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Souad senkte die Stimme. Ein engerer Kontakt mit Herrn Sieger sei nicht ganz unriskant. Es sei nicht leicht davon zu sprechen, aber Hans müsse Bescheid wissen. Er könne dann selber entscheiden, wie er sich zu verhalten gedenke. In diesem weiten Umkreis — Souad machte mit der geöffneten Hand eine kreisförmige Bewegung, die die ganze Welt zwischen seiner Waschanlage und dem» Habsburger Hof «einbezog — sei Sieger bekannt. Nirgendwo hier bekomme Sieger auch nur eine Tasse Kaffee. In dem libanesischen Restaurant drüben habe man ihn sogar vor die Tür gesetzt. Nähere sich Sieger einer Imbißstube, wehre man drinnen ab — der da kriegt nichts. Der Äthiopier hier sei der unglücklichste Mensch von der Welt, denn der müsse Sieger nun einmal bedienen, er sei schließlich sein Mieter, aber dieser Mann finde immer einen Trick, der gehe auf Katzenpfoten. Tut mir leid, haben wir gerade nicht da, und was Sie statt dessen wollen, leider auch nicht. Die elegante Methode, Hans wisse, worum es gehe?

«Er zahlt nicht.«

«Ach, das sind doch Bagatellbeträge, darum geht es doch nicht«, sagte Souad und riß die Augen weit auf. Er hob den Zeigefinger mit dem sorgfältig abgekauten rosigen Fingernagel und legte ihn auf das linke untere Augenlid.

«Verstehen Sie jetzt?«Die rothaarige Frau im dritten Stock habe nach einer längeren Unterhaltung mit Sieger eine Fehlgeburt gehabt. In dem Kiosk des Äthiopiers seien die Sicherungen herausgeflogen, nachdem Sieger dort einen Kaffee getrunken habe. Wann immer er, Souad, mit Sieger gesprochen habe — ganz lasse sich das nicht vermeiden —, habe er stets Erektionsschwierigkeiten festgestellt, Hans solle darauf auch einmal achten. Diese Dinge seien übel. Hans sah so verwirrt aus, daß Souad nicht an sich halten konnte und lauter, als er es eigentlich wollte, hervorstieß:»Der böse Blick. Vor allem Ihre Frau muß aufpassen. Hier weiß jeder Bescheid.«

«Assez, Souad«, kam es wieder, diesmal scharf, von Frau Mahmouni. Souad heulte hündisch, die gekränkte Unschuld.

«Aber jeder weiß doch …«

«Jeder weiß, weil Sie es jedem gesagt haben. Deswegen muß es noch lange nicht stimmen.«

«Aber gerade Sie müßten doch …«

«Ich habe keine Anhaltspunkte. «Dies war mit eisiger Objektivität gesprochen. Hans sah, wie die blauen Adern auf dem Handrücken der Frau Mahmouni hervortraten, ein nerviges Geflecht, das von Willensstärke und einer auch in körperlicher Schwäche ungebrochen bewahrten Kraft sprach.

«Etwas anderes mag allerdings stimmen«, fuhr sie fort.»Das Horoskop von Sieger ist schlecht aspektiert. Er wird tatsächlich immer schlecht oder gar nicht bedient. Die Kellner sehen ihn nicht, obwohl er doch eigentlich nicht zu übersehen ist. Er kann sich auf niemanden verlassen. Was er veranlaßt, wird nicht ausgeführt. Seine Hemden gehen in der Wäscherei verloren oder kommen zerrissen zurück. Seine Anwälte verschlafen die Termine. Er muß alles zu teuer bezahlen.«

Souad verstand diese Rede als Anklage.»Ich bin absolut korrekt zu Herrn Sieger, auf mich kann er sich hundertprozentig verlassen«, das war wieder in jenem maulenden Heulen vorgetragen, mit dem Souad Angriffe auf seine Rechtschaffenheit zu verteidigen pflegte.

«Unsinn«, sagte Frau Mahmouni,»Sie sind der Beweis: ein interessanter Fall — mich bedienen Sie gut, ihn bedienen Sie schlecht — ein und dieselbe Person verhält sich in verschiedenen Konstellationen vollständig gegensätzlich. Das ist ein Faktum. Es ist darüberhinaus auch ein Gesetz. Man kann über ein Gesetz nicht diskutieren. «Dann wandte sie sich, als sitze sie in einer rot-goldenen Opernloge, gravitätisch wieder dem türkischen Taxifahrer zu, den sie» mein Freund «anredete.

Hätte Souad ohne diese öffentliche Zurechtweisung das Bedürfnis verspürt, Hans seine Zuständigkeit in den komplexeren Belangen der Menschennatur nachzuweisen? Barbara rückte mit ihrem Klappstuhl zu Frau Mahmouni, die ihr verhalten, aber streng einen verwickelten Sachverhalt darlegte. Der Sachverstand von Frau Mahmouni in der Abwicklung von Eheverhältnissen war unbestritten. Barbara lauschte mit ungewohnt ernster Miene. Um den Vetter kümmerte sich heute nur der Trinker, aber mit geringem Erfolg, denn der Vetter starrte angewidert zu ihm hinüber und verwandelte sich in ein Denkmal der Unansprechbarkeit. So wenig ihm im Leben bisher geglückt war, so zufrieden war er mit sich, wenn auch mit nichts sonst. Langeweile kannte er nur, wenn andere Leute mit ihm sprachen. War er allein, stieg die Selbstgenügsamkeit wie warmes Badewasser um ihn auf. Irgendwo auf der Welt, so sagte er sich, würde er bald wieder Koch sein, und wenn nicht, war es auch gut. Bei diesem Gedanken konnte er stundenlang verweilen.

«Wenn du so still dasitzt, siehst du aus wie ein vornehmer Engländer«, sagte Barbara häufig, und wenn vielleicht auch nicht ganz sicher war, auf welchen vornehmen Engländer sie sich da beziehen mochte, ahnt man doch, was sie ausdrücken wollte.

«Was diese Frau macht, ist nicht gut«, raunte Souad und behielt Frau Mahmouni dabei im Auge, als wolle er nicht verpassen, ab wann sie wieder mitzuhören versuchte.»Sie weiß genau, daß ich mich in solchen Sachen auskenne, solchen schlimmen Geschichten«, und wieder legte er den Zeigefinger aufs untere Augenlid. Frauen seien in dieser Hinsicht besonders gefährdet, wahrscheinlich habe es auch Frau Mahmouni erwischt, aber sie gebe so etwas nicht zu, sie sei hart wie Stahl — sinnloserweise. Ein Hinweis sei, wenn Frauen häufig grundlos heulten, wenn die Periode ausbleibe, wenn der Beischlaf plötzlich Schmerzen mache, die Verdauung nicht stimme. Ein sicherer Hinweis — bei Frauen häufig —, wenn sie sich plötzlich etwas einzubilden begännen, was nicht da sei, wenn es dieses endlose Gezänke um Einbildungen und Wahnvorstellungen gebe. Krankhafte Eifersucht sei ein Hinweis — hier schaute Souad besonders bedeutungsvoll —, was war in seinem Kosmos wohl krankhafte Eifersucht? Wenn eine Frau keine Ruhe gab und nicht verstand, sich mit Würde ins Unvermeidliche zu schicken? Sehr bedeutungsvoll sei es, wenn Frauen die Frisur wechselten, vor allem wenn sie die Haare abschnitten, außer wegen Läusen, diese Bemerkung war aber nicht scherzhaft gemeint.

Wofür sei das alles ein Hinweis, fragte Hans.

Dafür, daß etwas eingetreten sei. Genauer: Daß etwas in die Frau eingetreten sei. Es kündige an, daß die Frau in sich nicht mehr allein sei. Man müsse dann unbedingt etwas unternehmen, bevor es zu spät werde. Wirkungsvoll schützen könne natürlich nur jemand, der sich auskenne. Er, Souad, kenne sich bei den Frauen aus — deshalb seien Barbaras Sticheleien mit den Frauen, die sie tatsächlich mit ihm gesehen habe, so lächerlich — Frauen, mit denen er sexuelle Affären unterhalte, werde sie niemals mit ihm sehen, aus dem einfachen Grund, daß er selbst sie auch nie sehe. Gegenwärtig seien es drei. Er schlafe keine Nacht länger als drei Stunden. Hier lächelte er versonnen, dann aber wurde er wieder ernst.

Es sei für Hans vielleicht nicht unwichtig, wenn er einmal erlebe, was man in den beschriebenen Fällen tun könne. Gerade heute habe er guten Freundinnen versprochen, sie dorthin mitzunehmen, wo ihnen geholfen werde. In zwei Stunden seien sie zurück.

Hans hatte bei seinen Worten aufgehorcht. Souad war ihm so unangenehm wie je. Bei seinen Eröffnungen war Souad ihm so nahegerückt, daß er sein Parfum roch, ein teures, recht bekanntes Zeug, und das war ihm noch viel peinlicher gewesen. Zugleich konnte er sicher sein, daß kein Essen in der Küche war. Ina hatte für den Haushalt keine Lust und keine Kraft mehr. Es schmecke ihr nicht, wenn es so heiß sei, sagte sie zerstreut. Er gestand sich ein, daß es ihm gleichgültig war, ob Ina ihn erwartete, auch wenn sie plötzlich doch etwas vorbereitet hätte. Hans fühlte den Wunsch, sich treiben zu lassen, womöglich gar von zu Hause wegtreiben zu lassen.