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Der Szenenwechsel im Treppenhaus hätte harscher nicht ausfallen können. Innen weiches Kerzenlicht, blitzende Augen, Lachen und Freundschaftlichkeit, und hier draußen war es kahl und unbequem. Und das Hocken auf einer harten Treppenstufe, das würde er nun ein paar Stunden auskosten dürfen, denn er hatte den Wohnungsschlüssel Ina gegeben und kam nicht in die Wohnung. Er klingelte Sturm und nichts rührte sich. Hans wußte warum. Ina tat sich neuerdings rosa Wachsstopfen in ihre kleinen Ohren, ein Hochzeitsgeschenk ihrer Mutter, die ihr erklärt hatte, neben einem Ehemann könne man es auf Dauer nur mit solchem Wachs in den Gehörgängen aushalten. Hans sah in diesen Wachsstopfen einen Rückzug von ihm, Ina zog die Zugbrücke hinauf und isolierte sich, war unansprechbar und tauchte, wenn er sie schließlich an der Schulter berührte, aus ozeanischen Tiefen auf, wo sie sich glücklich und allein aufgehalten hatte. Das Telephon hörte sie, derart sicher verschanzt, ebenfalls nicht. Sie hatte es aber darüberhinaus auch abgeschaltet, damit nur ja nichts eindringe in ihren Schlaf. So war der Erfolg ungewiß, wenn er an die Wohnungstür mit der hohen Milchglasscheibe trommelte. Es konnte gut sein, daß jeder im Haus von dem Höllenlärm erwachte, nur Ina nicht. Was macht der Weltmann in solcher Lage? Er holt den Schlüsseldienst oder nimmt ein Hotelzimmer. Der Äthiopier würde ihm in seiner Amtsgewalt als Nachtportier im» Habsburger Hof «gewiß ein Bett geben.

Der Minutenbrenner trug seinen Namen zu Recht, nach zwei Minuten ging das Licht im Treppenhaus immer wieder aus, dann drückte er auf den Knopf und es ward hell. Britta war unten noch räumend auf und ab gegangen, sie bemerkte durch die Glasscheibe ihrer Wohnungstür, daß es im Treppenhaus nicht dunkel wurde. Einen Spalt öffnete sie die Tür und sagte mit halblauter Stimme, fragend:»Hans?«

Er kam die Treppe heruntergeschlichen. Britta sprach weiter gedämpft, denn Elmar sei schon eingeschlafen. Sie war gelassen und sicher, ihre Anordnungen duldeten keinen Widerspruch. Ihr Bett sei breit, er strecke sich da jetzt neben ihnen aus, das sei das Einfachste. Sie trug schon ein Nachthemd, etwas grünlich Seidenbesticktes aus Arabien, ihr Haar war offen. Sie löschte überall das Licht und ging ihm ins Schlafzimmer voran. Viel Mond war nicht mehr da, aber die Sichel stand stechend weiß am Himmel und schien in das dämmernde Zimmer, in dem Wittekinds ruhige Atemzüge zu hören waren. Das Bett war wirklich sehr breit. Britta kniete sich ans Fußende und ließ sich auf die Mitte nieder, Hans zog Jacke, Hemd, Hose und Schuhe aus und legte sich neben sie, in großer Behutsamkeit und dem Bestreben, sie nicht zu berühren. Den linken Arm ließ er auf den Boden hängen, so weit war er an den Bettrand gerückt. Er sah ins Dunkle, lag still wie die Statue auf einem Katafalk und roch den reinen Zahnpasta-Atem Brittas. Er war nicht sicher, ob es ihm gelingen würde einzuschlafen. Der Arm, der aus dem Bett heraushing, schmerzte schon.

Dann fühlte er, wie Brittas Körper sich ihm näherte und sich an ihn schmiegte, und es war ihm, als sei jedes Fleckchen seiner Haut, das mit ihrem Körper in Berührung kam, mit festen, zarten Fäden darangebunden. Die Körper wuchsen aneinander. Er antwortete auf ihre Bewegung und tastete nach ihr, und alles, was seine Hand berührte, hob sich ihm entgegen. Dennoch wagte er nicht, sich ganz zu ihr herumzudrehen und sie ganz und gar zu umarmen, bis Britta ihm ins Ohr flüsterte — alle Nackenhaare stellten sich ihm auf bei diesem Hauch:»Es stört ihn nicht, er möchte, daß ich glücklich bin. Er hat nichts dagegen. Bei dir schon gar nicht, wir haben darüber gesprochen. «Hielt sie den Atem an, als sie ihn küßte? Weiterschlafen sollte Wittekind offenbar dann doch. So verborgen, mit so wenig äußerer Bewegung und Aktion, so schnell und erfahren wurde die Liebe vielleicht nicht einmal in einem von der ganzen Sippe bewohnten Mongolenzelt gemacht. Doch als Hans später noch einmal erwachte und den Kopf wandte — einen langen Augenblick wußte er nicht, wo er war, schon zuckte seine Hand nach einem Lichtschalter —, da sah er Wittekinds Silhouette im Bett auf den Ellenbogen aufgestützt, ganz schwarz war das Gesicht, aber ein Lichtstrahl von draußen streifte seine großen vorstehenden Augen und setzte ein kaltes schwefliges Glimmen hinein, bevor alles wieder im Dunkel versank. Hans schloß die Augen sofort. Die alte Kinderüberzeugung kam zu ihrem Recht: Was ich nicht sehe, das sieht auch mich nicht.

Wie werden solche Affären abgewickelt? Entweder es kommt zu großen Katastrophen, oder der Weg zurück in den Alltag ist verdächtig bequem gebahnt. Man erinnert sich, daß Hans manchmal genau dann aufzuwachen vermochte, wann es erforderlich war, und hatte er noch so kurz davor geschlafen. Ohne groß nachzudenken, raffte er seine Kleider zusammen und schlich sich aus der Wohnung. Vor der eigenen zog er sich an. Alsbald saß er im Morgengrauen wieder im Smoking da, als hätte er die ganze Nacht getanzt. Und nach einer Weile — eine halbe Stunde mochte er da schon gehockt haben, lange genug, um glaubwürdig zu hocken auf jeden Fall — versuchte er noch einmal, ohne größere Hoffnung, eine Klingelattacke. Diesmal wurde ihm aufgetan.

Ina war, nachdem sie sich so früh ins Bett gelegt hatte, auch früh erwacht und hatte zu ihrer Beunruhigung soeben festgestellt, daß sie allein im Bett sei. Im Wohnzimmer auf dem Sopha war auch kein Hans. Da klingelte es. Der Arme hatte auf der Treppe übernachtet. Hans tat nichts, um ihren Irrtum zu berichtigen, solange der mit Bedauern und Schuldgefühlen verbunden war. Er sah so verwüstet aus, wie es der Nacht, die er hinter sich hatte, entsprach. Am schlimmsten hatte wahrscheinlich doch der Gin gewirkt. Ina sah ihren zerstörten Mann, und eine Rührung wie in früheren Tagen kam in ihr auf. Sie ging in die Küche und kochte Kaffee. Derweil verschwand er im Badezimmer. Unter der Dusche fühlte er sich gerettet. Er hatte geglaubt, Brittas Geruch, diesen sehr zarten, aber für sie bezeichnenden Geruch nach etwas mild Meersalzigem, vermischt mit Banane, noch an sich zu tragen, und das tat er wahrscheinlich auch. Unter dem kalten Wasser wurde das Kleid der Nacht nun abgewaschen. Es war wie eine Taufe, die alle Klebrigkeit der Vergangenheit auflöste und wegspülte. Der gewaschene Mensch war der gute Mensch. So mußte einem betrunkenen Landstreicher zumute sein, wenn er ohnmächtig aus dem Rinnstein gesammelt und ins Krankenhaus gebracht wurde und dort in einem sauberen Bett und gewaschen erwachte.

In das Hochgefühl der moralischen Wiederherstellung fuhr aber ein gewaltiger Schreck, als die Wasserstrahlen über seine schaumigen Hände rannen und die Haut unter den Schaumpolstern wieder hervorkam. Wohlgeformte Hände hatte Hans. Bei ihrem Anblick hätte er nicht zu erschrecken brauchen. Alle Finger waren da, die Hände waren heil und schön. Und sie waren so nackt wie der Mann, zu dem sie gehörten.

Der Ehering war weg. Hans trug den Ehering immer noch ungern. So schmal der rotgoldene klassische Reif war, er belästigte ihn. Ihm war, als sitze eine dicke Fliege auf der Hand, und er spielte mit dem nicht sehr festsitzenden Ring gern herum, um den kleinen störenden Druck an immer derselben Stelle vergessen zu machen. Aber ablegen tat er ihn nicht mehr. Vor der Hochzeit hatten sie eine kleine Debatte über Ringe. Er wollte Ina einen schönen, wertvollen alten Ring schenken, und das sollte es dann sein. Sie sollte diesen Ring tragen — der mit seinem großen Stein natürlich keine Ähnlichkeit mit einem Ehering haben würde —, und seine eigenen Hände blieben frei. Den bewußten Ring wollte Ina gern annehmen, in der Frage der Eheringe ließ sie aber nicht mit sich handeln. Er komme sich mit dem Ring wie eine auf der Vogelkoje in Sylt beringte Wildgans vor, sagte Hans, aber Ina entgegnete, genau das sei er ja auch, das sei eben auch der Zweck der gesamten Hochzeitszeremonie: Beringung, und das heiße eben wie bei den Wildgänsen auch Überwachung. Sie ging nicht soweit, von einer — auf andere Frauen jedenfalls — enterotisierenden Wirkung von Eheringen zu sprechen, aber es war klar, daß sie etwas Ähnliches meinte.