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Martin Mosebach

Der Mond und das Mädchen

I

Wer eine Wohnung sucht, hat es mit einem der seltenen Augenblicke zu tun, in denen der Mensch wirklich einmal glauben darf, über die Zukunft seines Lebens zu entscheiden, denn im Wohnen, so vieldeutig dies Wort eben ist, liegt doch das ganze Leben beschlossen. Der junge Mann, der auf dem Fahrrad durch die Straßen der ihm noch fremden Stadt Frankfurt fuhr, hatte ein paar Tage zuvor geheiratet und hielt Ausschau nach der ersten Wohnung, die er mit seiner Frau gemeinsam bewohnen würde.»Meine Frau «zu sagen, ging ihm noch nicht glatt von den Lippen.»Meine Frau«— wäre das nicht eher eine Matrone? Um» meine Frau «zu werden, müßte das Mädchen, das er geheiratet hatte, alles verlieren, was jetzt zu ihm gehörte: Kindlichkeit, Schmetterlingszartheit, Elfenleichtigkeit. Das waren nicht seine Gedanken, poetische Ausdrucksweise wollte er sich nicht zutrauen, aber eine leise klingende, feingläserne Zerbrechlichkeit war es schon, was ihm vorschwebte, wenn er an dies Mädchen dachte, ein zartes Glasgeklingel, Silbrigkeit in Stimme und Haar. Dabei war sie gar nicht viel jünger als er, aber aufgewachsen und behütet in einem Reservat abschirmender Bürgerlichkeit wie ein exquisites Frühgemüse, das nur mit Wärme und Tau, nicht aber mit Frost und rauhen Winden in Berührung kommen darf.

Die ersten Wochen dieser Ehe sahen ein wenig anders aus, als es solch geordneten Verhältnissen entsprochen hätte. Unzählige Gäste gratulierten dem jungen Paar. Die meisten waren für den Bräutigam Wildfremde und blieben es auch, als er die Hochzeitsphotos betrachtete; da hätte man ihm hinlegen können, wen man wollte, er hätte bereitwillig geglaubt, das Gesicht irgendwann auf seiner Hochzeit gesehen zu haben. Aber nach dieser» mariage à la mode «fand die berühmte rituelle Hochzeitsreise leider nicht statt. Es ging nicht. Es war nicht zu machen, der Antritt der neuen Arbeitsstelle, der ersten nach der Universität, hatte sich nicht verschieben lassen; es war auch gar nicht ernsthaft daran herumgeschoben worden, denn das, was in früheren Zeiten auf einer solchen Hochzeitsreise geschehen sollte, hatte, wie üblich, längst stattgefunden, und der eigentlichen Hochzeit waren mindestens drei kleine Hochzeitsreisen vorangegangen. Für Sentimentalitäten war keine Zeit, so drückte es seine Schwiegermutter aus, in deren Nähe es nicht nur die Sentimentalitäten, sondern eigentlich sämtliche Gefühlsregungen schwer hatten, sich zu behaupten.

Noch mehr als Gefühlsregungen verabscheute die Dame jede Anstrengung, und mochte man auch alles, was sich nur delegieren ließ, Hilfskräften übertragen, so täuschte doch nichts darüber hinweg, daß die Hochzeit vor allem eine solche immense Anstrengung gewesen war. Nur wenige Tage, nachdem das Feuerwerk der Brautsoirée abgebrannt worden war, reiste sie in den Süden und nahm dabei ihre Tochter mit, denn sie trat bei anderen Leuten ungern allein auf. Immer mußte sie jemanden aus der eigenen Sphäre dabei haben, um vom fremden Milieu nicht zu leicht vereinnahmt zu werden. Der junge Mann war mit dieser Reise grundsätzlich einverstanden. Er war immer froh, wenn das Mädchen etwas Angenehmes erlebte, und es war viel unkomplizierter so: Er zog in Frankfurt in eine kleine Pension und würde sehr schnell, abends nach der Arbeit und an den Wochenenden, eine Wohnung gefunden haben, und wenn sie zurückkam, würde er sie überraschen — eine köstliche Vorstellung —, und sie würden den Lastwagen mit Hochzeitsgeschenken aus Hamburg kommen lassen und mit dem Auspacken und Einrichten beginnen.

Nur daß der Wunsch der Mutter so ganz fraglos und ohne Abwägung befolgt zu werden hatte, verwunderte ihn ein wenig, wenn er jetzt in seinem Alleinsein darüber nachdachte. Ob er in diesen ersten Tagen am neuen Ort den Beistand seiner soeben erst geheirateten Frau brauchen könnte, wurde nicht einmal in Betracht gezogen. Ina machte keine glückliche Miene, als sie ihm vom Vorhaben ihrer Mutter berichtete, aber ihr Bedauern angesichts der objektiven Notwendigkeit — denn die stellte die mütterliche Anordnung ohne jeden Zweifel her — blieb doch klein. Es war nicht das erste Mal, daß ein solches Inbeschlagnehmen vorkam, aber solange sie nicht verheiratet waren, hatte es ihn nicht weiter belastet. Es paßte zur Kindlichkeit des Mädchens, daß es so innig an seiner Mutter hing. Die Schwiegermutter war Witwe, war es da nicht naheliegend, sich mehr um sie zu kümmern? Wenn er nur nicht den Eindruck gewonnen hätte, daß diese Frau einen Menschen, der sich um sie sorgte, gar nicht nötig hatte.

Frau von Klein war nicht so grazil gewachsen wie ihre Tochter. Ihr hübsches Gesicht war keine altersmäßige Fortentwicklung oder Entfaltung dessen, was im Gesicht ihrer Tochter angelegt war, sondern nur ein wenig weitläufiger, und natürlich lag jenes feine Netz über der Haut, das die auch von der Mutter bewahrte Kindlichkeit auf rührende und Zärtlichkeit weckende Weise gealtert erscheinen ließ. Sie war die schönste Schwiegermutter, die sich denken ließ, mit langsamen, lässigen Bewegungen. Auf der Hochzeit hatte sie Rosa getragen, ohne albern zu wirken, und wer weiß wie viele Dummköpfe, weibliche zumeist, hatten die Plattheit nicht gescheut, jedermann zu versichern, Mutter und Tochter sähen aus wie Schwestern —»Ich hoffe doch nicht«, sagte Frau von Klein mit unbewegter Miene, wenn sie so etwas hörte.

Der junge Mann sah sie vor sich, wie sie nach dem Hochzeitsempfang mit entfernten Verwandten in der Hotelhalle saß und den Friseur, einen häßlichen kleinen Italiener, der sich stets aufs neue schüchtern näherte, dreimal aufs neue wegschickte, obwohl sie ihn bestellt hatte. Der verzweifelte Mann mußte logistisch Außerordentliches leisten und beständig die Termine der anderen Damen umlegen, ohne daß er von ihr mehr als einen blanken Blick ohne die Spur auch nur gespielten Bedauerns erhielt.

«Sie ist vollkommen unabhängig von der Zustimmung anderer«, dachte der junge Mann,»sie nimmt andere Menschen kaum wahr. «Beim Abendessen war ihr Haarhelm dann makellos, als hätte sie den Nachmittag unter der Haube verbracht. Wirkliche Kälte hat etwas mit vollständiger Gerechtigkeit gemeinsam. Sie vermag sogar als Stärke erscheinen und dämpft zunächst auch die Empörung der anderen. Trotzdem wuchs da inzwischen ein kleiner Groll bei dem jungen Mann.»Frankfurt ist eine scheußliche Stadt«, sagte Frau von Klein, als er ihr stolz von seiner neuen Stelle erzählte. War das alles, was sie zu dieser erfreulichen Nachricht zu sagen hatte?

Ina hing an den Lippen ihrer Mutter, aber als sie zu ihm hinübersah, lächelte sie. Und so mußte es auch sein. Dieser gemeinsame Neubeginn mußte Ina mit Freude und Zuversicht erfüllen. Ob sich in Frankfurt auch für sie sofort ein Job finden würde, durfte durchaus erst einmal unwichtig sein. Man lebte in der Stadt, in der man arbeitete. Was war überhaupt eine scheußliche Stadt? Gewiß nicht die, durch die er jetzt nach dem Büro mit dem Fahrrad fuhr.

Er trug noch seinen dunklen Nadelstreifenanzug, seine Uniform als assistant executive, wie er auf seiner neuen Visitenkarte genannt wurde, aber die Krawatte hatte er in die Rocktasche gesteckt, denn wenn man den gekühlten Glasturm verließ, in dem sein Büro lag, prallte man gegen die Hitze wie gegen eine Wand. Es war erst Juni, aber in Frankfurt schon heißer als am Mittelmeer, wie er von Ina wußte. Sie sprach von einem bedeckten Himmel und geradezu ungemütlicher Abendkühle am Golf von Neapel, während sich über Frankfurt ein blühendes Hellblau spannte, das gegen Abend weicher wurde, aber noch lange nicht verblaßte.

Außerhalb der Innenstadt waren die Straßen leer. Das Fahrradfahren war ein Dahingleiten durch streichelnde, gesättigte Luft. Selbst die Autoabgase gaben ihr, wenn er einmal solch eine Fahne streifte, gewürzhafte Fülle. Eine gewisse Schwere, eine gleichsam wattige Substanzhaftigkeit gehört geradezu zur Stadtluft. Viel Staub und Schmutz in der Luft gibt dem Licht eine unvergleichliche Schönheit, wie jeder weiß, dem die Sonnenuntergänge von Delhi oder Mexico City vor Augen stehen — hinter den Rauchfiltern wird die Sonne riesengroß und verströmt eine in reinen Sphären unbekannte rotgoldene Pracht. Für solche Schauspiele war die Luft in Frankfurt allerdings nicht schmutzig genug, und exotische Lichtwunder wurden auch gar nicht vermißt, wenn Häuser und Vorgärten ihren biedermeierlichen Abendfrieden ausstrahlten, Feierabendstille, in die tatsächlich auch eine bimmelnde Kirchenglocke klang. Es mußte hier irgendwo eine Kapelle in der Nähe sein, für eine große Glocke war der Klang zu hell. Vor vielen Fenstern waren die Rolläden heruntergelassen, um die Sonne tagsüber abzuhalten. Und nun rumpelte es überall leise, weil sie hinaufgezogen wurden, um das ausgeschlossene Licht, dem endlich die brennende Hitze fehlte, wieder in die Zimmer fallen zu lassen. Die Straßen, die er ohne große Pläne durchfuhr, waren wohl vor hundert Jahren angelegt worden. Die Mietshäuser mit drei, höchstens vier Stockwerken bestanden vielfach aus rotem Mainsandstein, wenigstens die Torpfosten, das Sockelgeschoß und die Fensterumrahmungen waren rot, etwas Deutsches, Provinzielles hatte dieser Stein, eine gewisse burg- und kirchenhafte Düsterkeit. Jetzt aber war er so sanft beschienen, daß er geradezu von innen heraus strahlte.