Velie kam mit dem besorgten Panzer im Schlepptau herbeigeeilt. Ellery beugte sich voller Aufmerksamkeit nach vorne, um Velie besser zu verstehen. Queen stand straff; in seinem Gesicht spiegelte sich gespanntes Interesse wider.
»Also, Thomas«, sagte er, »was hast du an der Kasse herausgefunden?«
»Nur, daß sich die sieben Eintrittskarten, deren Nummern Sie mir gegeben hatten, nicht in der Kartenablage befinden«, berichtete Velie ausdruckslos. »Sie sind draußen an der Kasse verkauft worden; wann, das kann Mr. Panzer nicht feststellen.«
»Die Tickets könnten vielleicht auch an eine Vorverkaufsstelle gegangen sein, nicht wahr, Velie?« bemerkte Ellery.
»Das habe ich überprüft, Mr. Queen«, antwortete Velie. »Diese Tickets sind keiner Vorverkaufsstelle zugeteilt worden. Das läßt sich anhand der Aufzeichnungen genau überprüfen.«
Inspektor Queen stand ganz ruhig da; in seinen grauen Augen lag ein leichtes Schimmern. Dann sagte er: »Mit anderen Worten, meine Herren, sieht es also so aus: Es werden Karten für sieben beieinanderliegende Plätze gekauft – für ein Theaterstück, das von Beginn an vor ausverkauftem Haus gespielt wird –, und dann vergessen die Käufer allesamt, die Vorstellung zu besuchen.«
Drittes Kapitel
in welchem ein ›Pfarrer‹ in Schwierigkeiten gerät
Stille trat ein, als sich die vier Männer, die sich allmählich ein Bild des Geschehens machen konnten, ansahen. Panzer scharrte mit den Füßen und hustete nervös; Velies Gesicht war ein Musterbeispiel konzentrierten Nachdenkens; Ellery trat einen Schritt zurück und versank in eine verzückte Betrachtung der graublauen Krawatte seines Vaters. Inspektor Queen stand da und kaute an seinem Schnurrbart. Dann zuckte er plötzlich mit den Schultern und wandte sich an Velie.
»Ich habe eine ziemlich unangenehme Aufgabe für dich, Thomas«, sagte er. »Ich möchte, daß du ungefähr ein halbes Dutzend Polizisten abkommandierst und sie jeden Anwesenden einzeln überprüfen läßt. Sie sollen nichts anderes tun, als Name und Adresse jedes Zuschauers notieren. Das ist eine ziemliche Arbeit, die einige Zeit in Anspruch nehmen wird, aber ich befürchte, sie ist absolut notwendig. Ganz nebenbei, Thomas: Hast du bei deinem Erkundigungsgang hier herum einen der Platzanweiser, die für den Balkon zuständig sind, befragt?«
»Ich bin sogar genau an denjenigen geraten, der mir alle Informationen geben konnte«, sagte Velie. »Er ist der Bursche, der unten an der Treppe im Parkett steht und die Zuschauer mit Tickets für den Balkon nach oben dirigiert. Ein Knabe namens Miller.«
»Ein sehr gewissenhafter Junge«, warf Panzer ein und rieb sich die Hände.
»Miller kann beschwören, daß absolut niemand in diesem Theater entweder aus dem Parkett nach oben oder auch vom Balkon aus nach unten gegangen ist, nachdem der Vorhang zum zweiten Akt hochgegangen war.«
»Das nimmt dir schon etwas Arbeit ab, Thomas«, bemerkte der Inspektor, der aufmerksam zugehört hatte. »Laß deine Leute nur durch die Logen und das Parkett gehen. Denk daran: Ich will Namen und Adresse von jeder Person hier – jeder einzelnen Person. Und Thomas –«
»Ja, Inspektor?« sagte Velie, während er sich noch einmal herumdrehte.
»Wo sie einmal dabei sind, sollen sie die Leute auch um die Kontrollabschnitte der Tickets für die Plätze, auf denen sie sitzen, bitten. Bei jedem Verlust eines Abschnitts sollte das neben dem Namen des Verlierers vermerkt werden; und für den Fall – was natürlich nur eine Möglichkeit ist –, daß eine Person einen Kontrollzettel besitzt, der nicht mit dem Platz, auf dem sie sitzt, übereinstimmt, muß das auch vermerkt werden. Glaubst du, du schaffst das alles, mein Junge?«
»Na klar«, brummte Velie, während er sich auf den Weg machte.
Der Inspektor strich seinen grauen Schnurrbart glatt, nahm eine Prise Schnupftabak und zog sie tief ein.
»Ellery«, sagte er, »irgend etwas stört dich. Raus damit, mein Sohn!«
»Hm?« begann Ellery und blinzelte mit seinen Augen. Er nahm seinen Kneifer herunter und sagte langsam: »Sehr verehrter Vater, langsam komme ich zu der Überzeugung, daß
– nun gut! Es gibt nun einmal in dieser Welt wenig Frieden für einen ruhigen bücherliebenden Menschen.« Er setzte sich auf die Lehne des Sitzes, auf dem der Tote gesessen hatte, und blickte melancholisch drein. Plötzlich lächelte er. »Paß auf, daß du nicht den unglückseligen Irrtum des alten Metzgers wiederholst, der mit seinen vierzig Gesellen auf der Suche nach seinem wertvollsten Messer das ganze Haus auf den Kopf stellte, während er es die ganze Zeit ruhig zwischen seinen Zähnen hielt.«
»Du bist zur Zeit ja äußerst mitteilsam, mein Sohn«, sagte der Inspektor gereizt. »Flint!« Der Detective trat näher.
»Flint«, sagte Queen, »Sie hatten schon eine vergnügliche Arbeit heute abend, und ich habe noch eine für Sie. Glauben Sie, Ihr Kreuz hält noch ein wenig mehr Belastung aus? Ich glaube mich daran zu erinnern, daß Sie beim Polizeisportfest am Gewichtheberwettbewerb teilgenommen haben.«
»Richtig, Sir«, antwortete Flint und grinste dabei breit. »Ich denke, ich kann die Last schon tragen.«
»Also gut«, fuhr der Inspektor fort und schob seine Hände in die Hosentaschen, »Sie sollen folgendes tun. Nehmen Sie sich einen Trupp Männer – meine Güte, ich hätte besser auch die Reserve mitgebracht –, und suchen Sie gründlich jeden Quadratmeter des gesamten Theaterkomplexes ab, drinnen wie draußen. Ihr sollt dabei nach Kontrollabschnitten suchen, klar? Wenn Ihr fertig seid, muß ich alles haben, was irgendwie aussieht wie ein halbes Ticket. Sucht vor allem den Boden des Theaters ab, aber seid ebenso genau beim gesamten rückwärtigen Teil, der Treppe, die auf den Balkon führt, dem Foyer draußen, dem Gehweg vor dem Theater, den Nebengassen zu beiden Seiten, der Wandelhalle unten, der Herrentoilette, der Damentoilette – halt! Das geht nicht. Rufen Sie beim nächsten Polizeirevier an, sie sollen eine Wärterin schicken, die kann das dann machen. Alles klar?« Flint nickte und war weg.
»Nun weiter.« Queen rieb sich die Hände. »Mr. Panzer, würden Sie für einen Augenblick hier herüberkommen? Sehr freundlich von Ihnen, Sir. Ich befürchte, daß wir heute abend ungeheuer lästig sind; aber das läßt sich nicht vermeiden. Wie ich sehe, stehen die Zuschauer kurz vor einem Aufstand. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie auf die Bühne gingen und verkünden würden, daß sie nur noch für eine kurze Zeit hier festgehalten werden, daß sie Geduld haben sollen und was man sonst noch so sagt. Ich danke Ihnen!«
Panzer eilte den Mittelgang hinunter, während Zuschauer nach seiner Jacke griffen, um ihn aufzuhalten. Detective Hagstrom, der einige Schritte vom Inspektor entfernt stand, lenkte dessen Aufmerksamkeit auf sich. Neben ihm stand ein kleiner, schmächtiger Junge von etwa neunzehn Jahren, der heftig Kaugummi kaute und offensichtlich äußerst nervös war angesichts der Qualen, die ihm bevorstanden. Er war in eine schwarzgoldene Uniform gekleidet, reich verziert und funkelnd, aber unpassenderweise ausgestattet mit einer gestärkten Hemdbrust, Eckenkragen und Fliege. Eine Mütze, die der Kopfbedeckung eines Hotelpagen ähnelte, saß auf seinem Kopf. Er stieß ein flehendes Räuspern aus, als der Inspektor ihn vorwärts schob.
»Das ist der Junge, der erzählt, daß sie kein Ginger Ale in diesem Theater verkaufen«, sagte Hagstrom streng, während er den Arm des Jungen ermunternd drückte.
»Ihr verkauft also keins, mein Junge?« fragte Queen freundlich. »Wie kommt das?«