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«Du trägst einen Ehering«, sagte Ina, und also tat er das, bis heute morgen jedenfalls.

Wo war der Ring? Das war die eine drängende Frage. Wann würde Ina sein Fehlen bemerken? Das war die andere, noch drängendere. Er konnte es mit einer harmlosen Lüge versuchen, was die Franzosen mit ihrer Neigung, eine Fachterminologie für heikle Lebenssituationen zu entwickeln,»un mensonge blanc «nannten. Der Ring konnte ihm unversehens vom Finger geglitten sein, so verloren doch die Frauen beständig ihre Ringe. Frau von Klein vermißte regelmäßig irgendwelches Geschmeide und verbrachte viel Zeit mit Versicherungskorrespondenz, dabei durchaus nicht nur zu» mensonges blancs «ihre Zuflucht nehmend. Aber Eheringe verlor man auf diese Weise keinesfalls. Und er mußte für möglich, ja für hoch wahrscheinlich halten, den Ring in einer Situation verloren zu haben, in der dieser Verlust ein böses Zeichen war.

Ina trug das Tablett mit Kaffee und kleinem Frühstück ins Wohnzimmer. Sie wollte es ihm offenbar schönmachen und ihn nicht vor dem Eisschrank ein Brot herunterschlingen lassen. Sie öffnete die Fenster, das feine Quietschen drang bis zu ihm. Wie an einer Schnur gezogen, ging er aus dem Bad in die Küche. Dort stand das Glas mit Siegers schmutzigen Reisepfennigen. Er rührte mit den Fingern darin herum, es blitzte rotgolden. Der Ring paßte ganz gut, er war vielleicht etwas weniger weit als der verlorene. Obwohl er noch nackt war, hatte Hans das Gefühl, nun vollständig und geradezu korrekt angezogen zu sein, er wäre in diesem Augenblick so wie er war sogar vor die Tür gegangen.

Das Naheliegende wäre gewesen, sowie er sich im Büro ungestört wußte, Britta anzurufen und nach dem Ring zu fragen. Kam ihm eine der vielen Devisen Wittekinds in den Sinn, mit denen der Ältere den jungen Mann gestern abend so glänzend unterhalten hatte?» Man muß sich daran gewöhnen, in allen Lebenslagen niemals erwartungsgemäß zu handeln. Man frage sich stets: Was wäre jetzt das Naheliegende? Und tue dann das Gegenteil. «Aber nach solchen Späßen, die er eben noch so vorbehaltlos bewundert hatte, war ihm jetzt nicht zumute. Er fühlte eine Scheu, mit Britta zu sprechen, und schon gar über seinen Ehering. Der Ehering ging sie nichts an. Er wußte überhaupt nicht, wie an das gestrige oder vielmehr frühmorgendliche Ereignis anzuknüpfen wäre. Er wußte nicht, wie man sich in solchen Fällen verhielt, als gebe es auch hierfür Regeln im Sinne der bewußten französischen Terminologie. Er gab sich zu, die Umarmung mit Britta seit Tagen schon mit jeder Faser ersehnt zu haben. Er sah sich nun gar nicht mehr durch Verkettung wunderlicher Zufälle in diese Arme hineingeraten, sondern auf so geradem Wege, als habe er das bewußt angesteuert und sei wohl gar der eigentlich Handelnde gewesen. Hans liebte es, Verantwortung zu übernehmen — wer diesen Zug an ihm erkannte, konnte sich das vielfältig zunutze machen. Es handelte sich um eine Art Größenwahn aus gutem Charakter. Was aber sollte jetzt geschehen? Wie sollte es weitergehen? Wie würde man sich begegnen? Wie würde er Wittekind in die Augen sehen? Dabei fiel ihm ein, daß er ihm in dieser Nacht bereits in die Augen gesehen hatte, und ihn schauderte. Gab es denn keine Möglichkeit auf Erden, das Geschehene ungeschehen zu machen, es nur für einen Traum in schwerer Betrunkenheit gelten zu lassen? Mußte denn alles, was sich einem in Hirn und Adern bewegte, ans Licht, und sei es nur an das Kerzenlicht einer stimmungsvoll erleuchteten Wohnung, und dort zu einem unumstößlichen, vom Willen nicht mehr zu beeinflussenden Faktum werden? Mußte man sein ganzes Leben mit der Last einer solchen Entgleisung herumlaufen, die sich schon jetzt in der Erinnerung etwas undeutlicher darstellte — manche Nebenumstände davon jedenfalls, denn während die meisten Menschen sich ihrer gehabten Lust gegenüber höchst treulos verhalten, steckte sie Hans tief in den Knochen. Die Hohlräume, aus denen der Mensch bestand — wer hatte das doch gleich vorgetragen und behauptet? — waren bei ihm bis zu angstvollem Platzen gefüllt.

*

Sich bei dem festefeiernden Sportsmann für das unentschuldigte Ausbleiben zu entschuldigen, war noch die kleinste Unannehmlichkeit dieses Tages, obwohl der enttäuschte Gastgeber nicht-sportliche Ereignisse auch nicht sportlich nahm und Hans die Entschuldigung einigermaßen schwer machte. Aber was war das verglichen mit dem, was ihn abends zu Hause erwartete! Ina saß brütend im Wohnzimmer, wo noch das Kaffeegeschirr vom Vormittag stand, und rührte sich nicht, als er sie begrüßte. Eine böse, ja die böseste Ahnung befiel ihn. Sie hatte mit jemandem gesprochen. Sie hatte Wittekind auf der Treppe getroffen. Sie hatte es erfahren.

Nein, nichts von alledem. Etwas ungreifbar Schlimmeres war geschehen. Als er ihren Kopf zu sich hob, um sie zu zwingen, ihn anzusehen, drehte sie ihn zunächst weg, brach dann aber in ein heftiges Weinen aus. Da öffneten sich die sprichwörtlichen Schleusen. Das Weinen ergriff, wie bei kleinen Kindern, den ganzen Körper. Sie ließ sich von gutem, sanftem Zureden nicht trösten. Als sie sich etwas beruhigt hatte, sagte sie, und in ihrer Stimme kündigte sich ein erneuerter Erregungsschub an:»Ich werde in dieser Wohnung verrückt. Es hat schon so schlimm mit der Taube angefangen, die sich hier zu Tode geflattert hat, und nun geht es immer weiter. «Was gehe weiter?

Es komme eben gar nichts mehr ins Lot, es stimme einfach überhaupt nichts mehr. Hans war darauf gefaßt, daß sie eine grimmige Anklage gegen ihn vorbereitete, aber wieder blieb er verschont — wenn er sich denn in dieser Aufregung als verschont betrachten wollte. Sie könne ihren Augen nicht mehr trauen, sagte Ina. Sie habe, nachdem er gegangen sei, auf die Straße geblickt, zur Seite von Souads Autowaschanlage, und da sei die Autowaschanlage plötzlich einfach nicht mehr da gewesen — weg —, als habe es sie nie gegeben. Lange habe sie da hinuntergestarrt. Die Lücke, die die Autowaschanlage hinterlassen haben mußte — sie hatte allein schon ein riesiges Garagentor —, sei restlos ausgefüllt gewesen, kein Mensch habe ahnen können, daß hier einmal diese elende Waschanlage gewesen sei. Und nachdem sie sich die Augen gerieben habe und vom Fenster zurückgetreten sei und sich beruhigt und gesammelt habe, sei sie schließlich wieder ans Fenster gegangen und habe hinausgesehen — und da sei die Waschanlage wieder da gewesen — geräuschlos wieder aufgetaucht, habe Steine und Türen und Fenster beiseite geschoben und befinde sich nun wieder an der alten Stelle. Er könne dazu sagen, was er wolle, alles — nur eines nicht: daß sie nicht gesehen hätte, was sie gesehen habe. Diese Worte sagte sie mit vorauseilender Härte, als müsse sie sich schon bei dem bloß Zuhörenden gegen die Zumutung des Unglaubens wehren.

XII

Zwischen Beunruhigung und Erleichterung schwankte Hans, aber die Erleichterung war zunächst stärker. Daß Ina ihm keine Vorwürfe machte, daß sie keine Rechenschaft für die letzte Nacht forderte, ließ ihn aufatmen, und aus einer gerade überwundenen furchtsamen Reue wurde fürsorgliche, anteilnehmende Überlegenheit, in die sich auch ein kleines wohlverborgenes Lächeln mischte, wenn Ina nicht hinsah, und sie mied seinen Blick, das war in den wechselnden Stimmungen der letzten Tage zu einer Konstante geworden. Betont ruhig stellte er Fragen. Wo habe sie gestanden? In welchem Winkel habe sie aus dem Fenster gesehen? Er führte sie an das rechte äußere Fenster, das auf eine ähnliche Häuserzeile wie das linke blickte, auch Buntsandsteinhäuser standen hier vereinzelt, dazwischen die armen Wiederaufbau-Fassaden, durchaus mit dem Bild aus dem anderen Fenster vergleichbar, aber eben ohne Souads Waschanlage. Konnte es sein, daß sie zunächst aus dem einen, dann aus dem anderen Fenster geguckt hatte? Er selbst tue sich immer noch schwer damit, rechts und links auseinanderzuhalten; dieses scherzhafte Eingeständnis einer kleinen Schwäche erntete einen blitzenden Verachtungsblick. Hans suchte daraufhin einen anderen Zugang zu ihr. Im Grunde entspreche ihr Erlebnis seinen eigenen Empfindungen und wahrscheinlich denen vieler Menschen, ohne daß jemals darüber gesprochen werde. Sei es nicht eigentlich ein Wunder, was man erlebe, wenn man ein dunkles, aber wohlvertrautes Zimmer betrete und das Licht anmache? Sei es nicht jedes Mal eine geheime Überraschung, daß da alles so dastehe, wie man es im Gedächtnis behalten habe? Er selbst habe als Kind lange geglaubt, die Sachen tauschten in der Dunkelheit die Plätze und rasten, noch während man auf den Schalter drückte, zu ihrem alten Standort zurück, wo sie gleichsam atemlos stramm standen, wenn es hell wurde — aber wer genau hinsah, konnte Sessel und Kommoden noch nach Luft ringen sehen. Die Möbel machten aus der Betätigung ihrer verborgenen Selbständigkeit eine militärische Übung.