das Wasser schmeckte bitter, weil der Brunnen hinter dem Haus unter einer dichten Schicht faulender Eichenblätter erstickte. Rob fand im Pferdeschuppen einen Holzrechen und holte große Haufen schwarzer, triefender Blätter heraus. Dann schaffte er Sand aus einer nahen Grube herbei und schüttete ihn in den Brunnen.
Als sich das aufgewühlte Wasser klärte, war es süß.
Der Winter kam schnelclass="underline" eine seltsame Jahreszeit. Rob liebte den richtigen Winter, während dem der Boden mit Schnee bedeckt war. In Exmouth regnete es dagegen die meiste Zeit, und wenn es schneite, schmolzen die Flocken sogleich auf der feuchten Erde. Es gab kein Eis außer dünnen Nadeln im Wasser, wenn er es aus dem Brunnen holte. Der Wind blies immer kalt und feucht vom Meer her, und auch im kleinen Haus war es sehr feucht. Nachts schlief er mit dem Bader im großen Bett. Zwar lag der Bader näher beim Feuer, aber sein mächtiger Leib strahlte für Rob genügend Wärme aus.
Rob begann langsam, das Jonglieren zu hassen. Er nahm jede Tätigkeit auf sich, um nicht üben zu müssen. Er trug das Nachtgeschirr hinaus, ohne dass es ihm aufgetragen wurde, und schrubbte den Topf jedes Mal. Er spaltete mehr Holz, als sie brauchen konnten, und füllte den Wasserkrug dauernd frisch. Er striegelte Tatus, bis das graue Fell des Pferdes glänzte, und flocht die Mähne des Tieres. Er durchsuchte das Fass mit Äpfeln, um verfaulte Früchte auszulesen. Er hielt das Haus noch sauberer als seinerzeit seine Mutter ihres in London. Am Ufer der Lyme-Bucht beobachtete er die weißen Wellen, die an den Strand schlugen. Der Wind wehte geradewegs vom schäumenden Meer her, so dass seine Augen tränten. Der Bader merkte, wie er vor Kälte zitterte, und trug einer verwitweten Näherin namens Editha Lipton auf, aus einem seiner alten Kleidungsstücke für Rob einen warmen Kittel und eine enge Hose zu schneidern. Edithas Mann und ihre beiden Söhne waren während eines Sturms, der sie beim Fischen überrascht hatte, im Meer ertrunken. Sie war eine üppige Matrone mit freundlichem Gesicht und traurigen Augen. Sie wurde rasch des Baders Frau. Wenn er bei ihr im Ort blieb, lag Rob allein in dem großen Bett neben dem Feuer und tat so, als gehöre das ganze Haus ihm. Als es einmal graupelte und der Wind durch die
Spalten pfiff, verbrachte Editha die Nacht bei ihnen. Rob musste auf den Boden, wo er einen mit Tüchern umwickelten heißen Stein an sich drückte und Reste von dem Steifleinen der Näherin um die Füße
wickelte. Er hörte ihre leise, freundliche Stimme: »Sollte der Junge nicht zu uns ins Bett kommen, wo es wärmer ist?«
»Nein«, erwiderte der Bader.
Kurz darauf, als der Mann knurrend auf ihr bockte, glitt ihre Hand in der Dunkelheit herab und blieb auf Robs Kopf leicht wie bei einer Segnung liegen.
Er rührte sich nicht. Als der Bader mit ihr fertig war, zog sie ihre Hand zurück. Danach wartete Rob, wenn sie in des Baders Haus schlief, stets im Dunkeln am Boden neben dem Bett, doch sie berührte ihn nie wieder.
»Du machst keine Fortschritte«, tadelte ihn der Bader. »Gib acht. Der Wert meines Lehrlings besteht darin, dass er die Menge unterhält. Mein Junge muss ein Jongleur sein.«
»Genügt es nicht, wenn ich mit vier Bällen jongliere?« »Ein erstklassiger Jongleur kann sieben Bälle in der Luft halten. Ich kenne einige, die es zumindest mit sechs hinkriegen. Ich brauche nur einen gewöhnlichen Jongleur.
Aber wenn du es nicht einmal mit fünf Bällen schaffst, wird es bald mit uns aus sein.« Der Bader seufzte. »Ich hatte schon verschiedene Lehrjungen, und von allen waren nur drei es wert,- dass man sie behielt. Der erste war Evan Curry, der fünf Bälle sehr gut jonglieren konnte, aber er hatte eine Schwäche für den Alkohol. Er blieb nach seiner Lehrzeit vier einträgliche Jahre bei mir, bis er bei einer Rauferei unter Betrunkenen in Leicester erstochen wurde: ein lächerlicher Tod. Der zweite war Jason Earle. Er war geschickt, der beste Jongleur von allen. Er erlernte meinen Baderberuf, heiratete die Tochter des Vogts in Portsmouth und ließ sich von seinem Schwiegervater zu einem ehrenwerten Dieb und Kassierer von Bestechungsgeldern machen. Der vorletzte Junge war wunderbar. Er hieß Gibby Nelson. Er war mir unentbehrlich wie das tägliche Brot, erwischte aber in York ein Fieber und starb daran.« Er runzelte die Stirn. »Der letzte Junge war ein verdammter Dummkopf. Es ging ihm wie dir, er konnte mit vier Bällen jonglieren, aber mit dem fünften schaffte er es nicht, und ich habe ihn in London fortgejagt, kurz bevor ich auf dich gestoßen bin.« Sie blickten einander unglücklich an.
»Du bist kein Dummkopf. Du bist ein vielversprechender Kerl, man kommt mit dir gut aus, du verrichtest deine Arbeit schnell. Aber ich habe das Pferd und die Ausrüstung, dieses Haus und das Fleisch, das an seinen Dachsparren hängt, nicht damit erworben, dass ich mein Können Jungen beibringe, die ich nicht gebrauchen kann. Du bist im Frühjahr ein Jongleur, oder ich muss dich irgendwo zurücklassen. Verstehst du?« »Ja, Bader.«
Die Weihnachtszeit war herangekommen, ohne dass sie es recht bemerkt hatten. Editha forderte sie auf, sie in die Kirche zu begleiten, und der Bader knurrte: »Sind wir denn eine verdammte Familie?« Aber er erhob keinen Einwand, als sie fragte, ob sie nur den Jungen mitnehmen könne.