Die Flasche, aus der Field trank, enthielt guten Whisky, der allerdings sehr reichlich mit Tetrableiäthyl vermischt war. Der leichte Äthergeruch des Giftes verlor sich im Alkoholdunst; und Field kippte sofort einen Riesenschluck hinunter, bevor er
– wenn überhaupt – merkte, daß damit etwas nicht in Ordnung war. Automatisch reichte er die Flasche Barry zurück, der sie einsteckte und sagte: ›Ich denke, ich werde mir die Papiere noch einmal genauer ansehen. Es gibt wirklich keinen Grund, warum ich Ihnen trauen sollte, Field …‹ Field, dem das zu diesem Zeitpunkt bereits äußerst gleichgültig geworden war, nickte etwas verwirrt und sank in seinem Sessel zusammen. Barry untersuchte tatsächlich die Papiere, beobachtete aber gleichzeitig wie ein Habicht aus den Augenwinkeln Field. Nach ungefähr fünf Minuten sah er, daß Field so gut wie fertig war. Er war zwar noch nicht völlig bewußtlos, aber auf dem besten Wege dorthin. Sein Gesicht war verzerrt, und er schnappte nach Luft. Er schien nicht mehr in der Lage zu sein, eine heftige Bewegung zu machen oder aufzuschreien. Bei seinem Todeskampf hatte er Barry bereits vollkommen vergessen; wahrscheinlich blieb er auch nicht mehr lange bei Bewußtsein. Die wenigen Worte, die Pusak ihn stöhnen hörte, können nur noch mit der fast übermenschlichen Anstrengung eines praktisch bereits Toten hervorgestoßen worden sein …
Barry sah nun auf seine Uhr. Es war 9.40 Uhr. Er hatte sich nur zehn Minuten bei Field aufgehalten. Um 9.50 Uhr mußte er auf der Bühne zurück sein. Da er weniger Zeit als vorgesehen gebraucht hatte, beschloß er, noch weitere drei Minuten zu warten, um sicherzugehen, daß Field nicht doch noch Krach schlagen würde. Um genau 9.43 Uhr, als Field von seinen inneren Schmerzen schon entsetzlich geschwächt war, nahm Barry den Hut seines Opfers, ließ seinen eigenen Zylinder zusammenschnappen und unter seinem Cape verschwinden und erhob sich. Er wußte genau, wohin er sich zu wenden hatte. Eng entlang der linken Seitenwand ging er so vorsichtig und unauffällig wie möglich den Gang hinunter, bis er, ohne daß ihn jemand bemerkt hatte, die Rückseite der Logen vorne links erreicht hatte. Das Stück war gerade auf dem Höhepunkt der Spannung angelangt. Alle Augen waren auf die Bühne gerichtet.
Hinter den Logen riß er sich die falschen Haare herunter, brachte sein Gesicht rasch wieder in Ordnung und ging durch den Bühneneingang. Die Tür führte in einen schmalen Durchgang; dieser endete wiederum in einem Korridor, der zu den verschiedenen Bereichen hinter der Bühne führte. Sein Umkleideraum lag direkt am Eingang zum Korridor. Er schlüpfte hinein, warf den Requisitenzylinder zu seinen anderen Sachen, schüttete den restlichen Inhalt der todbringenden Flasche ins Waschbecken und wusch die Flasche aus. Dann leerte er den Inhalt der Spritze in den Abfluß und legte sie dann, nachdem er sie gesäubert hatte, beiseite. Wenn sie gefunden wurde – was machte das schon? Er hatte eine wirklich überzeugende Erklärung dafür, daß er sie besaß; und außerdem war der Mord überhaupt nicht mit Hilfe dieses Gegenstands begangen worden … Er war nun bereit für sein Stichwort – ruhig, heiter und ein wenig gelangweilt. Sein Aufruf kam genau um 9.50 Uhr; er ging auf die Bühne und blieb dort auch, bis der große Tumult um 9.55 Uhr im Zuschauerraum losbrach …«
»Jetzt erzähl weiter von diesem komplizierten Plan!« stieß Sampson hervor.
»Er ist gar nicht so kompliziert, wie er sich zunächst anhört«, entgegnete der Inspektor. »Denk immer daran, daß Barry ein überaus gewitzter junger Mann ist und darüber hinaus ein ausgezeichneter Schauspieler. Nur ein perfekter Schauspieler hätte einen solchen Plan ausführen können. Die Durchführung selbst war dann einfach; das Schwierigste dabei war, den Zeitplan einzuhalten. Sollte er von jemandem gesehen werden, so trug er eine ausgezeichnete Verkleidung. Der einzig gefährliche Teil in seinem Plan war das Wegkommen vom Tatort, als er den Gang hinunter und durch die Tür an den Logen hinter die Bühne ging. Auf den Gang und die Platzanweiser dort achtete er bereits, als er noch neben Field saß. Natürlich hatte er von vornherein gewußt, daß die Platzanweiser, gemäß den Erfordernissen des Stückes, mehr oder weniger pflichtgetreu auf ihren Posten blieben, aber er zählte auf seine Verkleidung und seine Injektionsnadel, die ihn durch alle möglichen Notsituationen hindurchbringen sollten. Nun, Madge O’Connell war sehr nachlässig in ihrer Pflichtauffassung, und so war selbst das noch zu seinen Gunsten. Er erzählte mir gestern abend nicht ohne einen gewissen Stolz, daß er auf jede Eventualität vorbereitet war … Was den Bühneneingang betraf, so wußte er aus Erfahrung, daß zu diesem Zeitpunkt des Stückes so gut wie jeder auf der Bühne war. Auch die Techniker waren alle auf ihren Posten sehr beschäftigt … Bei der Planung des Verbrechens wußte er also schon im voraus über die genauen Bedingungen Bescheid, unter denen er vorzugehen hatte. Und wenn es da noch eine Spur von Unsicherheit, von Gefahr gab – ›es war nun einmal ein gewagtes Unternehmen, nicht wahr?‹ fragte er mich gestern abend und lächelte dabei; und wenn auch für sonst nichts, so konnte ich ihm für diese Einstellung meine Anerkennung nicht versagen.«
Der Inspektor machte ohne Pause weiter. »Das macht deutlich, so hoffe ich, wie Barry den Mord begangen hat. Was unsere Nachforschungen betrifft … Trotz unserer Schlußfolgerungen bezüglich des Zylinders und unseres Wissens um die Identität des Mörders hatten wir immer noch keine Ahnung von den eigentlichen Umständen dieses Verbrechens. Wenn ihr euch noch einmal vor Augen führt, welches Beweismaterial wir bis Donnerstag abend zusammen hatten, so war das eigentlich nichts, mit dem wir etwas anfangen konnten. Das beste, was passieren konnte, war, daß sich irgendwo unter den Papieren, nach denen wir alle suchten, ein Anhaltspunkt befand, über den wir eine Verbindung zu Barry herstellen konnten. Selbst das wäre noch nicht ausreichend gewesen, aber … Das nächste war also«, sagte der Inspektor nach einem Seufzen, »die Entdeckung der Dokumente in Fields nettem Versteck auf dem Baldachin über seinem Bett. Das war ganz und gar Ellerys Leistung. Wir hatten herausgefunden, daß Field kein Bankschließfach, kein Postfach und keinen weiteren Wohnsitz besaß und auch keine freundlichen Nachbarn oder Ladenbesitzer kannte; die Dokumente befanden sich auch nicht in seiner Kanzlei. Weil alle anderen Möglichkeiten nicht in Frage kamen, beharrte Ellery darauf, daß sie sich irgendwo in Fields Wohnung befinden müßten. Ihr wißt, wie die Suche ausging – wieder eines von Ellerys Glanzstücken. Wir fanden Morgans Papiere; wir fanden die Dokumente, hinter denen Cronin her war, die Aufschluß über Fields Verbindungen zum organisierten Verbrechen gaben. Tim, ich bin ziemlich gespannt, was passiert, wenn wir uns damit jetzt ans große Aufräumen machen! Und schließlich fanden wir noch ein Bündel verschiedener Papiere – darunter die von Michaels und Barry. Du weißt sicher noch, Tim, daß Ellery aus Fields Beschäftigung mit der Handschriftenkunde geschlossen hatte, daß wir vielleicht Barrys Originaldokumente finden würden – und so war es auch.