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«Worauf kommt es denn an?«fragte Barbara, aber von der Antwort bekam Ina wieder nichts mit, nur von der Zustimmung, die sie fand.

«Genau, genau«, rief Barbara und wandte sich sogar an den Vetter, der gleichfalls, aber widerwillig, wie Ina vorkam, nickte. Jetzt fuhr ein Taxi vor die Hofeinfahrt, der Türke stieg aus, im Fond blieb ein unerhört massiger Mann sitzen. Frau Mahmouni erhob sich behutsam und nahm den Arm des türkischen Fahrers. Ina löste sich vom Fenster und stieg langsam, aber ohne Zögern die Treppe hinab, gerade als Souad auf sie aufmerksam geworden war. Sie erschien im Türrahmen. Die Gesellschaft saß im Schein der Bogenlampen vor ihr und sah zu ihr hinüber. Wie es gelegentlich selbst in angeregter Runde geschieht, schwiegen gerade alle für einen Augenblick. Ina kam auf sie zu. Nur Hans wußte, daß sie verändert aussah, mit ungekämmtem Haar verließ sie sonst niemals die Wohnung.

Zielsicher ging sie auf Wittekind zu, erwiderte seinen Gruß nicht, bückte sich nach der Bierflasche, wandte sich zu Hans und schlug ihm die Flasche mit einer weiten Bewegung auf den Kopf. Die Flasche zerbrach. Ina stand still da mit dem gezackten Hals in der Hand. Hans bewegte sich nicht. Blut quoll aus seiner Stirn und lief ihm in die Augen. Es rührte sich keine Hand in der verzauberten Stille. Ina stand mit geschlossenen Augen. Sie wartete. Irgend etwas, das wußte sie, würde geschehen.

XVI

Frau von Klein pflegte so viele Bekanntschaften, daß sie, wie viele Leute ihres Milieus, die Gewohnheit angenommen hatte, zu Weihnachten Rundbriefe zu verschicken, in denen sie von den Ereignissen des Jahres berichtete. Sie wußte selber, daß niemand solche Berichte wirklich las, sie überflog dergleichen nur, aber sie fand die Sitte mit den Rundbriefen eine Weile recht vorteilhaft. Wer aus ihren Briefen etwas Handfestes erfahren wollte, mußte freilich die Kunst beherrschen, zwischen den Zeilen zu lesen, wie die Bürger in Diktaturen lernen, den phantastischen Nachrichten der gelenkten Presse dennoch Realitäten zu entnehmen. So erlaubten die wenigen Worte, die Frau von Klein in ihrem letztjährigen Rundbrief dem Leben ihrer Tochter widmete, zumindest eine Ahnung, wie es Ina und Hans nach den hier geschilderten Ereignissen weiter ergangen sein mag.

«Meine Tochter Ina macht mir Freude«, schreibt Frau von Klein.»Nachdem sie sich, auf meinen Rat, entschließen konnte, ihr väterliches Erbe anzugreifen, hat man ein schönes Haus in den Taunusbergen gefunden, alles zu ebener Erde, unter einem gemütlichen großen Schieferdach, vielleicht etwas zu groß für die gegenwärtige Funktion von Hans — aber wie es so ist, nun ist schon das zweite Kind da, ein Mädchen, Ida heißt sie — seltsamer Name, aber es sollte partout etwas mit i sein — und natürlich mir wie aus dem Gesicht geschnitten. Die beiden haben das Stadtleben in vollen Zügen genossen und sind jetzt sehr zufrieden, draußen zu sein. Es ist für die Kinder viel netter mit Garten. Und was Inas Besuche bei mir in Hamburg angeht, da haben wir einen Rhythmus gefunden. Hans liest viel, sagt Ina, und ich habe ihr gesagt, daß ich das gut finde. Es ist immer wichtig, daß ein Mann eine Beschäftigung hat. «Es folgt die Schilderung der großen Südostasienreise, die Frau von Klein im Herbst» mit Freunden «unternommen hat.

Über den Autor

Martin Mosebach, geboren 1951, lebt in Frankfurt am Main. Er wurde häufig ausgezeichnet u. a. mit dem Kleist-Preis, dem Georg Büchner-Preis und 2013 mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sein Werk erscheint bei Hanser, zuletzt Stadt der wilden Hunde (Nachrichten aus dem alltäglichen Indien, 2008), Was davor geschah (Roman, 2010) und Als das Reisen noch geholfen hat (Essays, 2011).