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Souad fuhr gegenwärtig eine große, schon etwas ältere Limousine. Er wechselte die Autos manchmal monatlich, durch die Waschanlage kam er an günstige Gelegenheiten. Er handelte auch ein bißchen mit Autos, aber wirklich nur nebenbei. An einer Straßenecke — dorthin hatte das Mobiltelephon Lotsendienste geleistet — stieg eine Frau mit braunen nackten Armen, blondgefärbtem, am Haaransatz kräftig schwarz nachwachsendem Haar und großem lachbereiten Mund ein, die Souad» mein Schatz «nannte. Viel Konversation wurde jedoch nicht gemacht. In längeres Schweigen hinein sagte die Frau schließlich:»Jetzt bin ich aber mal gespannt.«

Souad fuhr zügig. Bald schon kannte Hans sich nicht mehr aus. Die Fahrt ging durch Vorstadtniemandsland mit Siedlungsbauten und halbhohen kleinen Fabriken, und in die Einfahrt einer solchen Fabrik bogen sie schließlich ein. Hier stand ein großes Schild:»Gewerberaum zu vermieten«, produziert wurde hier also nichts mehr, aber der Hof war ordentlich aufgeräumt, das Kunststeinpflaster neu. Licht gab es allerdings keins. Nur von der Straße leuchteten die Bogenlampen, aber der Hof war weitläufig, kleine, saubere Schuppen, alle fest verschlossen, legten einen Damm zur Straße hin, und bald wäre man im Dunkeln gewesen, wenn Souads kleines Telephon nicht eine winzige Taschenlampe enthalten hätte: Er konnte sich auf dies Telephon wirklich in jeder Lebenslage verlassen.

Ersticktes Trommeln wurde hörbar. Aus dem Spalt eines Garagentores drang Licht. Bis vor kurzem waren hier hydraulische Hebebühnen zusammengebaut worden. Jetzt sorgten andere Kräfte für Hebung und Bewegung.

Souad klopfte, und nach kurzem schaute eine Frau mit blauem Turban und ebenfalls blauem, silberbesticktem Kaftan heraus, erkannte ihn und winkte ihn freudig herein. Sie war schwarz, eine Marokkanerin aus dem tiefen Süden des Landes, eine Haratin, wie Souad Hans zuflüsterte. In der Garage war es gleißend hell. Scheinwerfer auf Stativen ließen es hier drin unerträglich heiß werden, Hans japste. Er sah viele Leute in dem beschränkten Raum auf Stühlen die Wände entlang sitzen, vor allem Frauen, die meisten mit dem muslimischen Kopftuch, zwei Männer waren aber auch dazwischen, wenn auch mit verlegener Miene, sie waren offensichtlich nur mitgebracht worden. Die blaugewandete Schwarze war hier die Meisterin. Sie dirigierte ihre Gäste. Für Souad, seine Freundin und Hans mußten Stühle freigemacht werden. Kaum daß sie saßen, ließ sich die Schwarze ein Weihrauchgefäß reichen und umkreiste damit Köpfe und Füße der Neuankömmlinge. Im gleißenden Licht herrschte ohrenbetäubender Lärm. Die Stahlplatten dieser Baracke hatten den Trommelklang nur leise nach draußen dringen lassen. Hier drin aber war es, als würden einem die Trommelschlegel auf den Kopf gehauen. Fünf Männer, drei alte und zwei junge, mit braunen Gesichtern, bestickten Käppchen und den Trikots der örtlichen Fußballmannschaft bekleidet, schlugen schweißüberströmt auf ihre Trommeln ein, dann griff einer nach einem Blasinstrument, einer Art Schalmei und erzeugte damit einen kreischenden, schneidenden Ton, aus dem sich eine quälende und zugleich schöne Melodie entwickelte. Viermal wurde sie in Variationen wiederholt. Dazu sangen die Männer mit hellen, gellenden Stimmen, die sie an- und abschwellen ließen.

Die Frau sei berühmt, sagte Souad, ohne die Augen von ihr zu lösen. Auch jetzt hatte er seinen fressenden Blick, aber hierher paßte das, fand Hans und glotzte auch nicht schlecht, während Souads Freundin eingeschüchtert mit niedergeschlagenen Augen auf ihrem Stuhl hockte.

Die Schwarze näherte sich in tänzerischen Schritten einer dicken, ärgerlich blickenden Frau, die abwehrend die Hände hob, aber aufstehen mußte, denn auch ihre Nachbarinnen duldeten nicht, daß sie sitzen blieb. Sie machte aus ihrer Verstimmung kein Hehl, sie begann ihren Tanz in der Mitte der Garage mit einer Miene des Überdrusses und der Langeweile. Es war kein kunstvoller Tanz, ein wiegendes Hin- und Hertrippeln, aber nach einer Weile ging unter der Lärmglocke eine Veränderung in ihr vor. Der ärgerliche Gesichtsausdruck verschwand. Sie verlor jeden Ausdruck und schien im wiegenden Stehen einzuschlafen. Dann zuckte ihr Kopf, begann hin- und herzufallen, und ein Schütteln ergriff ihren ganzen Körper, und nun konnte sie sich nicht mehr auf den Beinen halten, sie schwang und schwankte wie betrunken, sie stürzte, ihr Kopf drohte wieder und wieder auf den Betonboden zu schlagen, wenn da nicht gleich eine Frau herbeigeeilt wäre, die ihn in den Schoß nahm und festhielt. Auf ein Zeichen der Schwarzen verstummte die Kapelle. Die Ärgerliche erwachte aus ihrem Krampf, ließ sich aufhelfen und zu ihrem Stuhl führen. Dort starrte sie vor sich hin. Jetzt kümmerte sich niemand mehr um sie. Erleichtert schien sie nicht. Es war, als hätte sie in ein finsteres Loch gesehen und müsse sich erst wieder an das Licht gewöhnen. Der Ärger war verschwunden, ein tiefsinniges Fragen war an seine Stelle getreten, ein Ausruhen am Straßenrand nach einem Unfallschock hätte so aussehen können.

Als die Musik wieder anhob, wurde eine schlanke Frau mit fest bandagiertem Kopf in den Kreis geschoben. Niemand schien gern tanzen zu wollen. Alle mußten sich offenbar dazu überreden lassen, nachdem sie doch Bescheid wußten, was sie erwartete, aber der Anordnung der blaugewandeten Schwarzen widersetzte sich niemand lange. Die Bandagierte löste ihren weißen dünnen Schleier. An ihren Schläfen klebte das zusammengedrückte hennarote Haar, aber ihre Augen waren aquamarinblau und groß. Sie war sehr weißhäutig und hatte trotz ihrer Schlankheit ein kindlichzartes Doppelkinn, Magerkeit und lieblicher Speck schlossen sich bei ihr nicht aus. Sie blickte ängstlich auf die Schwarze, die ihr ermutigend zunickte und die Männer der Kapelle anwies, sie in engem Kreis zu umgeben. Das Mädchen steckte in einem Lärmgefängnis. Man glaubte, ihre Bewegungen seien Fluchtversuche, sie strebe den Kreis zu durchbrechen, um wieder auf ihren Stuhl zu gelangen, aber in Wirklichkeit waren das schon die Krämpfe, die sie übergangslos in Besitz genommen hatten. Sie warf ihren Körper herum, sie breitete die Arme aus, als versuche sie einen taumelnden Flug, sie öffnete den Mund, als wolle sie schreien, aber nicht einmal ein Röcheln war zu hören, jeder Laut wurde von den immer wilder trommelnden und singenden Männern niedergehalten, bis auch sie zusammenbrach, und diesmal war das Hinzustürzen der Frauen zu der sich am Boden Windenden wie das von Feindinnen, als sollten ihr dort unten die Haare ausgerissen und die Augen ausgekratzt werden. Auch sie kehrte benommen wie nach tiefem, bösem Traum auf ihren Platz zurück, auch von ihr wandte man sich ab wie von einem Menschen, dessen Unglück zu groß ist, als daß man ihn trösten könnte.

Souad löste keine Sekunde den Blick von ihr. Er trank diese Ekstasen mit einer Hingabe, die selbst das Telephon nicht hätte steigern können.

«Die habe ich hierher gebracht«.

Aber nun erhob sich, ohne erst genötigt werden zu müssen und mit einer Duldermiene, die sich in die Mißhelligkeiten des Lebens zu schicken wußte, eine tonnenartige Frau mit einem Gesicht, in dem alles übergroß war. Auf ihrem Hinterteil stand der Oberkörper wie auf einem gemauerten Piedestal. Sie agierte gleichsam auf der Basis eines von ihrem Körper unabhängigen Hinterteils. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Bewegungen höchst ökonomisch, da gab es kein Kopfwerfen und Hin- und Herfallen. Sie versetzte mit kleinen Schritten ihren Nilpferdleib in ein Beben, hob die Arme über den Kopf und war, vom Musiktosen umbrandet, in ihr kaum merkliches Wiegen vertieft, doch als die Musik abbrach, sah sie genauso verstört um sich wie die beiden jüngeren Frauen, die davor hatten bewahrt werden müssen, sich zu verletzen. Wie hätte man die schwere Frau auch vor der eigenen Gewalt schützen mögen? Sie hätte sich über die Helferinnen gewälzt und ihnen den Atem genommen. Und doch war auch sie in einen Zustand geraten, als sei sie einer Art Gefahr entronnen, die zu schlimm war, um sich über dies Entrinnen schon freuen zu können.