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»Am Montag abend«, fuhr der Inspektor mit frostiger Stimme fort, »waren Sie alle bei der Vorstellung in diesem Theater zugegen, und Sie saßen, mit Ausnahme einiger Angestellter und anderer Leute, die sich jetzt weiter hinten befinden, auf denselben Plätzen wie im Augenblick.« Sampson mußte grinsen, als er bemerkte, wie sich bei diesen Worten die Rücken aufrichteten, als würde jeder einzelne fühlen, wie der Sitz unter ihm plötzlich warm und unbequem wurde.

»Ich möchte, daß Sie sich vorstellen, daß wir jetzt Montag abend haben. Ich möchte, daß Sie sich an diesen Abend zurückversetzen und daß Sie versuchen, sich an alles zu erinnern, was geschah. Damit meine ich jede Einzelheit, die sich Ihnen eingeprägt hat, wie banal und anscheinend unbedeutend sie auch erscheinen mag …«

Der Inspektor fing gerade an, in Fahrt zu kommen, als eine Gruppe von Menschen im hinteren Teil des Parketts auftauchte. Sampson begrüßte sie flüsternd. Die kleine Gesellschaft bestand aus Eve Ellis, Hilda Orange, Stephen Barry, James Peale und drei oder vier anderen Mitgliedern des Ensembles von ›Spiel der Waffen‹. Sie hatten ihre eigenen Kleider angelegt. Peale flüsterte Sampson zu, daß sie geradewegs aus ihren Garderoben kamen und den Zuschauerraum betreten hatten, weil von dort Stimmen zu hören waren. »Queen hält eine kleine Versammlung ab«, gab Sampson flüsternd zurück.

»Glauben Sie, der Inspektor hat etwas dagegen, wenn wir ein Weilchen hierbleiben und zuhören?« fragte Barry leise, mit einem aufmerksamen Blick in Richtung des Inspektors, der verstummt war und eisig zu ihnen herüberstarrte.

»Ich weiß nicht, warum –«, setzte Sampson beunruhigt an, als Eve Ellis »Pst!« murmelte und damit alle zum Schweigen brachte.

»Nun –« sagte der Inspektor in giftigem Ton, nachdem die Unruhe sich gelegt hatte, »die Sache sieht so aus. Denken Sie daran, es ist wieder Montag abend. Der Vorhang zum zweiten Akt ist hochgegangen, und das Theater ist dunkel. Auf der Bühne geht es sehr laut zu, und Sie beobachten gespannt die aufregenden Geschehnisse des Stückes … Hat irgend jemand von Ihnen, vor allem von denjenigen, die auf den Eckplätzen sitzen, zu diesem Zeitpunkt irgend etwas Merkwürdiges, Ungewöhnliches oder Störendes um sich herum oder in seiner Nähe bemerkt?«

Er machte eine erwartungsvolle Pause. Man schüttelte verwirrt oder ängstlich die Köpfe. Niemand gab eine Antwort.

»Denken Sie genau nach«, knurrte der Inspektor. »Sie erinnern sich vielleicht, daß ich am Montag abend diesen Gang heruntergegangen bin und Sie in der gleichen Weise befragt habe. Natürlich will ich keine Unwahrheiten hören, und ich kann nicht gut erwarten, daß Sie mir jetzt etwas Sensationelles berichten, nachdem Sie sich Montag abend an nichts erinnern konnten. Aber wir sind in einer schlimmen Lage. Hier wurde ein Mann ermordet, und wir sind, offen gestanden, ratlos. Es ist einer der schwierigsten Fälle, mit dem wir es je zu tun gehabt haben! In einer solchen Situation, wo wir mit dem Rücken zur Wand stehen und einfach nicht weiter wissen – Sie sehen, ich bin genau so ehrlich, wie ich das von Ihnen erwarte –, muß ich mich an Sie als den Teil des Publikums wenden, der alleine am Montag abend in einer Position war, etwas Wichtiges wahrzunehmen, wenn es überhaupt etwas Wichtiges gab … Meiner Erfahrung nach passiert es recht häufig, daß jemand aus Nervosität oder Aufregung heraus wichtige Einzelheiten vergißt, an die man sich nach einigen Stunden, Tagen oder Wochen, in denen Normalität eingekehrt ist, wieder erinnert. Ich hoffe, daß etwas in der Art auch bei einem von Ihnen geschehen ist …«

Während der Inspektor diese bitteren Worte sprach, ging die Nervosität in gespannte Aufmerksamkeit über. Als er aufhörte zu reden, steckten die Anwesenden die Köpfe zusammen und flüsterten aufgeregt, schüttelten von Zeit zu Zeit die Köpfe und redeten hitzig mit leiser Stimme auf andere ein. Der Inspektor wartete geduldig. »Heben Sie Ihre Hand, wenn Sie mir etwas zu erzählen haben …«, sagte er. Eine Frau hob schüchtern ihre weiße Hand in die Höhe. »Ja, meine Dame?« rief Queen und zeigte mit dem Finger auf sie. »Erinnern Sie sich an etwas Ungewöhnliches?«

Eine verschrumpelte alte Dame stand verlegen auf und stotterte mit piepsiger Stimme. »Ich weiß nicht, ob das wichtig ist oder nicht, Sir«, sagte sie nervös. »Aber ich erinnere mich daran, daß irgendwann im zweiten Akt eine Frau – glaube ich – den Gang hinunter- und einige Sekunden später wieder heraufgegangen ist.«

»Wirklich? Das klingt interessant, gnädige Frau«, bemerkte der Inspektor. »Wissen Sie noch, wann das ungefähr war?«

»An die Uhrzeit kann ich mich nicht erinnern, Sir«, sagte sie mit schriller Stimme, »aber es war etwa zehn Minuten nach Beginn des Aktes.«

»Ich verstehe … Und können Sie sagen, wie diese Frau aussah? War sie jung oder alt? Was hatte sie an?«

Die alte Dame sah ihn gequält an. »Daran kann ich mich nicht genau erinnern, Sir«, stammelte sie. »Ich hab’ mich nicht weiter –«

Eine hohe helle Stimme unterbrach ihre Worte aus dem Hintergrund. Die Köpfe flogen herum. Madge O’Connell war aufgesprungen.

»Sie brauchen diese Show nicht wieder abzuziehen, Inspektor«, verkündete sie frech. »Die Dame sah mich den Gang herauf- und hinuntergehen. Das war, bevor ich – Sie wissen schon.« Sie zwinkerte dem Inspektor unverschämt zu.

Die Menschen schnappten nach Luft. Die alte Dame starrte in mitleiderregender Bestürzung erst auf die Platzanweiserin, dann auf den Inspektor und setzte sich schließlich wieder hin.

»Das ist nichts Neues mehr für mich«, sagte der Inspektor ruhig. »Nun, noch jemand?«

Niemand antwortete. Da ihm klar wurde, daß die Leute zu schüchtern sein könnten, um ihre Gedanken in aller Öffentlichkeit vorzutragen, begann Queen, die Reihen abzugehen und jede Person einzeln und in für andere unhörbarer Lautstärke zu befragen. Als er damit fertig war, kehrte er langsamen Schrittes zu seinem Ausgangspunkt zurück.

»Ich sehe ein, daß ich Ihnen, meine Damen und Herren, erlauben muß, in Ihre friedlichen Heimstätten zurückzukehren. Vielen Dank für Ihre Hilfe … Entlassen!«

Er schleuderte ihnen das letzte Wort entgegen. Sie starrten ihn verwirrt an, standen in flüsternden Gruppen von ihren Plätzen auf, nahmen ihre Mäntel und Hüte und begannen, unter Velies strengem Blick aus dem Theater zu marschieren. Hilda Orange, die in der kleinen Gruppe hinter der letzten Reihe stand, seufzte.

»Es ist fast peinlich zu sehen, wie enttäuscht der arme alte Mann ist«, sagte sie flüsternd zu den anderen. »Kommt, Leute, laßt uns auch gehen.« Die Schauspieler und Schauspielerinnen verließen das Theater zusammen mit dem Rest der Gesellschaft.

Als die letzten gegangen waren, marschierte der Inspektor den Gang hinauf und trat finsteren Blickes vor die kleine Gruppe, die übriggeblieben war. Sie schienen genau zu merken, wie es im Innern des alten Mannes brodelte, und duckten sich unwillkürlich. Aber in einem der für ihn charakteristischen Stimmungswechsel zeigte sich der Inspektor wieder von seiner menschlichen Seite.

Er ließ sich auf einem der Plätze nieder, verschränkte die Arme über der Rückenlehne und betrachtete in Ruhe Madge O’Connell, Pfarrer Johnny und die anderen.

»In Ordnung, Leute«, sagte er freundlich. »Wie steht’s mit dir, Pfarrer? Du bist ein freier Mann, brauchst dir keine Sorgen mehr wegen des Einbruchs zu machen und kannst jetzt wie jeder respektable Bürger frei heraus sprechen. Kannst du uns in dieser Angelegenheit behilflich sein?«