Выбрать главу

War denn die ganze Schönheit der Menschen in ihren Koffern? Was machten denn die Völker Asiens und Afrikas, die über all diese Flaschen und Crèmes und über frischgestärkte Wäsche nicht verfügten und dennoch wunderschön aussahen? Das war das Geheimnis der Zivilisation. Der Mensch hatte offenbar allein die Wahl, sich entweder niemals zu waschen oder, wenn er diese Regel auch nur einmal durchbrach, sich von da ab immer und täglich zu waschen.

Es wurde nun deutlich, wie sehr Wittekinds unter ihrem Zustand litten, wie sehr Wittekind sich schämte, unrasiert und mit schmutzigem Hemdkragen und fleckigem Schlips herumzulaufen. Und zugleich begannen sie, einander voll Abscheu zu mustern. Hans war sich in seiner nächtlichen Vision darüber klar, daß bei Träumen der Geruchssinn unbeteiligt blieb. Da kam in der Realität eben noch etwas hinzu. Er sah, daß die beiden in ihrer Not den andern von sich wegwünschten, als sei der Eindruck eines einzigen heruntergekommenen Menschen leichter erträglich als der eines Paares, und so verhält es sich ohne Zweifel auch, die Traumgestalten waren vernünftig. War es vorstellbar, daß sie nach Wiedererlangung der Koffer, nach kühlen Bädern in einem modernen Flughafenhotel, nach Rasur und Besuch beim Friseur dieses Erlebnis, sich gegenseitig abstoßend geworden zu sein, vollständig wieder vergaßen? Oder blieb da etwas zurück, weil dieser Eindruck so schlimm gewesen war, daß er eigentlich niemals hätte entstehen dürfen? Hans dachte an das Paar, wie es sich bisher präsentiert hatte. Waren da schon Anzeichen einer Bruchstelle sichtbar geworden?

«Natürlich«, sagte Ina laut und hart, verschwand aber sofort wieder aus dem Bild.»Es ist die Frage«, sagte Wittekind, jetzt wieder in vertrauter Weise gepflegt und nicht mehr rot- und hohläugig, damit auch verjüngt, der zu der Hinterhofgesellschaft hinzugetreten war, als habe ihn das intensive Sprechen über ihn schließlich herbeirufen müssen,»ist der Mensch einer luftdicht verschlossenen Flasche vergleichbar, bis zum Rand mit seiner Eigensubstanz ausgefüllt, alles immer nur aus sich selbst entwickelnd, jedes Gefühl, jede Emotion, Liebe, Haß und Furcht immer ausschließlich aus der eigenen Substanz bestreitend — oder ist er vielmehr eine leere Flasche, und zwar eine offene, die nichts enthält, was nicht von außen hineingegossen wird: als Erfüllung, als Anfüllung, als Eingebung, als Erleuchtung gar, wenn der Blitz in die Flasche fährt — was glauben Sie? Es gibt diese beiden Schulen: der Mensch ist nichts als er selbst, das ist die eine, die andere: der Mensch ist nur Sammelbecken für alles, was in ihn hineinfließt.«

«Er ist nur Sammelbecken und leere Flasche«, sagte Frau Mahmouni mit Bestimmtheit,»ich kann das beurteilen, denn ich muß nur mich selbst betrachten. Ich habe und hatte niemals an Sex ein Interesse — ich war und bin in dieser Hinsicht ein leeres Gefäß, aber ich bin kein abnormer Mensch, ich bin normal, bin vollkommen gesund und bei Verstand, und das zeigt, daß die Neigung zur physischen Liebe von außen nicht in mich hineingeflossen ist. Die Flasche war leer und blieb leer, hätte aber jederzeit angefüllt werden können. Das fand eben einfach nicht statt; da gibt es nichts zu bedauern, denn die leere Form ist auch in sich schön — man kann in Becken und Flaschen und dergleichen die widerwärtigste Brühe hineinfüllen. Das ist bei mir unterblieben.«

Alle stimmten ihr zu. Sie habe recht. Sei es nicht sogar so, daß beim Küssen die Seele des Küssenden von einem Mund zum andern springe — und das sei schließlich nur möglich, wenn im Innern des Menschen Platz sei, sonst trete durch eine weitere Seele unweigerlich eine innerliche Überfüllung ein.

Hans war, als sei es Souad, der da spreche, ohne daß er ihn sah. Er mußte ihm zustimmen: So war es tatsächlich zwischen Ina und ihm gewesen, da sprangen die Seelen beim Küssen zwischen ihnen hin und her und ließen sich auf den speichelnassen Lippen und der Zunge des anderen einen Augenblick nieder — deswegen, so fiel Hans jetzt ein, hatte diesen wilden Küssereien das Element der Lüsternheit gefehlt, es war kein wollüstiges Genießen dabei gewesen, sondern ein andächtiges, geradezu frommes Den-Anderen-Auffressen.

Das war freilich vorbei. Wann hatte er Ina zum letzten Mal geküßt? Im Schlaf jetzt stellte sich kein Bild davon her.»Der Mensch ist vollkommen hohl und besteht nur aus Hohlräumen«, sagte Barbara lehrhaft, nicht nur die Adern und der Darm und der Bauch und die Lungen seien hohl, sondern letztlich jede Zelle, auch die vermeintlich guten Fleischstücke bestünden nur aus Aneinanderreihungen winziger Hohlräume. Sie sagte das genauso piepsend-triumphierend, wie sie sonst irgendeinen Fund aus der Illustrierten vorlas. Hans erinnerte sich, daß sie diesen Artikel über die menschliche Hohlheit und die vielen Hohlräume tatsächlich einmal vorgelesen hatte, in amüsierter Empörung darüber, daß so gar nichts an ihrem Körper dran sein sollte — als sei es ihr Mann, der diesen Artikel eigens geschrieben habe, um sie zu ärgern.

Und jetzt trat noch ein anderes Bild vor die inneren Augen des Schläfers. Die Gesellschaft verpflanzte sich mit der Mühelosigkeit, wie sie in Träumen üblich ist, in die dunklen Uferanlagen des Mains und befand sich alsbald zwischen dem blinkenden nächtlichen Strom und einem Restaurantpavillon, der mit vielen roten chinesischen Laternen festlich beleuchtet war. Dies Restaurant, so verheißungsvoll und vielversprechend es dalag, war immer leer, so hatte Hans festgestellt, als er die Gegend erkundete, ein leerer, aufwendig beleuchteter kleiner Palast, zumindest in der Nacht sah das so aus, tags war das Gebäude recht hinfällig, da wurde klar, warum niemand dort sitzen wollte. Voller Laternen wurde der ganze Pavillon nachts selbst zur großen Laterne, die von der Gesellschaft ernsthaft betrachtet wurde.

«Das ist der Mensch«, sagte Frau Mahmouni und zeigte auf den menschenleeren Restaurantpavillon,»ein Haus, mit Besen gereinigt und mit Lampen erleuchtet und leer und in Erwartung. «Der Hall dieses Wortes verwandelte sich in eine bequeme Rutschbahn, auf der Hans endlich in tiefere Regionen des Schlafes glitt.

*

Für den nächsten Abend waren sie eingeladen. Der sportliche Kollege im Büro hatte eine Deutsche kennengelernt, die eine über Bett und Badewanne hinausgehende Wohnung ihr Eigen nannte, genau genommen ein großes Haus, und nun hatte sich sogar herausgestellt, daß von dieser Frau Linien zu Frau von Klein führten, über irgendwelche Bekanntschaften hinweg. Frau von Klein erklärte am Telephon diese Einladung für» sehr wichtig «und konferierte mit Ina, was da anzuziehen sei. Man erinnert sich, daß Hans und Ina einig gewesen waren, in Frankfurt kein solches Gesellschaftsleben beginnen zu wollen wie in Hamburg und daß sie sich gegenseitig versichert hatten, wie froh sie doch sein müßten, in Frankfurt niemanden zu kennen. Aber nun zeigte Ina in einem Ernst, der nicht von ihr weichen wollte, daß sie sich auf diese Einladung freute und daß die Kombination der Gastgeber ihr besonders bedeutsam vorkam. Der Sportsmann war mit Hans verbunden, seine Freundin hingegen mit Frau von Klein! Das ließ etwas zusammenfinden, was sonst auseinanderstrebte.

Das Fest sollte am Sonntagabend stattfinden. Hans konnte nach den nächtlichen Aventüren ausschlafen, und das gelang ihm auch. Er schlief in die wachsende Hitze hinein, die dem Schlaf am Tag auf einmal gar nicht hinderlich war. Als er erwachte, war Ina längst aufgestanden und saß angezogen und telephonierend an einem Frühstückstisch, den sie schon wieder abräumte, als ihre Mutter anrief.

Schade, dachte Hans, wußte aber noch nicht, worauf dies Bedauern sich bezog. Im Badezimmer wurde es ihm klar. Er hatte mit Ina im Bett liegen und in der morgendlichen Trödelei allmählich in Zärtlichkeiten hineingeraten wollen, um schließlich spielerisch, geradezu beiläufig, wie sich das bei ihnen entwickelt hatte, mit ihr zu schlafen. Das war eine Stimmung, eine Laune, eine Geneigtheit gewesen, aber jetzt, wo der Augenblick verpaßt war, wurde etwas anderes daraus. Die hinter der Nonchalance versteckte handfeste Lust regte sich, man möchte sagen, mürrisch. Ihr war der Kopf abgeschlagen, nun hockte ihr Rest stumpf und drängend in seinem Körper und schuf dort eine ungute Spannung. Die war sogar in den Händen spürbar, als wäre in die Blutgefäße etwas hineingegossen worden, das sie dick werden ließ. Schlechte Laune, die eigentlich die notwendige Folge dieser körperlichen Verstimmung gewesen wäre, wollte er sich nicht gestatten. Statt dessen faßte er beim Rasieren den ruhigen Entschluß, Ina auf jeden Fall noch vor dem Ausgehen ins Bett zu bekommen. Das war jetzt ein Programmpunkt geworden, so wie er gleichfalls vor dem Ausgehen noch seine Mails beantworten und einen Kleiderhaken im Badezimmer anbringen wollte, worum Ina ihn nun schon tagelang bat.