Выбрать главу

Lilien war tatsächlich ein Künstlername. Die Schauspielerin hatte sich da etwas zurechtgebastelt in dem Wahn, es sei der feine Name, der die Karriere mache, wo es doch umgekehrt die Karriere ist, die dem Namen, und zwar ganz gleich welchem Namen, den Glanz verleiht. Die Jugendsünde einer Frau, die vielleicht gar nicht ein Leben lang Schauspielerin sein würde. Sie wolle eigentlich weg vom Theater, ihr Ziel sei, Sprecherin zu werden. Aber das wurde erst ein wenig später mitgeteilt.

Die Tür öffnete ihr Mann oder Freund — das blieb unklar—, und das war Dr. Wittekind, Kunsthistoriker am Museum. Er war blaß und klein, hatte eine schöne hohe Stirn und große sehr helle Augen. Er hielt sich nicht gut. Sein krummer Rücken war die Ergänzung eines stets etwas anzüglich-ironischen Lächelns, mit dem der Mann zu sagen schien:»Das ist fabelhaft, wie gut und straff Sie sich halten, machen Sie das, solange Sie noch nicht darauf gekommen sind, daß es Ihnen genauso wenig nützen wird wie mir.«

Die Rolläden waren herabgelassen. Schon im Flur der genauso wie die obere Wohnung geschnittenen Räume reichten die doppelt gefüllten Bücherregale bis zur Decke.

«Sie sind erwartet«, sagte Wittekind, der vielleicht fünfzehn Jahre älter als Hans sein mochte. Wieder hatte er diesen leicht anzüglich-bedeutungsvollen Ton. Die Schauspielerin erschien. Diesmal trug sie etwas hellgrün und weiß Gestreiftes.

«Sie enttäuschen mich — wo sind die Hosenträger? Wie können Sie es wagen, ohne die schönen Hosenträger hier zu erscheinen?«In der Wohnung duftete es nach Tee und Lavendel. Hans war durch Wittekinds Anwesenheit zunächst etwas gehemmt, aber das verlor sich schnell. Außerdem — was hatte er erwartet? Gar nichts, durfte er sich in voller Aufrichtigkeit sagen. Und dafür fühlte er sich schnell überaus wohl bei den Leuten und wollte schließlich gar nicht mehr aufbrechen.

VI

Leute wie Herr Dr. Wittekind, der nach kurzem übrigens schon vorschlug, ihn Elmar zu nennen, und seine Freundin Britta mit dem blumenhaften Pseudonym gehörten bisher nicht zum Bekanntenkreis von Hans, und zu Inas schon ganz und gar nicht.»Bitte keine häßlichen Intellektuellen, die sich mit ihrer Bildung wichtig machen«, sagte Frau von Klein. Sie tat, als sei es nicht die Bildung selbst, die sie störe — wobei offen blieb, was sie darunter verstand —, sondern das Mitführen von Bildungsbrocken im Strom der Unterhaltung. Sie empfand es als die eigentliche Ungehörigkeit, wenn Leute in ihrer Gegenwart etwas sagten, das sie nicht sofort mit einem scharfen Wort abfertigen konnte.

Hans kannte solche Antipathien nicht. Er war mit der glücklichen Einstellung geboren und aufgewachsen, daß es niemanden gebe, gegen den er sich zur Wehr setzen müsse. Alle Menschen waren» nett «oder offenbarten wenigstens nach kurzem eine» nette Seite«. Oder waren nur zu unglücklich, um die innere Nettigkeit nach außen hin zur Geltung zu bringen. Kein bohrender, mißtrauischer, tiefer und sich nach Tiefe sehnender Geist also, sondern die reine Oberfläche, die aber so wohlansehnlich, daß er mit den Mädchen, mit denen er sich vor Ina befaßt hatte, ganz besonders aber mit Ina selbst, stets ein» schönes Paar «abgeben konnte, wie das in der Generation seiner Eltern noch hieß. Daß die Nettigkeit allein als Maßstab der Menschenerkenntnis nicht ausreichen mochte, hatte er inzwischen recht deutlich am Beispiel der Frau von Klein erfahren, die mit dem Wort» nett «alles andere als zureichend beschrieben worden wäre. Sie war ein gut gewähltes Beispiel zur Problematik der Kategorie» nett«: Wenn man sie hörte, mußte man glauben, sie dulde nur» nette Leute «in ihrer Gegenwart — fanden sich solche dann aber ein, verwandelte sich Frau von Klein in ein Ungeheuer von Langeweile und Ungeduld. Niemals hätte sie gestattet, daß Ina einen Mann heiratete, dem die Welt die Eigenschaft» nett «versagte, und zugleich war sie niemals bereit, mit der Harmlosigkeit, die mit der Nettigkeit nun einmal geschwisterlich einherging, ihren Frieden zu schließen. Hans sei ja wohl eher harmlos, das hatte Ina schon bald, nachdem sie ihren zukünftigen Mann nach Hause gebracht hatte, von ihrer Mutter hören dürfen, nicht zum letzten Mal. Als Kompliment war es nicht gemeint, und Hans durfte es schließlich selber hören, denn gegenüber ihren Kindern verachtete Frau von Klein jede Geheimnistuerei.

«Findest auch du mich farblos?«fragte er, als Ina in seinen Armen lag. Der Gott der Liebe gab ihr die richtige Antwort ein:»Ich frage mich gar nicht, wie du bist. «Das glaubte er ihr sofort, und es beruhigte ihn zutiefst.

Schade, daß Ina nicht mit heruntergekommen war. Der große Raum war in seiner anheimelnden Schattigkeit von Lichtstreifen geradezu gerastert. Die Rolläden waren nach außen gestellt und setzten den Raum jenseits der Fenster zeltartig fort. Es war ein bißchen lauter als bei ihnen oben, das eine Stockwerk Unterschied machte etwas aus, aber das immer noch gedämpfte Brausen schuf in dem lichtgestreiften Dunkel die Vorstellung einer südlichen Großstadt, ein Klein-Madrid war am Baseler Platz entstanden. Für Wittekind und Britta Lilien hatte die Wohnung übrigens gar nichts Exotisches. In der jetzt beginnenden Unterhaltung, die zunächst das Favoritenthema aller Großstädter, die Immobilienfrage, aufgriff, ließen die beiden nicht spüren, daß sie sich irgend etwas über das unmittelbar Praktische hinaus zum Baseler Platz gedacht hatten. Frankfurt war so klein, daß die Quartiere des Stadtinneren, die sich ihrem Charakter nach dennoch deutlich voneinander unterschieden, sämtlich zu Fuß erreicht werden konnten. Beider Arbeitsstätten, das Theater und das Museum, waren vom Baseler Platz aus nur ein paar Minuten entfernt. Beide hatten schon in viel größeren Städten gelebt, Wittekind länger in Paris, gegenüber seinen improvisierten Umständen dort war diese Wohnung hier geradezu ein Schritt in die Bürgerlichkeit.

Hans sah, daß Britta, eine Norddeutsche wie er selbst und mit ihm wohl gleichaltrig, gegenüber ihrem Freund nicht den kecken Ton anschlug, den er bei ihr kennengelernt hatte. Waren der Bescheidenheit, mit der sie hier auftrat, nicht sogar Zeichen eines Respekts anzumerken, als wolle sie deutlich machen, daß sie wisse, mit welch bedeutender Persönlichkeit sie zusammen sei? Elmar sprach nie anders als mit der sich schon in seinem ersten Satz äußernden milden, resignativen Ironie, aber sie ging auf diesen Ton in einer Weise ein, die den ersten Eindruck von Hans bestätigte: Jawohl, respektvoll war das richtige Wort. Von seiner Seite höfliche, reservierte Milde, von ihrer eine zur Unauffälligkeit gezügelte Aufmerksamkeit. So stellte das Paar sich ihm dar. Bevor sie ihn fragte, was er trinken wolle, stellte sie diese Frage ganz leise an Elmar Wittekind, als gebe es hier ein Regime zu beachten, irgendeine ärztliche Maßregel, aber der tat, als verstehe er sie nicht.

«Warum machen wir nicht meinen Wein auf?«fragte Hans treuherzig. So geschah es nach einigem Hin und Her dann auch, obwohl Britta von dem beiseite gesprochenen Konferieren zunächst nicht lassen wollte. Eine Frau, die sich unterordnet, gewinnt an Einfluß; für alles, was man aufgibt, erwirbt man eine andere Kompetenz, dieses Gesetz schien sie schauspielerisch illustrieren zu wollen. Das Gespräch wandte sich der einzigen Person zu, die allen Anwesenden bekannt war, Herrn Abdallah Souad. Beide wurden fröhlich bei Nennung dieses Namens.

«Man muß Souad in Schach halten«, sagte Wittekind, dessen Gesicht Hans nur als schwarze Silhouette wahrnahm, denn der Hausherr hatte sich gegen das streifenförmig einfallende und selbst in diesen kleinen Dosen blendende Licht gesetzt. Britta hingegen war weich beschienen in gebrochenen, die Farbigkeit vertiefenden Schattentönen. Sie lag auf einer mit einem bunten Kelim bedeckten Couchette. Die weißen nackten Unterschenkel rieben sich an dem kratzigen Stoff, das tat ihr offenbar gut. Sie war ein schönes Mädchen, aber sie gab zu verstehen, daß sie ihrem Aussehen jetzt im Privaten, gleichsam hinter der Bühne, nicht die geringste Bedeutung beimesse, Gewicht habe für sie allein ihre Wirkung im Scheinwerferlicht.