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Ob er die Frau danach kennengelernt habe? Hans fühlte sich zu einer Frage verpflichtet, denn die Stille, in der Souad nach der Wirkung seiner Worte im Gesicht seines Zuhörers forschte, war ihm peinlich geworden. Souad guckte seinen Mitmenschen so rücksichtslos ins Gesicht, daß man schon von einem Angaffen sprechen mußte, das auf eine Gegenseitigkeit der Blicke gar nicht mehr aus war. Was der andere dazu denken mochte, wenn er so gemustert wurde, war Souad gleichgültig. Sein Gegenüber wurde in solchen Augenblicken gleichsam zur Leiche, die der Gerichtsarzt in der Morgue untersucht.

«Ich kenne sie, wir sprechen jeden Tag, sie hat mir auch ihre Freundinnen zugeführt, ich kann mich vor Anrufen nicht mehr retten«, sagte er schließlich mit Behagen.

«Und wie sah sie aus?«

«Sie hat mir ein Bild geschickt. Ein schönes Bild. Sie sieht darauf aus wie ein Photomodell, aber ich glaube, das Bild zeigt nicht sie. Niemals werden wir uns treffen, wo denken Sie hin. Ich bin ein vermögender Mann, ich habe die Waschanlage, ich habe …«Hier senkte er mit Blick auf die weiterhin raunende, weiterhin kühl zu Hans und Souad hinübersehende Frau Mahmouni die Stimme,»ich habe noch andere Interessen, jede Menge — ich bin geschieden, meine Frau hat keine Ansprüche, alles ist geklärt —, von einem solchen Mann träumen die Frauen, aber nicht mit mir«. Man müsse aufpassen, das sei seine Lebensregeclass="underline" Vor allem aufpassen. Diese Regel sei auf vieles anwendbar, auf alles letztlich.

«Tu was du willst, aber paß auf. «Er blieb allein in seinem Bett, hatte aber das Telephon am Ohr und erlebte die reichsten und auslaugendsten Liebesstunden, wie schon lange vor seiner Scheidung nicht mehr — und er sei mit einer der schönsten Frauen weit und breit verheiratet gewesen — der schönsten überhaupt, aber ohne Herz und Hirn. Er vermisse sie keinen Tag. Immerhin hatte er aus seinen Ehetagen etwas Praktisches im Gedächtnis behalten.

«Wo werden Sie schlafen, wenn Ihre Frau morgen kommt?«Im Keller stehe noch ein großes Bett, das werde er morgen von dem Ghanesen in den vierten Stock schaffen lassen.

Hans hatte drei Bierflaschen geleert. Der Äthiopier ersetzte mit Diskretion jede leere Flasche augenblicklich durch eine volle. Aber die Mondnacht sprach deutlicher zu ihm, seitdem er etwas Alkohol im Blut hatte und aus dem Licht der Bogenlampe in den Schatten gerückt war. Sonnenlicht war so stark, daß es den ganzen Himmel leuchten ließ, aber der Mondschein überglänzte nur sanft, was unter ihm lag. Es war im Mondlicht, wie wenn man bei einer Kerze sitze, die den Gegenständen einige Lichter aufsetzte und sie im übrigen ins Dunkel übergehen ließ. Man ahnte die Massen nur noch, die sich in eigensinniges Schwarz zurückzogen. Das machte die Räume kleiner und größer zugleich. Schließlich war ihm zumute, als habe er einen Raum im eigenen Körper betreten, der groß war, dessen Grenzen sich nicht abschätzen ließen, und der dennoch etwas von einer Höhle hatte. In dieser dunklen Höhle war es zu den Gesprächen des späten Abends gekommen, die so ungewohnt für ihn waren, die ihm aber zugleich das Gefühl gaben, in der Wohnung, die er gemietet hatte, schon längst zu Hause zu sein.

Wenn Frau von Klein von der» Scheußlichkeit «Frankfurts sprach, mochten viele ihr zustimmen, ohne darüber nachzudenken, worin diese hoheitsvoll diagnostizierte Scheußlichkeit eigentlich bestehe. Hing Frau von Klein etwa an der im Krieg und während des Wiederaufbaus restlos vernichteten mittelalterlichen Stadt? Mittelalter und Frau von Klein, das war gewiß keine glaubwürdige Konstellation. Sie machte sich das Urteil mit der Scheußlichkeit etwas zu leicht. Verwüstet durch den Aufbau war jede von Bomben zerstörte deutsche Stadt. Jede von ihnen enthielt Schreckensorte, die eindringlicher als jedes Mahnmal davon sprachen, was durch den Krieg in Deutschland geschehen war. Das spezifisch Abstoßende an Frankfurt war daran gemessen etwas Zartes, das erst aufgestöbert und ins Bewußtsein befördert werden mußte: Ausgesogenheit konnte man es nennen, Verödung von Lebensadern, einen Pappkartongeruch, den feinen Staub in einem Lager mit Büroartikeln, den vollständigen Verlust von Hall und Timbre durch einen habgierigen Ausbau und die Nutzbarmachung von verborgenen Kavernen, Hohlräumen, in denen die alte Stadtluft gleichsam konserviert hätte werden können, von vergessenen Speichern, von gegenwärtigem Gebrauch entzogenen Vorräten, die eine geheime Reserve für die Zukunft hätten bilden müssen. Die Stadt war ausgeräumt, wie es im Deutsch der Gynäkologen bei gewissen radikalen Operationen heißt. Das war es vielleicht, was die Leute ahnten, wenn sie, ohne große Kenntnis, die Stadt verwarfen, und was auch Hans auf dem Fahrrad auf jeden Fall in der Innenstadt empfand, obwohl er weit entfernt davon war, es aussprechen zu können. Auf dem Baseler Platz trat dies Ausgesogen- und Ausgeräumtsein sogar in besonderem Maße ans Licht.

Aber jetzt hatten der kalte Mond und die noch kälteren Bogenlampen das Haus, den Hof und den Platz unversehens angeglüht. Es war, als knacke es leise in den Gemäuern, und das war keineswegs eine harmlose Empfindung. Behaglich und gastlich war einem bei diesem Knacken nicht zumute. Das blies sich auf, das Haus schlug gleichsam die Augen auf, und das ist bei einem Totgeglaubten ein erschreckender Anblick.

*

Am nächsten Abend sollte Ina mit ihrer Mutter am Flughafen eintreffen. Frau von Klein hatte nur zwei Stunden Aufenthalt, dann würde sie nach Hamburg weiterfliegen. Es war gut zu wissen, daß sie bei der ersten Wohnungsbesichtigung nicht dabei sein würde. Hans vertraute Ina, aber er fühlte sich der Lage nicht gewachsen, ihr seine Wohnung vorzuführen und sie dafür zu gewinnen, wenn gleichzeitig die mit Gewißheit zu erwartenden galligen Kommentare seiner Schwiegermutter zu bekämpfen wären. Frau von Klein fand grundsätzlich eine einzige Art von Haus bewohnbar: den in den fünfziger Jahren entwickelten Walmdach-Bungalow, wie er die nach dem Krieg entstandenen Villenviertel zierte. Ob sehr groß oder weniger groß war gar nicht so wichtig. Ein Schloß lehnte Frau von Klein jedenfalls grundsätzlich ab. Das schuf zuviel Abhängigkeit, in einem Schloß war man auf andere Leute angewiesen, die man nicht einfach wegschicken konnte. Treppen waren gleichfalls ein Graus. Ein Haus, in dem sie leben sollte, mußte vollständig ebenerdig sein, damit man nicht außer Atem geriet, wenn man nur ins Schlafzimmer ging. Treppen bedeuteten zwangsläufig, daß der Gegenstand, den man gerade eben brauchte, im anderen Stockwerk war. Es sollte hübsch konservativ und landhausmäßig aussehen bei ihr — dafür stand das Walmdach —, aber im übrigen praktisch und modern sein und sich keinesfalls von den Häusern ihrer Freunde unterscheiden. Aber würden die Treppen am Baseler Platz wirklich verhindern, daß sie nicht doch einmal die Anstrengung unternahm, sich dort hinaufzubemühen?

Mittags rief Souad im Büro an. Er war nicht allein. Hans hörte im Hintergrund Barbara kichern.

«Wir haben das Bett hinaufgeschafft«, sagte er mit seiner hellen Heiserkeit, und Barbara rief im Hintergrund:»Die Turteltäubchen! Ruckedigu! Ruckedigu!«

Hans war bei der Aussicht, Ina heute abend wieder bei sich zu haben, so aufgeregt, daß er die Indiskretion der ganzen Situation kaum empfand und sogar für die Familiarität, die in dieser Unterstützung lag und die er ebenso gut hätte Distanzlosigkeit nennen können, dankbar war. Das Wetter übernahm gleichfalls einen Part an diesem spannungsvollen Tag. Der Morgen war, überraschend genug nach der klaren Mondnacht, drückend und grau. Es wurde nach Souads Anruf immer dunkler, als solle es geradezu Nacht werden. Im Büro gingen überall die Neonröhren an, und dann tat es einen Donnerschlag, daß Hans meinte, die Bleistifte auf seinem Schreibtisch müßten in die Luft springen. Vor den Fenstern des zwanzigsten Stocks eröffnete sich ein großartiges Kriegspanorama. Die Blitze stürzten wie sich verzweigende und mäandrierende Flüsse vom Himmel. Die Stadt verwandelte sich unter den gewaltigen Donnerschlägen in eine Pauke, auf die gnadenlos eingeschlagen wurde. Dazu knatterte und zischte es, als zerreiße das Trommelfell schließlich unter den Schlägen, und dann ergoß sich der Regen in Sturmfluten. Schwall und Rauch und Klebrigkeit der letzten Tage wurden von der Stadt abgewaschen, als sei sie in Souads Waschanlage geschoben worden. Das Wasser spritzte und sprudelte und quoll aus den verstopften Gullys, es kam nicht nur vom Himmel herab, sondern stieg auch aus der Erde auf. Im übrigen verhielt sich der Himmel wie ein cholerischer Mensch, der in der Wut gleichsam erblindet und alles kurz und klein schlägt, um alsbald erschöpft in sich zusammenzufallen. Auf den Straßen standen noch die Seen, da lächelte es von oben schon wieder hellblau herab. Zu einer wirklichen Erfrischung fehlte aber viel. Die Feuchtigkeit verdampfte, es wurde schnell wieder warm.