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Beim nächsten Anruf hatte sie, so weit sie vom Kampfplatz auch entfernt war, für den gemeinsamen Anfang dennoch etwas geleistet. Frau von Klein habe eingewilligt, alles was da in Kartons gegenwärtig noch in den Kellern und Speichern und Garagen ihres Hauses von der Hochzeit ausruhte — es waren auch ein paar schöne alte Möbel und Bilder darunter —, dort ruhig noch eine Weile zu belassen. Es müßte jetzt gar kein regelrechter Umzug stattfinden. Ina komme mit ein paar Koffern. Möbel seien doch schon da, habe er gesagt. Und was fehle, werde in einem großen Abhollager besorgt und später, wenn sie auszögen, weggeworfen. Sie klang geradezu vergnügt bei dieser Neuigkeit. Ina war weiß Gott nicht unempfindlich für den Reiz von teurem und exquisitem Hausrat und hatte ihre Anteilnahme an der Fülle schöner Sachen, die sich rund um die Hochzeitszeremonie angehäuft hatten, kaum verborgen. In die Nüchternheit, mit der sie darüber Buch führte — nur um sich bei allen bedanken zu können, natürlich —, mischte sich eine feierliche Gespanntheit, die die Augen glitzern ließ. Um so beglückender war für ihren jungen Ehemann, der dies alles aus dem Augenwinkel durchaus bemerkt hatte, daß sie nun fähig sein wollte, ihren Hochzeitsdrachenhort, jedenfalls für eine Weile, hinter sich zu lassen und mit ihm noch einmal unbeschwerte Wochen der Besitzlosigkeit auszukosten. Die Rede des Kollegen von» Bett und Badewanne«, die ihm als Inbegriff des Notwendigen nicht aus dem Kopf ging, hatte, wie ihm jetzt erst in den Sinn kam, auch einen erotischen Unterton. Warum nicht? Ein gemeinsames Leben, das zwischen Bett und Badewanne pendelte, etwas anderes wäre, zumindest für den Augenblick, doch gar nicht wünschenswert.

*

Es war spät, als der junge Mann die Arbeit der Ukrainer abnahm und die beiden bezahlte. Es war dort oben in der Wohnung, als sei eine Woge weißer Dispersionsfarbe durch die Räume und den Korridor geschwappt. Auf dem dunklen Linoleum des Flurs und auf dem Holzboden des großen Zimmers — das Hans bereits Wohnzimmer nannte — leuchteten weiße Spritzer wie Gischtflocken. Wenn sie ganz trocken seien, könne man sie leicht mit einem Messer abkratzen. Die Männer, Vater und Sohn, wie sich jetzt herausstellte, waren maßvoll in ihrer Forderung. Die Räume leuchteten in unwirklicher Perfektion, als hätte sie ein japanischer Zen-Meister aus blendendweißem Papier gefaltet. Der junge Ehemann hatte kein Auge für Details. Er staunte, wie krachend neu dies vorher verwahrlost erscheinende Quartier unversehens aussah. Die Frau des ukrainischen Sohnes hatte sich unterdessen in der Küche beschäftigt und dort jeden Topf mit Sand gescheuert. Die Küchenschränke klebten nicht mehr, die Töpfe waren so angeschlagen und verbeult wie zuvor, aber von dem bräunlichen Fettfilm befreit. Der Herd und der Eisschrank, beides geradezu ehrwürdige Stücke — der Eisschrank gelegentlich laut brummend und dann plötzlich mit einer Art Schluckauf in Schweigen fallend —, waren aus dem Zustand der Unberührbarkeit in neue Brauchbarkeit gehoben. So traulich, wie in dem Eisschrank, den der junge Mann jetzt überprüfend öffnete, das Lämpchen leuchtete, würde man gern sofort ein paar Flaschen hier hineinlegen. Der Äthiopier im Parterre hatte noch geöffnet. Der junge Mann lud die Ukrainer, die Männer und die Frau, zu einem Glas dort unten ein. Nach stummem Blickaustausch zwischen den dreien wurde dies auch angenommen.

In der Stunde, die Hans mit seinen ukrainischen Hilfstruppen oben unterm Dach zugebracht hatte — es lag aber noch ein niedriger Speicher über der Wohnung, ganz ungehemmt prallte die Sonne nicht auf sie herab —, in der weißen Welt, die Kühle suggerierte, auch wenn einem bei ihrem Anblick der Schweiß herunterrann, war der Stehimbiß des Äthiopiers gleichsam umgewendet worden. Nach vorn zur Straße hin hatte der Mann einen eisernen Rolladen herabgezogen, dafür aber standen im Hof nun ein paar Klappstühle, und der Äthiopier holte für die Gäste, die sich hier niedergelassen hatten, die Flaschen durch die Hintertür seines Geschäftes. Das war eine Improvisation des Sommers. Die Polizei hätte vermutlich etwas dagegen gehabt, daß hier nun nicht mehr bloß gestanden, sondern nach Ladenschluß sogar gesessen wurde, aber da waren sich die Versammelten einig: Wenn wirklich ein Polizist um die Ecke gebogen wäre, hätte man die Zusammenkunft als private Feier bezeichnet.

«Nein, niemals kommt die Polizei«, hörte man Souad eifernd und rücksichtslos laut ausrufen, als wolle er die uneingeschränkte Sicherheit des Arrangements herausfordernd demonstrieren. Er selbst vermiete schließlich den Polizisten des Reviers den Kleinbus zu ihrem Betriebsausflug. Die Beamten seien ohnehin froh, in einem derart schwierigen Revier Stützpunkte der Verläßlichkeit zu wissen. Der Äthiopier war ein noch jüngerer Mann mit sehr heller, gelber Haut und einem Gesicht von etwas wächserner, lebloser Ebenmäßigkeit; er entsprach gewiß einem Schönheitsideal seiner Heimat. Er lächelte, aber er war so verschlossen, daß nicht klar wurde, ob dieses nächtliche Hinterhoftreiben aus einer eigenen geschäftlichen Initiative hervorgegangen war oder ob er auf Befehl Souads handelte. Er trank keinen Tropfen Alkohol und lächelte immer nur abwesend und etwas fahl, wenn er neue Flaschen herbeischaffte und die leeren verschwinden ließ. Auf die im Hof inzwischen herrschende rauschende Konversation ließ er sich nicht ein. Es war nicht deutlich, ob er überhaupt folgen konnte — das klärte sich aber in den nächsten Tagen, sein Deutsch war hinreichend.

Ein Teil des Hofes war von der weißen Bogenlampe der Straßenbeleuchtung in hartes, helles Licht getaucht, die andere Hälfte lag in einem davon scharf abgegrenzten, noch dunkler wirkenden Schatten. Der Mond am Himmel, schon abnehmend, strahlte wie ein Scheinwerfer. Man meinte die Mondgebirge mit den Augen gleichsam abschreiten zu können. In alten Schwarzweißfilmen sprach man bei Szenen, die in Dunkelheit spielten, aber mit hellem Lampenlicht gefilmt werden mußten, von einer» amerikanischen Nacht«, und einer Filmaufnahme glich dieser Kreis auf den Klappstühlen tatsächlich, allerdings nicht einer Szene mit Schauspielern, sondern einer Runde von Gehilfen, die bei Filmaufnahmen stets zahlreich zugegen sind, dort gewiß auch benötigt werden, aber die meiste Zeit doch wartend und schwatzend und Bierflaschen kreisen lassend zubringen müssen als irregulärer Landsknechtshaufen, dessen Pflicht darin besteht, sich zur Verfügung zu halten, wenn schließlich die Trompete geblasen wird.

Souad war der Herr dieser Versammlung, wie sich herausstellte, ein Despot, der die Ukrainer und Hans weniger willkommen hieß, als sie im Befehlston zum Hinsetzen und Mittrinken aufzufordern. Ein Blick aus seinen unruhigen Augen mußte genügen, den Äthiopier ins Haus und an den großen Eisschrank mit den Getränken zu beordern, denn inzwischen hatte das Telephon an Souads Brust gezittert. Er wollte in seiner Rastlosigkeit immer an mehreren Orten zugleich wirken.

Neben ihm saß eine Frau mit blonder Löwenmähne, einer Allonge-Perücke des siebzehnten Jahrhunderts ähnlich, die herabstürzenden dicken Locken ließen der spitzen Nase kaum genug Raum, aus ihnen hervorzustoßen. Souad hatte das Telephongespräch schnell und ungeduldig abgebrochen. Man schien am anderen Ende der Leitung nicht sofort gehorchen zu wollen. Jetzt übernahm er die Vorstellung.

«Das ist Monsieur Hans. «Die Löwenmähnen-Dame sagte:»Ich bin die Barbara.«

Erfreulich war es dem jungen Mann nicht, dies» Monsieur Hans«. Er fühlte, daß es ein Fehler war, sich so früh schon von Souad auf seinen Vornamen reduzieren zu lassen. Er war dann aber doch bereit, bei einem Ausländer, auch wenn der flüssig und mühelos und beinahe akzentfrei deutsch sprach, die Schwierigkeit in Rechnung zu stellen, sich einen langen Nachnamen mit ungewöhnlicher Buchstabenfolge zu merken. Man kann eine fremde Sprache bekanntlich vorzüglich beherrschen und kommt dennoch der Natur der einzelnen Wörter nicht näher, weil man deren Genese und Wurzeln nicht kennt und weil deren Umfeld und Stimmung einem unbekannt geblieben sind. Frau von Klein hatte ihrer Tochter mitgeteilt, daß sie den Namen Hans einfältig finde, sie gebrauchte den englischen Ausdruck» plain«, darin war auch das abschließende Urteil über den Träger eines solchen Namens enthalten. Ina hatte ihm versichert, daß es ihr gleichgültig sei, wie ihre Mutter über den Namen Hans denke, denn er sei der einzige Hans in ihrem Leben, tatsächlich sei sie niemals zuvor einem Mann mit diesem an sich häufigen Namen begegnet, und nun habe er diesen Namen derart mit seiner Person gefüllt, daß Überlegungen, wie vorteilhaft» Hans «klinge, gar nicht mehr aufkommen könnten, und er glaubte ihr. Aber eine Scharte in seinem Selbstgefühl hatte Frau von Klein doch hinterlassen. Jetzt im Hinterhof von jedermann Hans genannt zu werden und diesen Namen freudig-ironisch ausgesprochen zu hören, machte ihn befangen, als sei er in Wirklichkeit gar kein Hans, als segle er hier unter der Flagge eines unpassenden Pseudonyms.