Als nächster war ein gebeugter alter Mann mit hohlem Husten an der Reihe. Rob führte ihn hinter den Wandschirm.
»Morgenschleim. Oh, eine große Menge, Sir!« Er keuchte, wenn er sprach.
Der Bader strich mit der Hand nachdenklich über die eingefallene Brust. »Ich werde dich schröpfen.« Er sah Rob an. »Hilf ihm, sich teilweise freizumachen, damit man an seiner Brust Schröpfköpfe ansetzen kann.«
Rob zog dem alten Mann vorsichtig das Unterhemd aus, denn er wirkte gebrechlich. Um den Patienten wieder zum Bader hinzudrehen, ergriff er beide Hände des Mannes. Es war, als fasse er zwei zitternde Vögel. Die steifen Finger lagen in den seinen und übermittelten ihm eine Botschaft.
Der Bader warf ihnen einen Blick zu und merkte, wie der Junge erstarrte. »Komm!« forderte er ihn ungeduldig auf. »Wir dürfen nicht den ganzen Tag herumtrödeln.« Rob schien ihn nicht zu hören. Schon zweimal hatte Rob gespürt, wie diese seltsame, unangenehme Gewissheit aus dem Körper eines anderen in den seinen gedrungen war. Auch jetzt wurde er von Entsetzen überwältigt. Er ließ die Hände des Kranken fallen und floh.
Fluchend suchte der Bader seinen Lehrling, bis er ihn fand: Er kauerte hinter einem Baum.
»Ich will den Grund hören. Und zwar sofort!«
»Er... der Alte wird sterben.«
Der Bader machte große Augen. »Was ist das für ein ausgewachsener Unsinn?«
Sein Lehrling begann zu weinen.
»Hör damit auf!« herrschte der Bader ihn an. »Woher willst du das wissen?«
Rob versuchte zu sprechen, brachte aber keinen Ton hervor. Der Bader versetzte ihm eine Ohrfeige, und Rob schnappte nach Luft. Als er zu sprechen begann, sprudelten die Worte aus ihm heraus, denn sie waren ihm immer wieder durch den Kopf gegangen, noch bevor sie London verlassen hatten. Er hatte den bevorstehenden Tod seiner Mutter gespürt, und er war eingetreten. Dann hatte er gewußt, dass sein Vater sterben würde, und er war gestorben.
»Du meine Güte«, sagte der Bader skeptisch, aber er hörte genau zu und beobachtete Rob dabei. »Du meinst also, dass du tatsächlich bei diesem alten Mann den Tod gefühlt hast?«
»Ja.« Er erwartete nicht, dass man ihm Glauben schenken würde.
»Wann?«
Er hob die Schultern. »Bald?«
Er nickte. Er konnte nur die trostlose Wahrheit sagen. In des Baders Augen sah er, dass der Mann das erkannte.
Der Bader zögerte, dann faßte er einen Entschluß: »Während ich uns die Leute vom Hals schaffe, belädst du den Wagen!« befahl er.
Sie verließen das Dorf langsam, aber sobald sie außer Sichtweite waren, fuhren sie so rasch, wie es die holprige Straße zuließ. Incitatus stampfte spritzend und geräuschvoll durch die Furt des Flusses und vertrieb aufgescheuchte Schafe, deren ängstliches Blöken beinahe das Geschrei des erzürnten Schäfers übertönte.
Rob erlebte zum erstenmal, dass der Bader dem Pferd die Peitsche gab. »Warum beeilen wir uns so?« rief er, während er sich festklammerte. »Weißt du, was sie mit Hexenmeistern machen?« Der Bader musste schreien, um das Trommeln der Hufe und das Klappern der Dinge im Wagen zu übertönen. Rob schüttelte den Kopf.
»Sie knüpfen sie an einem Baum auf oder nageln sie an ein Kreuz. Manchmal tauchen sie Verdächtige in deiner verdammten Themse unter, und wenn sie ertrinken, erklärt man sie für unschuldig. Wenn der alte Mann stirbt, werden sie behaupten, es kommt daher, dass wir Hexer sind«, brüllte er und schlug mit der Peitsche immer wieder auf den Rücken des entsetzten Pferdes ein.
Sie hielten nicht an, um zu essen oder ihre Notdurft zu verrichten. Als sie Tatus erlaubten, in Schritt zu fallen, lag Hereford schon weit hinter ihnen, aber sie trieben das arme Tier bis zur Dämmerung weiter an. Erschöpft schlugen sie das Lager auf und aßen schweigend ein kärgliches Mahl.
»Schildere es noch einmal!« forderte der Bader ihn schließlich auf. »Laß nichts aus!«
Er hörte aufmerksam zu und unterbrach Rob nur einmal, um ihn zu bitten, lauter zu sprechen. Als er die Geschichte des Jungen angehört hatte, nickte er.
»In meiner Lehrlingszeit habe ich miterlebt, wie mein Badermeister zu Unrecht als Hexer ertränkt wurde«, sagte er.
Rob starrte ihn an und war zu erschrocken, um weitere Fragen zu stellen.
»Einige Male in meinem Leben sind Leute gestorben, während ich sie behandelt habe. Einmal ist in Durham eine alte Frau verschieden, und ich war sicher, dass ein geistliches Gericht die Prüfung durch Untertauchen oder Halten einer weißglühenden Eisenstange anordnen würde. Ich wurde erst nach der peinlichsten Befragung, nach Fasten und
Almosenspenden freigelassen. Ein andermal in Eddisbury starb ein Mann, als er sich hinter meinem Wandschirm befand. Er war jung und schien kerngesund zu sein. Unruhestifter hätten leichtes Spiel gehabt, aber ich hatte Glück, und niemand verstellte mir den Weg, als ich den Ort verließ.«
Rob fand seine Stimme wieder. »Glaubt Ihr... dass ich vom Teufel besessen bin?« Es war eine Frage, die ihn den ganzen Tag beschäftigt hatte.
Der Bader schnaubte. »Wenn du das glaubst, bist du kindisch und dumm. Und ich weiß, dass du weder das eine noch das andere bist.« Er ging zum Wagen, füllte sein Hörn mit Metheglin und trank es aus, bevor er fortfuhr.
»Mütter und Väter sterben. Und alte Leute sterben. Das ist der Lauf der Welt. Bist du sicher, dass du etwas gefühlt hast?« »Ja, Bader.«
»Ein junger Kerl wie du kann sich doch einmal irren oder phantasieren?«
Rob schüttelte eigensinnig den Kopf.
»Und ich sage, es war alles nur Phantasie«, behauptete der Bader. »Jetzt reicht es mit dem Fliehen und Reden, wir müssen uns ausruhen.«
Sie schlugen ihr Nachtlager zu beiden Seiten des Feuers auf, aber sie lagen stundenlang dort, ohne zu schlafen.
Der Bader wälzte sich und warf sich herum, dann stand er auf und öffnete eine weitere Flasche. Er nahm sie zu Robs Seite des Feuers mit und hockte sich nieder. »Angenommen«, begann er und trank einen Schluck, »nur angenommen, alle anderen Menschen auf der Welt würden ohne Augen geboren, und du kämst allein mit Augen auf die Welt?« »Dann würde ich sehen, was niemand sonst sehen kann.« Der Bader trank und nickte. »Ja. Oder stell dir vor, wir hätten keine Ohren, und du hättest welche? Oder nimm an, dass uns ein anderer Sinn fehlt. Und irgendwie von Gott oder der Natur oder von wem du willst hättest du eine... besondere Gabe erhalten. Nimm an, du kannst vorhersagen, wenn jemand sterben wird?« Rob schwieg, weil er wieder schreckliche Angst hatte. »Es ist Unsinn, wir beide wissen das«, stellte der Bader fest. »Es ist alles deiner Phantasie entsprungen. Aber nur angenommen...« Er trank nachdenklich aus der Flasche, sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, und das verlöschende Feuer glänzte warm in seinen hoffnungsvollen Augen, als er Rob ansah. »Es wäre eine Sünde, eine solche Gabe nicht zu verwerten«, schloss er.
In Chipping Norton kauften sie Metheglin und füllten wieder eine Menge Spezificum ab, um den einträglichen Vorrat aufzufüllen. »Wenn ich sterbe und vor dem Himmelstor in der Reihe stehe«, sagte der Bader, »wird der heilige Petrus alle fragen: >Wie hast du dein Brot verdient?< - >Ich war ein Bauers wird ein Mann sagen, oder
>Ich habe Stiefel aus Leder hergestellte Aber ich werde antworten: >Fumum vendidi<«, lachte der ehemalige Mönch fröhlich, und Robs Latein reichte dafür aus: Ich habe Dunst verkauft.
Doch der Bader war viel mehr als ein Hausierer mit fragwürdigen Arzneien. Wenn er hinter dem Wandschirm die Leute behandelte, bewies er Sachkenntnis und oft auch Mitgefühl. Was er unternahm, verstand und tat er einwandfrei, und er führte Rob eine sichere Urteilskraft vor und eine feinfühlige Hand.