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Nachdem er gefrühstückt hatte, wünschte Ina spazieren zu gehen, ein selten geäußerter Wunsch. Es war Hans einen Augenblick lang, als spüre sie, was sie in der Wohnung über kurz oder lang erwarte. Er hatte recht einsilbig bei seinem Kaffee gesessen. Gut, gingen sie also spazieren.

Auf der Straße empfing sie die nun schon vertraute Ofenhitze. Man werde noch bedauern, wenn es dann irgendwann doch einmal kühler würde, sagte Hans, und Ina stimmte ihm zu, in diesem Punkt war man sich also einmal einig. Sie waren nicht die einzigen, die bei diesem Wetter am Fluß promenieren wollten. Eine leichtbekleidete Menge schob sich die Kais entlang, auf den Rasenflächen lag man ausgezogen. Es war, als habe der von Wittekind geforderte innerstädtische Flußbadebetrieb schon begonnen. Vom Wasser kam keine Erfrischung. Über die Gasse, die der Fluß zwischen die Stadtteile legte, blies es warm. Der Fluß roch nicht schlecht, aber auch nicht gut, wie ein stehender Tümpel voller Mücken, man konnte sich den Geschmack eines Fisches aus diesem Wasser vorstellen. Auf dem Deck eines Hausbootes tranken sie Eiskaffee. Das war wieder ein Ritardando, wie Hans empfand. Es war schon halb fünf, wie die goldenen Zeiger der Dreikönigs-Kirchturmuhr gewissenhaft anzeigten. Hans und Ina betrugen sich wie Leute in einer fremden Stadt, die bis zu einer bestimmten Verabredung die Zeit totschlagen müssen. Die Spannung machte Hans stumm, so sehr er sich auch bemühte, nicht unfreundlich zu sein. Vielleicht wäre es seinem geheimen Wunsch angemessen gewesen, daß er sich um Ina besonders bemüht hätte, daß er versucht hätte, mit ihr zu lachen — was bisher eigentlich immer gelang — oder sie mit verlockenden Reiseplänen zu unterhalten oder ihr zu sagen, daß er sie schön finde, aber dies alles kam überhaupt nicht in Frage. Er fand, daß er nach dieser längeren Entbehrung als langjähriger Freund und neuer Ehemann Ina nun nicht eigens anzuwärmen und in Stimmung zu bringen habe. Er fand, daß sie angesichts ihrer bisherigen Gewohnheiten selber wissen müsse, wie ihm zumute war. Ein Ausdruck wie» eheliche Pflichten «wäre ihm nicht über die Lippen gekommen, aber das Paket von heimlichen Wünschen und Gedanken, das ihm auf der Brust lag und ihm das Sprechen unmöglich machte, hätte sich in dieser juristischen Formel durchaus wiedergefunden.

Zu Hause waren sie um kurz vor sechs, um sieben mußten sie aufbrechen. Zu einem Fest der Liebe war das nicht viel Zeit. Kaum waren sie in der Wohnung, begann Hans Ina stürmisch zu umarmen. Sie ließ das geschehen, ohne weiter darauf einzugehen. Sie verstand, was es geschlagen hatte, aber sie verwies, nicht unfreundlich, darauf, wie spät es sei und daß sie sich ungern in Eile fertigmache. Könnten sie nicht lieber ein bißchen früher aufbrechen dort? Es sei morgen Montag, da brauche man nicht lange bei den Leuten auszuharren. Aber er ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen. Er fühlte, daß er nicht die Kraft besaß, die Liebe jetzt aufzuschieben, im unveränderten Zustand von heute Nachmittag auf dieses Fest zu gehen, dann doch spät zurückzukommen und müde zu sein. Nein, jetzt. Er drängte sie ins Schlafzimmer. Sie legte sich ohne weiteres Widerstreben aufs Bett und ließ sich von ihm ausziehen. Er stellte fest, daß seine Hände flogen. Er suchte das zu verbergen. Er lag neben ihr, streichelte sie, sie ließ es geschehen, aber rührte sich selber nicht. Sie wartete. Er küßte sie, sie ließ sich küssen, wich ihm nicht aus, aber sah ihn dabei kühl an.

«Viel Zeit haben wir nicht mehr. «Sie sah auf den Wecker, während er ihren nackten Körper streichelte.

«Ich habe ja gesagt, es muß nicht jetzt sein«, sagte sie, nun doch um einen liebevolleren Ton bemüht. Er war ihr sogar dankbar für die kleine Brücke, die sie ihm baute. Obwohl nichts von dem geschehen war, was er sich ersehnt hatte, waren sie zerrauft, ihre Gesichter gerötet, ihre Körper naß von Schweiß. Im Badezimmer vermieden sie sich anzusehen. Auf Ina wartete ein regelrechtes Arbeitsprogramm, das Haarewaschen, Trocknen mit dem laut sausenden Föhn, das Schminken, das Anziehen — sie war schnell und geübt, aber seine Zeit brauchte das doch. Er war sogar für das verhaßte Föhnsausen dankbar, denn es vertrieb die Stille, die der Ausdruck einer Peinlichkeit war, die alles erfüllte.

Obwohl sie einen Stadtplan besaßen, war es schwer, das Haus ihrer Gastgeber zu finden. Es lag in einem besonders häßlichen neueren Villenviertel am südlichen Rand der Stadt. Hier oben waren die Straßen ausgestorben. Wer hier wohnte, war jetzt in Sommerferien. Frau von Klein hätte in diesen Straßen eine sie beruhigende Fülle von Walmdachbungalows gefunden. Dichte Wäldchen aus Douglasfichten begrenzten die Grundstücke, durch niedrige schmiedeeiserne Gartentörchen, vorbei an mit glänzenden Messingposthörnchen geschmückten Briefkästen ging es auf asymmetrisch verlegten Steinplatten zu den Haustüren, an denen enorme Messingtürklopfer prangten. Schließlich hatten sie das Haus gefunden, Nummer zwölf lag in einer Sackgasse am Ende, für die hiesigen Verhältnisse ein begehrtes Grundstück.

Sie fanden sofort einen Parkplatz. Seltsam, dachte Hans, waren nicht Scharen von Leuten eingeladen? Es war still. Waren sie zu früh? Tatsächlich, etwas zu früh. Sie warteten schweigend fünf Minuten im Auto. Sie stiegen aus und klingelten. Nichts rührte sich. Die Rolläden waren heruntergelassen. Sie öffneten das Gartentörchen und gingen um das Haus herum in den Garten. Dort lag eine kahle Wiese, die großen Fenster waren mit Scherengittern verrammelt. Ina lauschte.

«Ich höre Stimmen. «Auch Hans legte sein Ohr auf die Scheibe. Tatsächlich, das waren Stimmen, dazu gedämpfte Musik.

«Das ist ein Fernseher«, sagte er nach einer Weile. Wasser plätscherte im Nachbargarten. Hans sah durch die Zweige der Douglasfichte einen älteren Mann im Unterhemd mit einem Wasserschlauch. Das Fest habe gestern abend stattgefunden, sagte der Mann, es sei schrecklich laut gewesen, am liebsten hätte er die Polizei geholt. Er war immer noch zornig.

«Wenn Ihnen niemand öffnet, ist das wohl ein Zeichen, daß niemand zu Hause ist«, sagte er mit zänkischer Logik.

Solche Dinge kommen vor und sind eigentlich der Rede nicht wert, aber an diesem Abend hätte dieser Fehlschlag dann doch nicht passieren dürfen. Ina hatte sich Mühe gegeben und sah so elegant aus, wie es zu ihrer Mädchenhaftigkeit eigentlich gar nicht paßte, sie wirkte älter. Die beiden hatten in ihrem Feststaat wirklich etwas von Kindern, die Besuchen spielen und sich verkleidet haben. Verrammelt und zugeschlossen stand das Haus vor dem allmählich grau werdenden Himmel. Als Ina verstanden hatte, daß das Fest seit vierundzwanzig Stunden vorbei und nichts daran zu ändern war, verlor sie die Fassung. Sie drehte Hans schroff den Rücken zu und ging langsam allein die Straße hinunter, um ihre Entgeisterung zu überwinden. Sie fühlte, daß sie ihn jetzt am liebsten angeschrien hätte. Was war das? Welch ein Zorn brach sich hier die Bahn? Ein Zorn, der stärker war als sie, das fühlte sie genau. Es gelang ihr sogar, sich in diesem Zustand zu beobachten.