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Das Licht von den Straßenlaternen her wurde schwächer, als er den gepflasterten Weg hinaufging. Etwas zögernd, so als wäre er unentschlossen, was er nun machen sollte, schaute er sich um, überlegte einen Augenblick, ging dann hinüber zur ersten Bank und ließ sich dort schwerfällig nieder – so wie jemand, der nach einem anstrengenden Arbeitstag ein erholsames Viertelstündchen in der Stille und Dunkelheit des Parks zu verbringen gedenkt.

Allmählich sank sein Kopf vornüber; allmählich schien seine ganze Gestalt zusammenzufallen. Er sah aus, als würde er ein Nickerchen machen.

Die Minuten verstrichen. Niemand ging an dem schwarz gekleideten Mann vorbei, während er dort ruhig auf seiner Bank saß. Von der 5. Avenue kam das Geräusch der vorbeibrausenden Autos; das schrille Pfeifen des Verkehrspolizisten auf der Plaza drang in regelmäßigen Abständen durch die kalte Nachtluft. Ein kühler Wind strich durch die Baumwipfel. Irgendwo aus dem tiefen Innern des Parkes erklang das helle Lachen eines Mädchens – leise und weit entfernt, aber überraschend klar und deutlich. Weiter verstrich die Zeit; der Mann schien fest eingeschlafen zu sein.

Aber als die Glocken der nahe gelegenen Kirchen begannen, zwölf Uhr zu schlagen, richtete sich die Gestalt auf, verweilte einen Augenblick und stand dann entschlossen auf.

Anstatt sich aber dem Ausgang zuzuwenden, ging der Mann weiter schwerfällig den Fußweg hinauf. Forschend blickten seine Augen aus einem durch Hutkrempe und Mantelkragen in völlige Finsternis getauchten Gesicht. Er schien die Parkbänke zu zählen, während er gleichmäßig, aber ohne Eile weiterging. Zwei – drei – vier – fünf. Er blieb stehen. Im Halbdunkel vor sich konnte er gerade noch eine graue Gestalt, die auf einer Bank saß, ausmachen.

Der Mann ging langsam weiter. Sechs – sieben. Er blieb nicht stehen, sondern ging geradewegs weiter. Acht – neun – zehn. Erst dann wandte er sich um und ging wieder zurück. Seine Gangart war nun flotter und entschiedener. Rasch näherte er sich der siebten Bank; dann blieb er abrupt stehen. Plötzlich ging er – so als hätte er einen Entschluß gefaßt – hinüber zu der Stelle, wo die sich undeutlich abzeichnende Gestalt ruhig verharrte, und setzte sich. Die Gestalt brummte etwas und rückte dann ein wenig zur Seite, um dem Neuankömmling Platz zu machen.

Schweigend saßen die beiden Männer da. Nach einer Weile holte der schwarz gekleidete Mann aus seinem Mantel ein Päckchen Zigaretten hervor. Er zündete sich eine an und hielt das Streichholz noch für einen Moment hoch, nachdem die Zigarette bereits rot aufgeglüht war. Im flackernden Licht des Streichholzes beäugte er heimlich den ruhigen Mann an seiner Seite. In der kurzen Zeit sah er nicht viel – die Person, die neben ihm auf der Parkbank saß, war genauso gut umhüllt und verborgen wie er selbst. Dann verlosch das Licht, und um sie herum war wieder Dunkelheit.

Der Mann im schwarzen Mantel schien zu einer Entscheidung zu kommen. Er beugte sich nach vorne, berührte den anderen Mann kurz am Knie und sagte mit leiser und heiserer Stimme nur das eine Wort: »Papiere!«

Auf der Stelle begann sich der andere Mann zu regen. Er wandte sich etwas zur Seite, betrachtete sein Gegenüber genau und brummte, so als wäre er zufriedengestellt. Bedächtig rückte er etwas ab von dem Mann in Schwarz und fuhr mit der rechten Hand in seine Manteltasche. Gespannt und mit leuchtenden Augen beugte sich der andere Mann nach vorne. Als die Hand wieder aus der Tasche herausfuhr, hielt sie etwas fest umklammert.

Dann tat der Mann, zu dem die Hand gehörte, etwas sehr Überraschendes. Unter Anspannung aller Muskeln sprang er von der Bank auf und machte einen Satz nach hinten, weg von dem schwarz gekleideten Mann. Gleichzeitig richtete er seine rechte Hand gerade auf die zusammengekauerte, erstarrte Gestalt. Im Lichtstrahl einer weit entfernten Straßenlaterne erkannte man, daß der Gegenstand in seiner Hand ein Revolver war.

Der Mann in Schwarz schrie heiser auf und sprang mit katzengleicher Gewandtheit von der Bank auf. Blitzschnell fuhr er mit der Hand in seine Manteltasche. Ohne sich um die auf sein Herz gerichtete Waffe zu kümmern, stürzte er auf die vor ihm stehende Gestalt los.

Um sie herum kam Leben auf. Das eben noch so friedliche Bild von weiten Räumen und nächtlicher Stille wurde auf wundersame Weise in einen Ort intensivster Betriebsamkeit verwandelt – in ein tobendes, geräuschvolles Inferno. Aus dem Gebüsch hinter der Parkbank tauchten auf einmal Männer mit gezogenen Waffen auf. Gleichzeitig erschien auf der gegenüberliegenden Seite des Gehweges eine Gruppe von Menschen und rannte auf die beiden Männer an der Parkbank zu. Und aus beiden Richtungen des Weges – vom Parkeingang her und aus der Dunkelheit des Parks – kamen mehrere Polizisten in Uniform mit der Waffe in der Hand gelaufen. Die vier Gruppen trafen fast gleichzeitig aufeinander.

Der Mann, der die Waffe gezogen hatte und zurückgesprungen war, wartete jedoch nicht die Ankunft der Verstärkung ab. Als sein Gegenüber mit der Hand in die Manteltasche fuhr, zielte er sorgfältig und schoß. Das Echo des Schusses hallte im Park wider. Eine orangefarbene Flamme fuhr in den Körper des schwarzgekleideten Mannes. Er taumelte vorwärts; zuckend griff er nach seiner Schulter. Seine Knie gaben nach, und er stürzte auf den Gehweg. Seine Hand steckte immer noch in der Manteltasche.

Aber die auf ihn einstürzenden Männer hielten ihn ab von allem, was er in seiner Raserei vorgehabt haben mochte. Unsanft wurden seine Arme gepackt und heruntergedrückt, so daß er die Hand nicht aus der Tasche ziehen konnte. So hielten sie ihn schweigend, bis hinter ihnen eine lebhafte Stimme erklang: »Vorsicht, Jungs – paßt auf seine Hände auf!« Inspektor Richard Queen mischte sich unter die schwer atmenden Männer. Nachdenklich stand er über der sich krümmenden Gestalt auf dem Pflaster.

»Zieh seine Hand heraus, Velie – aber immer mit der Ruhe! Halt sie fest – richtig fest, Mann! Sonst sticht er doch noch zu.«

Sergeant Thomas Velie, der den Arm fest umspannt hielt, zog ihn trotz der heftigen Bewegungen des Mannes behutsam aus der Tasche. Eine leere Hand erschien – die Muskeln hatten im letzten Moment nachgeben müssen. Sofort nahmen zwei Männer sie in ihren festen Griff.

Velie machte eine Bewegung, so als wollte er in die Tasche greifen. Mit einer scharfen Bemerkung gebot ihm der Inspektor Einhalt und beugte sich selbst hinunter zu dem niedergerungenen Mann auf dem Gehweg.

Vorsichtig, so als hinge sein Leben davon ab, ließ der alte Mann seine Hand in die Tasche gleiten und fühlte an ihren Außenseiten entlang. Er bekam etwas zu fassen, zog es genauso vorsichtig wieder hervor und hielt es gegen das Licht.

Es war eine Injektionsnadel. Die bläßliche Flüssigkeit im Innern schimmerte im Schein der Straßenlaterne.

Inspektor Queen lächelte, als er sich neben dem verwundeten Mann niederkniete. Er zog ihm den schwarzen Filzhut vom Kopf.

»Auch noch maskiert«, brummte er. Er riß den grauen Schnurrbart ab und fuhr mit seiner Hand rasch über die Furchen in seinem Gesicht. Sofort war die Haut verschmiert.

»Schön, schön!« sagte der Inspektor ruhig, während die fieberglänzenden Augen des Mannes zu ihm aufblickten. »Freut mich, Sie wiederzutreffen, Mr. Stephen Barry, Sie und Ihren guten Freund, Mr. Tetrableiäthyl!«

Zweiundzwanzigstes Kapitel

in welchem der Inspektor alles erklärt

Inspektor Queen saß an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer und schrieb eifrig auf einen Briefbogen mit dem Aufdruck DIE QUEENS.

Es war Mittwoch morgen – ein sehr schöner Morgen; durch die Mansardenfenster schien die Sonne in das Zimmer, und die heitere Betriebsamkeit der 87. Straße drang gedämpft vom Straßenpflaster herauf. Der Inspektor trug seinen Morgenrock und Hausschuhe. Djuna war gerade damit beschäftigt, den Frühstückstisch abzuräumen.