Выбрать главу

«Man kann nicht alles haben«, sagte der Makler. Dem jungen Mann fiel verwundert die Grobheit des Maklers auf.»Sie müssen sich sofort entscheiden, die Wohnung ist eigentlich schon weg.«

War es wirklich ein guter Einfall, ohne Ina auf Wohnungssuche zu gehen? Der junge Mann spürte schmerzlich seine Unfähigkeit, sich die Wohnung in renoviertem und verschönertem Zustand vorzustellen. Grausiges mußte auf diesem Boden und zwischen diesen blutroten Wänden vor sich gegangen sein. Eine tote Luft stand in den Räumen, die gewiß zu vertreiben gewesen wäre, wenn man die Fenster geöffnet hätte, aber jetzt war es wie bei einem Menschen mit widrigem Geruch, der durch ein Bad eine Weile zurückgedrängt werden mag, der einem aber in dieser Höchstpersönlichkeit die Lust am näheren Umgang mit dem Bedauernswerten ein für allemal vertreibt. Er fühlte sich dem Makler gegenüber dennoch wie ein Schwächling, als er gestand, die verlangte augenblickliche Entscheidung jetzt nicht fällen zu können. Ihm war, als sage er dem ganzen eben noch so bewunderten Stadtviertel mit diesem Unvermögen Lebewohl. Leicht hatte er sich seine Absage nicht gemacht.

Als er wieder auf der Straße stand, war der Mond auf dem immer noch blaßblauen Himmel aufgegangen. Zum Vollmond fehlte noch soviel, als habe man mit einer Nagelschere von der runden Scheibe eine hauchzarte Sichel weggeschnitten. Die Straße war immer noch schön, aber diese Schönheit hatte jetzt etwas Kulissenhaftes angenommen.

II

«Eigentlich ist es doch gleichgültig, wo man wohnt«, dachte der junge Mann, nachdem er siebzehn Wohnungen in schönen, weniger schönen und trostlosen Wohnvierteln besichtigt hatte. Alles, was man ihm gezeigt hatte, war unerhört teuer gewesen. Die Hälfte seines Einkommens, das für ein Anfängergehalt recht nett war, würde auf die Wohnung draufgehen, so sah das nach dieser ersten größeren Recherche aus. Und geboten wurde für das schrecklich viele Geld wenig. Auch ein Mann, der über einen etwas begabteren Blick auf Räume und die in ihnen ruhenden Möglichkeiten verfügt hätte, ein Mensch mit einem Minimum dekorativer Phantasie, wäre bei diesem Angebot an die Grenzen seines Vorstellungsvermögens geführt worden. Die einzige große, geradezu prachtvolle Wohnung, die geheimnisvollerweise bezahlbar gewesen wäre — hatte sie etwa Kakerlaken? — , schnappte ihm ein Rechtsanwaltsehepaar vor der Nase weg. Der Hauswirt ließ durchblicken, daß ihm verheiratete Mieter am liebsten wären, und der junge Mann, der notgedrungen allein auftrat, sah offenbar noch nicht verheiratet genug aus. Der neue Zustand war in seine Physis noch nicht eingedrungen. Ja, selbst der schmale Ehering war ihm noch lästig, er lag auf dem Nachttisch in der Pension, keineswegs aus bedenklicher, sich bereits distanzierender Haltung zur Ehe heraus, im Gegenteil, er war voll Sehnsucht und rief dreimal am Tag bei Ina an.

Sie war heiter und freute sich auf ihre Rückkehr und die Wohnung, als gebe es die schon. Er verschwieg ihr, wie schwer das Suchen war, denn er wollte vermeiden, daß Frau von Klein einen skeptischen Kommentar zu seinen organisatorischen Fähigkeiten abgab. Er hatte zwar gesehen, daß die Sarkasmen seiner Schwiegermutter an Ina abperlten, ohne richtig wahrgenommen worden zu sein — Ina sah bei allem, was ihre Mutter sagte, nur deren bemitleidenswerte Einsamkeit und Witwenschaft —, aber es war ihm die Vorstellung beständigen Einträufelns von Bosheit in die winzigen Ohrmuscheln seiner Frau doch eine tiefe Beunruhigung. Wie es sich eben mit Salzsäure verhält: Irgendwann ist die dickste Schutzschicht weggeätzt.

Die neue Gleichgültigkeit gegenüber Art und Lage der eigenen Wohnung, die der junge Mann so souverän formulierte, war aber weniger das Ergebnis seiner Erschöpfung, als der Versuch, die Lebensgrundsätze eines von ihm sehr geschätzten, bereits jetzt erfolgreichen Kollegen zu übernehmen, der freilich noch unverheiratet war.

«Ich brauche ein großes Bett und eine Badewanne«, sagte dieser braungebrannte, sportliche Mann, dessen Anzüge ihn so starr und knapp umschlossen, als seien sie aus biegsamem Leichtmetall geschmiedet.»Und das Ganze bitte über einem Fitneßstudio und fünf Minuten zu Fuß von der Firma. «Eine ganze Weltanschauung lag in diesem Programm. Wenn er sie schon nicht im Ganzen übernehmen konnte, wollte der junge Mann sie doch wenigstens als Haltung ausprobieren.

«In zwei Jahren müssen Sie hier ohnehin weg sein — sonst haben Sie etwas falsch gemacht«, diesen Satz des Kollegen teilte er Ina mit, denn ein bißchen sollte sie schon fühlen, unter welchem Druck er hier stand. Das neue Bild von einer Karriere — nicht, wie einstmals, die übertragene Tätigkeit immer besser zu verstehen und immer vollkommener zu durchdringen, bis man Meister geworden war, sondern jede Beschäftigung nur als Übergang, nur als Sprungstein für eine ganz andere zu begreifen — hatte für ihn noch etwas Berauschendes, da konnte die Wohnungsfrage wirklich nicht die erste Geige spielen. Es schmeichelte ihm aber, daß Ina sich so fest auf ihn verließ. Er erinnerte sich, wann sie ihm das erste Zeichen solch unbeschränkten Vertrauens gegeben hatte, aus ganz harmlosem Anlaß. Er hatte sie, ohne daß es verabredet war, vom Bahnhof abgeholt, und sie sagte:»Ich wußte, daß du kommst. «An diesem Tag war ihr Liebesverhältnis in ein neues Stadium getreten.

*

Lange war der junge Mann der sinkenden Nacht mit seinem Sportrad entgegengefahren. Er hatte die Steigungen und Senkungen des Frankfurter Terrains kennengelernt, den Tiefpunkt des Geländes am Fluß und den allmählichen Anstieg, mit dem bloßen Auge kaum wahrnehmbar, dafür aber mit den Waden, die kräftiger treten mußten. An diesem Sommerabend rückten die Taunus-Berge näher, bläulich und mit den fließenden Linien eines gelassenen Ein- und Ausatmens. Obwohl dies Mittelgebirge nicht zu schroffen Höhen ansteigt, war es jetzt als große Masse, als mächtiger Gebirgskörper spürbar. Die Stadt lag in einem weiten, aber wohldefinierten, sich nicht formlos verlierenden Raum. Hier oben, vom Stadtzentrum schon recht weit entfernt, denn die Anhöhe schluckte den Blick auf die untere Hälfte der Hochhäuser und ließ sie nur noch mit ihren Dachgeschossen aus dem Gelände wie aus einem Sumpf aufragen, zogen sich Straßen mit kleinen Villen entlang. Der Zerfall des festen Stadtgefüges bereitete sich vor, obwohl das eigentliche Ausfransen noch nicht begonnen hatte. Die Schatten der Nacht ließen das Bergmassiv geschlossen und fern erscheinen und verbargen, daß die Siedlungen bis weit die Hänge hinauf kein Ende nahmen.

Es schien dem jungen Mann jetzt völlig aussichtslos, in dieser Stadt Fuß fassen zu wollen. Gerade diese kleinen Villen, von denen die eine oder andere Ina vielleicht sogar gefallen hätte, sahen auf geradezu endgültige Weise bewohnt aus. Der Fahrtwind trocknete den Schweiß auf seiner Stirn. Es war, als gleite er auf einer Schiene voran.

Die letzten Tage waren anstrengend gewesen, und davor lag ja die in der Erinnerung zwar schon ferngerückte Groß-Aufregung der Hochzeit, die sein Körper aber noch keineswegs überwunden hatte. In seinem Pensionszimmer überfiel den jungen Mann eine Müdigkeit, die ihm das bloße Ausziehen zur Last werden ließ. Er warf die Kleider auf den Boden. Sie aufzuhängen fehlte die Kraft. Wie spät war es? Der Wecker war stehengeblieben. Konnte die Hitze die Uhren stehen lassen? Das schien auf einmal möglich. Bevor er in tiefen Schlaf sank, fiel ihm noch ein, daß er für morgen Vormittag um zehn eine Wohnungsbesichtigung verabredet hatte. Die Wohnung kam nicht vom Makler und war erheblich billiger als das bisher Gesehene. Aber das hieß, daß er an einem Samstagvormittag, der ersten Gelegenheit auszuschlafen, hätte aufstehen müssen. Er blickte zum Wecker hinüber. Wie wäre das Erwachen möglich ohne den gnadenlosen Piepton, der den Schlaf sonst gewaltsam beendete?» Ich lasse es darauf ankommen«, dachte der junge Mann und fühlte in einem einzigen seligen, wie immer für den Genuß allzu kurzen Augenblick sein Entgleiten in die Ohnmacht.