«Tja, Immobiliengeschäft macht immer viel Arbeit«, antwortete Barbara. Ihre gute Laune war das Geschenk einer ungehemmten Selbstgefälligkeit. Dann beugte sie sich zu Hans und fragte anheimelnd-gesellig-herzlich:»Und was machen Sie so Schönes?«
Hans sah sich nach den Ukrainern um, aber die waren längst stumm im Dunkeln abgezogen.
IV
«Sie haben hier den Riesenvorteil, daß ich tagsüber oft in der Autowaschanlage bin und von dort aus alles am Haus überblicken kann«, sagte Abdallah Souad.»Es kann praktisch niemand das Haus betreten, ohne daß ich das weiß. «Es wurde ihm, in dem Augenblick, da er sich rühmte, wohl selbst klar, daß man diese vollkommene Überwachung vielleicht nicht nur genießen mochte. Er fügte deshalb hinzu, daß er oft, allzu oft gar nicht hinüberschaue, er sei mit den eigenen Angelegenheiten mehr als belastet. Das Personal der Autowaschanlage, gegenwärtig zwei Männer, einer aus Ghana, der andere aus Albanien, bedürften eiserner Aufsicht. Es wisse heute niemand mehr, was Arbeit sei.
«Arbeit«, sagte Abdallah Souad mit anklagendem Nachdruck,»ein Fremdwort. Das muß überhaupt erst wieder gelernt werden. «Barbara war mit dem Taxi davongefahren, und es war der Äthiopier, der ihr mit unwandelbarem Lächeln den Schlag geöffnet hatte. Souad blieb mürrisch sitzen, war sitzend von Barbara, deren Lockenschlangen bei dieser Prozedur seinen Kopf verbargen, auf die Wangen geküßt worden, wobei sie, in dem Bestreben, die flüchtige Berührung mit den Lippen sinnlicher erscheinen zu lassen, als sie war,»Mm «und» Mm «bei jedem Kuß machte, und schaute ihr mit leerem Blick hinterher, als ein solchermaßen Geküßter wohl mit einem gewissen Recht. Wie sie kicherte und mit vorgestrecktem Popo in engen, dünnen Hosen schauspielerisch küßte, war sie vielleicht gar ein bißchen beschwipst. Frau Mahmouni harrte ungerührt weiter in der Nacht aus. Sie saß so hingegossen in dem Kunststoffklappstuhl, als entspanne sie sich nach Vorstellung bei der englischen Königin in einem Teezelt auf dem Rasen des Buckingham-Palastes. Jetzt wandte sie sich dem Äthiopier zu und sprach raunend und eindringlich in sein zart gelbliches Ohr. Später wurde klar, daß sie stets so lange ausharrte wie er, weil er sie nach Hause brachte. Er war Nachtportier in dem Hotel, in dem Frau Mahmouni wohnte.
«Es ist schrecklich mit einem Menschen, der nicht weiß, was er will«, sagte Souad.»Ich sage zu ihr: Du weißt nicht, was du willst. «Das war in seinem Verständnis eine beunruhigende Analyse, die sich seine Freundin zu Herzen hätte nehmen müssen, am besten so:»Ich sehe ein, daß ich nicht weiß, was ich will, und werde deshalb von jetzt ab tun, was du willst.«
«Darauf wird es sowieso hinauslaufen«, sagte Souad, der den letzten Gedanken freilich nicht hatte laut werden lassen, deshalb etwas abrupt.»Zum Schluß wird sie machen, was ich gesagt habe — und dann ist es vielleicht zu spät. «Im übrigen tue er seit Wochen kein Auge mehr zu.
Seine Miene änderte sich. Das Muffige, das seine Werbung um Barbara so unvorteilhaft begleitet hatte, verschwand. Er strahlte verhalten. Es war, als öffne er den Deckel einer Schatztruhe und sehe darin die Dukaten glänzen. Er sei erschöpft von der Liebe. Er habe im Grunde keine Zeit mehr für anderes als die Liebe.
«Ich bin achtundfünfzig — ich weiß, man sieht mir das nicht an, ich färbe das Haar etwas, aber den Körper können Sie nicht betrügen. Ich habe allein gestern nacht zweimal Liebe gemacht — bedenken Sie mein Alter. «Er sah Hans offen und ohne Neid an. Er erinnerte sich, was ein junger Mann leistete, und machte sich nichts vor. Dafür nehme er sich jetzt viel mehr Zeit, und das Erlebnis werde stärker, erschütternder. Und es sei überall und in jeder Situation zu haben. Er tippte auf das Telephon in seiner Brusttasche, dies bebende Wesen, das seine elektronischen Erschütterungen unmittelbar an seine Haut weitergab. Souad behielt Frau Mahmouni fest im Auge, als versuche sie ihm die Worte von den Lippen abzulesen, was man sich durchaus vorstellen konnte. Aber war Souad eigentlich an Geheimhaltung gelegen? Wollte er sein physisches Glück nicht am liebsten mit der ganzen Welt teilen?
Dieses Glück hatte begonnen, als eines Tages eine Frau anrief, die er nicht kannte und die ihn, wie sie behauptete, gleichfalls nicht kannte —»obwohl ich das für ausgeschlossen halte, ich bin überzeugt, sie hat sich nicht verwählt«.
Ihre Stimme war warm und wohlklingend, und sie lachte so nett, als das Mißverständnis sich aufklärte. Man wußte nicht wie — auf einmal war man im Gespräch. Und diese sinnliche, sanfte Stimme verführte Souad dazu, die Unterhaltung ein wenig verfänglicher zu gestalten. Sieh da, sie ging darauf ein.
«Was man so sagt«, erklärte Souad in dem Ernst, in dem ein Mann dem anderen Mann Geständnisse macht, denn alle Männer sind bekanntlich gleich und sagen dasselbe. Hans konnte schlecht ableugnen, er wisse nicht,»was man so sagt«. Er hatte dabei mit Eroberungen eigentlich gar keine Erfahrung. Was sich in seinem Leben an Abenteuern ergeben hatte, war durch ein beinahe unmerkliches Hineingleiten zustande gekommen, es war wie beim Struwwelpeter-Hoffmann, als der Hans-guck-in-die-Luft ins Wasser fällt und seine Mappe verliert: Kaum ist er triefnaß an Land gezogen, heißt es:»…und die Mappe schwimmt schon weit«. An das wichtige Zwischenstadium, nachdem er ein Mädchen kennengelernt hatte, bis zu dem Zeitpunkt, an dem» die Mappe schon weit schwamm«, konnte er sich nicht einmal bei seiner Frau erinnern, bei ihr war ihm schon geradezu, als habe es sie immer gegeben, einer erstaunlichen Nichtachtung und Wesenlosigkeit fiel die Zeit vor ihrem Auftreten anheim. Als Historiker seines Lebens jedenfalls versagte Hans spektakulär. Souad hingegen bewahrte den einzelnen Stufen seiner Eroberungen ein genaues Gedächtnis. Er war Jäger — so bezeichnete er sich jetzt wörtlich —, er wolle die Frau nicht serviert bekommen, sondern sie zur Strecke bringen.
«Sehen Sie mal hier«, er ließ das Display seines Telephons aufleuchten und Hans die Botschaft lesen, die er angeblich soeben empfangen habe.»Je veux faire l’amour avec toi, chéri.«
«Ich verachte so etwas«, sagte er streng, indem er die Botschaft wegdrückte, ob in den Orkus der Vergessenheit oder doch in ein geheimes Vorratsfach, blieb unbesprochen. Einzigartig war, wenn man ihm glaubte, die Entwicklung gewesen, in der die Fremde mit der schönen Stimme immer weniger fremd geworden sei und Einblicke in ihre Vergangenheit gewährte. Wie kostbar war der Augenblick, in dem er verstand, daß sie ihre Erlebnisse im Bett nicht widerwillig preisgab, als er scheinbar nüchtern und mit der Objektivität ärztlicher Lebenserfahrung das Thema einzukreisen begann — man kann unter erwachsenen Menschen schließlich alles, mit der gebotenen Dezenz freilich, besprechen —, sondern geradezu darauf wartete, die letzten Hemmungen abzustreifen und ganz und gar indezent zu werden. Stundenlang habe die Unterhaltung inzwischen gedauert. Lange nach Mitternacht sei man endlich zur Sache gekommen. Sie sprach über ihren ersten Liebhaber; ob man damit weit in die Vergangenheit zurückging oder nur vom letzten Jahr die Rede war, wollte Souad bewußt zunächst unerörtert lassen.
«Sie sagte, sie sei zweiundzwanzig, die Stimme klang zwar älter, aber man kann sich in Stimmen irren. «Souad wußte von Fällen, in denen eine gurrende, erotisierende Stimme mit grauer Unscheinbarkeit der Erscheinung einhergegangen sei. Das Meer der Erfahrungen war uferlos. Wer sich darin treiben ließ, begegnete immer neuen Meeresfrüchten, mit bizarren Formen und von schlüpfrig schimmernder Leiblichkeit. Souad durfte jetzt wie ein Untersuchungsrichter fragen, streng und keine Ausflüchte zulassend.
«Was genau hat der Mann mit dir gemacht? Wie hat er dich ausgezogen? Hat er die Backen angefaßt, als er den Schlüpfer heruntergerollt hat? Waren deine Beine breit oder zusammen? Wo waren seine Hände?«Und dann nach einer Weile, als sie bereits auf viele solche Fragen scheinbar zögernd, sich dann aber überwindend immer ausführlicher Auskunft gegeben hatte, habe er es gehört, das schönste aller Geräusche, seinen Triumph, die Vorbereitung seines eigenen höchsten Glücks: ein etwas heftigeres Atmen, ein leises Japsen.