Als nächstes hielten sie in Glastonbury, einem Ort mit frommen Leuten, die ihre Häuser um die große, schöne St.-Michaels-Kirche errichtet hatten.
»Wir müssen hier etwas zurückhaltend sein«, sagte der Bader. »In Glastonbury führen die Pfaffen das große Wort, und Pfaffen hassen
jede Form von ärztlicher Behandlung, denn sie glauben, dass Gott sie mit der heiligen Verantwortung für die Seele und den Körper des Menschen betraut hat.«
Rob bemerkte nicht weniger als fünf finster dreinblickende Priester unter den Zuschauern.
Er und der Bader jonglierten mit roten Bällen, die der Bader kommentierend mit den Feuerzungen verglich, die den Heiligen Geist der Apostelgeschichte 2.3 verkörpern. Die Zuschauer waren von dem Jonglieren begeistert und klatschten eifrig Beifall, verstummten jedoch, als Rob »Alle Glorie, Preis und Ehre« sang. Der Bader brachte dann heilige Reliquien in einer abgenutzten Truhe aus Eschenholz auf die Bühne. »Gebet acht, Mitbrüder im Herrn«, begann er mit seiner, wie er Rob später erklärte, Mönchsstimme. Er zeigte ihnen Erde und Sand, die vom Berg Sinai und vom Ölberg nach England gebracht worden waren, hielt einen Splitter vom heiligen Kreuz in die Höhe und ein Stück von dem Balken, der die heilige Krippe getragen hatte; er zeigte Wasser aus dem Jordan, eine Erdscholle von Gethsemane und Knochensplitter, die von vielen Heiligen stammten.
Die Zuschauer waren gerührt. Während sie noch seufzten, hielt der Bader eine Flasche Universal-Spezificum hoch. »Freunde«, deklamierte er, »wie der Herr das Heilmittel für eure Seele gefunden hat, habe ich die Arznei für euren Körper gefunden.« Er erzählte die Geschichte von Vitalia, dem Kraut des Lebens, die offensichtlich ebenso gut bei Frommen wie bei Sündern wirkte, denn die Leute kauften das Spezificum gierig und stellten sich dann vor dem Wandschirm des Baders zur Beratung und Behandlung an. An diesem Nachmittag rasteten sie frohgelaunt. Das war vielleicht der richtige Moment, um ein Thema anzuschneiden, das schon lange schwer auf Robs Gemüt lastete. »Bader«, begann er. »Hmmm?«
»Bader, wann fahren wir nach London?«
Der Bader war gerade damit beschäftigt, die Münzen aufzustapeln, und winkte ab, da er sich nicht verzählen wollte. »Demnächst«, murmelte er, »irgendwann.«
Die Gabe
In Kingswood versagte Rob bei vier Bällen. In Mangotsfield ließ er einen Ball fallen, aber das war das letzte Mal, und nachdem sie den Dorfbewohnern von Redditch Mitte Juni eine Vorstellung und Behandlung geboten hatten, brauchte er nicht mehr jeden Tag stundenlang das Jonglieren zu üben, denn die häufigen Auftritte hielten seine Finger geschmeidig und sein Gefühl für den Rhythmus wach. Bald wurde er ein sicherer Jongleur. Er nahm an, dass er auch noch gelernt hätte, mit sechs Bällen zurechtzukommen, doch der Bader wollte nichts davon wissen, denn es war ihm lieber, wenn er ihm bei seiner Arbeit half. Sie reisten wie die Zugvögel nach Norden, doch statt zu fliegen schlängelten sie sich langsam durch die Berge zwischen England und Wales. In der Stadt Abergavenny, einer Reihe baufälliger Häuser, die an einem düsteren Gebirgskamm aus Schiefergestein lehnten, half Rob dem Bader zum erstenmal bei der Untersuchung und Behandlung. Rob hatte Angst. Er hatte mehr Hemmungen als seinerzeit bei den beiden Holzbällen. Es war ihm rätselhaft, warum die Leute erkrankten. Er dachte, ein Mensch könne unmöglich Krankheiten verstehen und heilen, und merkte, dass der Bader klüger war als jeder Mensch, den er bisher kennengelernt hatte, weil er dazu imstande war. Die Kranken standen Schlange vor dem Wandschirm, und er ließ einen nach dem anderen dahintertreten, sobald der Bader mit dem vorhergehenden Patienten fertig war. Der erste Mann, den Rob seinem Meister vorführte, war groß und ging gebeugt, er hatte schwärzliche Spuren am Hals, an den Knöcheln und unter seinen Fingernägeln. »Es könnte dir nicht schaden, wenn du dich einmal wäschst«, meinte der Bader nicht unfreundlich.
»Es ist die Kohle, versteht Ihr«, erläuterte der Mann. »Der Staub setzt sich fest, wenn man schürft.«
»Du schürfst Kohle?« fragte der Bader. »Ich habe gehört, sie ist giftig, wenn man sie verbrennt. Ich habe selbst gesehen, dass sie Gestank und dicken Rauch verbreitet, der nicht leicht durch das Rauchloch eines Hauses abzieht. Kann man unter solchen Umständen leben?« »Man kann es, Sir, und wir sind arm. Aber in letzter Zeit habe ich Schmerzen und Schwellungen an den Gelenken, und die Arbeit tut mir weh.«
Der Bader betastete die schmutzigen Gelenke und drückte mit seiner dicken Fingerspitze auf die Geschwulst am Ellbogen des Mannes. »Es kommt daher, dass du die Ausdünstungen der Erde einatmest. Du musst in der Sonne sitzen, so oft du kannst. Bade häufig in warmem Wasser, aber nicht in heißem, denn heiße Bäder führen zur Schwächung des Herzens und der Glieder. Reibe deine geschwollenen Gelenke mit dem universellen Spezificum ein. Das hilft auch, wenn du es innerlich anwendest.«
Er berechnete dem Mann sechs Pence für drei kleine Fläschchen und weitere zwei Pence für die Beratung und sah Rob dabei nicht an. Rasch nacheinander behandelte er einen Mann, dessen gebrochenes Bein vor acht Jahren schlecht zusammengewachsen war und der beim Gehen den linken Fuß nachzog, eine Frau, die von Kopfschmerzen geplagt wurde, einen Mann mit Krätze auf der Kopfhaut und ein dümmlich lächelndes Mädchen mit einer schrecklichen Wunde auf der Brust, die ihm gestand, sie habe zu Gott gebetet, dass ein Bader durch ihre Stadt kommen möge.
Er verkaufte allen das Universal-Spezificum, außer dem Mann mit der Krätze, der es nicht wollte, obwohl der Bader es ihm dringend empfahl; vielleicht besaß er die zwei Pence nicht.
Sie kamen in die sanfteren Hügel der westlichen Midlands. Vor dem Dorf Hereford musste Incitatus am Fluss Wye warten, weil Schafe durch die Furt wateten, ein scheinbar endloser Zug blökender Felle, die Rob gründlich ängstigten. Er hätte gern eine unbefangene Einstellung zu Tieren gehabt, aber er war ein Stadtjunge, obwohl seine Ma von einem Bauernhof stammte. Tatus war das einzige Pferd, mit dem er je zu tun gehabt hatte. Ein entfernter Nachbar in der Carpenter's Street hatte zwar eine Milchkuh gehalten, doch keiner der Coles hatte je etwas mit Schafen zu tun gehabt.
Hereford war eine wohlhabende Gemeinde. Jeder Bauernhof, an dem sie vorbeikamen, besaß einen Schweinepfuhl und grüne buckelige Wiesen, auf denen Schafe und Rinder weideten. Die Steinhäuser und Scheunen waren groß und massiv gebaut und die Menschen im allgemeinen fröhlicher als die nur ein paar Tagereisen entfernten armen Waliser Bergbauern. Ihre Vorstellung auf dem Dorfanger zog eine ansehnliche Menschenschar an, und der Verkauf ging gut.
Der erste Patient des Baders hinter dem Wandschirm stand etwa in Robs Alter, wenn er auch viel kleiner war.
»Er ist vor nicht ganz sechs Tagen vom Dach gefallen, und schaut Euch das an!« sagte der Vater des Jungen, ein Faßbinder. Eine zersplitterte Faßdaube am Boden hatte die linke Handfläche durchbohrt, und nun war das Fleisch entzündet wie ein aufgeblasener Kugelfisch.
Der Bader zeigte Rob, wie er die Hände des Jungen festhalten, und dem Vater, wie er dessen Beine packen solle, dann nahm er ein kurzes, scharfes Messer aus seiner Instrumententasche. »Haltet ihn fest!« befahl er.
Rob spürte, wie die Hände zitterten. Der Junge schrie auf, als die Klinge in sein Fleisch drang. Grünlich-gelber Eiter spritzte heraus, gefolgt von üblem Geruch und einem Strom roten Blutes. Der Bader reinigte die Wunde von Fäulnis, untersuchte sie dann vorsichtig und gründlich und zog mit einer eisernen Pinzette kleine Splitter heraus. »Es sind die Splitter von dem Holzstück, das ihm in die Hand eingedrungen ist, verstehst du?« Er zeigte sie dem Vater. Der Junge stöhnte. Rob fühlte Übelkeit aufsteigen, doch er hielt ihn weiter fest, während der Bader langsam und vorsichtig zu Werke ging. »Wir müssen alle entfernen«, erklärte er, »denn sie enthalten verderbliche Säfte, die die Hand wieder brandig machen.« Als er überzeugt war, dass sich kein Holzsplitter mehr in der Wunde befand, goss er etwas Spezificum hinein und verband sie mit einem Tuch. Dann trank er den Rest der Flasche selbst. Der schluchzende Patient schlich davon und war froh, dass er sie verlassen konnte, während sein Vater bezahlte.