So standen wir nun da mit einem wundervollen hypothetischen Tatbestand, aber ohne auch nur einen wirklichen Beweis. Der Fall, den wir vorzutragen hatten, hätte einem gerissenen Verteidiger keinerlei Schwierigkeiten bereitet. Es waren reine Indizienbeweise, die vor allem auf Schlußfolgerungen beruhten. Ihr wißt genausogut wie ich, welche Chancen ein solcher Fall vor Gericht gehabt hätte … Und dann fingen meine Schwierigkeiten erst richtig an, denn Ellery ging auf eine Reise.
Ich zermarterte mir den Kopf.« Queen blickte finster auf seine leere Kaffeetasse. »Es sah ziemlich schlecht aus. Wie konnte ich jemanden ohne Beweismaterial überführen? Es war zum Verrücktwerden. Aber dann tat Ellery mir noch einen letzten Gefallen, indem er mich telegrafisch auf eine Idee brachte.«
»Was für eine Idee?« fragte Cronin.
»Auf die Idee, es selbst ein wenig mit Erpressung zu versuchen.«
»Du als Erpresser?« Sampson blickte erstaunt. »Wozu hätte das denn führen sollen?«
»Wenn Ellery einen Vorschlag macht, solltet ihr ihm schon vertrauen, auch wenn es vielleicht etwas zwielichtig erscheinen mag«, erwiderte der Inspektor. »Ich erkannte sofort, daß unser einziger Ausweg darin bestand, das Beweismaterial selber zu fabrizieren.«
Die beiden Männer runzelten verblüfft die Stirn.
»Es war ganz einfach«, sagte Queen. »Field wurde durch ein ungewöhnliches Gift getötet. Er wurde umgebracht, weil er Barry erpreßt hatte. Lag es da nicht auf der Hand anzunehmen, daß Barry erneut Gift benutzen würde, wenn er plötzlich wieder auf die gleiche Weise erpreßt werden würde – und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach das gleiche Gift? Ich brauche euch wohl nicht an den Spruch ›Einmal ein Giftmörder, immer ein Giftmörder‹ zu erinnern. Wenn ich Barry nur dazu bringen konnte, es mit diesem Tetrableiäthyl bei jemand anderem zu versuchen, dann hatte ich ihn. Dieses Gift ist nahezu unbekannt
– aber das brauche ich nicht weiter auszuführen. Wenn ich ihn mit Tetrableiäthyl geschnappt hätte, wäre das ein ausreichender Beweis gewesen.
Das Ganze in die Tat umzusetzen, war eine andere Sache … Die Idee einer Erpressung entsprach ausgezeichnet den Gegebenheiten. Ich besaß wirklich die Originaldokumente über Barrys nicht lupenreine Abstammung. Barry hatte geglaubt, sie seien vernichtet – er hatte keinen Grund zu der Annahme, daß die Dokumente, die er von Field hatte, raffinierte Fälschungen waren. Wenn ich ihn erpreßte, saß er genauso in der Klemme wie zuvor. Folglich würde er auch wieder genauso handeln.
Und so bediente ich mich unseres lieben Freundes Charly Michaels. Der einzige Grund, warum ich mich seiner bediente, war, daß es für Barry nur folgerichtig erscheinen mußte, daß sich Michaels, Fields Kumpan und ständiger Begleiter, im Besitz der Originaldokumente befand. Ich brachte Michaels dazu, einen von mir diktierten Brief zu schreiben. Ich wollte, daß Michaels ihn schrieb, weil Barry möglicherweise durch seine Verbindung zu Field mit dessen Handschrift vertraut war. Dies mag euch vielleicht unwichtig vorkommen, aber ich konnte kein Risiko eingehen. Nur ein kleiner Fehler von meiner Seite – und Barry hätte sofort alles durchschaut, und ich hätte ihn nie mehr zu fassen bekommen.
Ich legte dem Brief ein Blatt aus den Originaldokumenten bei, um zu zeigen, daß an dieser Erpressung wirklich etwas dran war. Ich legte dar, daß Barry von Field nur Kopien bekommen hatte; das beigefügte Blatt unterstrich diese Behauptung. Es gab für Barry nicht den geringsten Grund, daran zu zweifeln, daß Michaels ihn wie zuvor sein Dienstherr schröpfen würde. Ich bestimmte Ort und Zeit, und – um es kurz zu machen – unser Plan klappte …
Ich denke, das war’s, meine Herren. Barry kam; er trug seine kleine zuverlässige Spritze mit Tetrableiäthyl bei sich. Dazu noch ein Fläschchen – also abgesehen von der Örtlichkeit eine exakte Wiederholung des Verbrechens an Field. Ich hatte meinen Mann – es war Ritter – angewiesen, kein Risiko einzugehen. Sobald er Barry erkannte, hielt er ihn mit der Waffe in Schach und schlug Alarm. Glücklicherweise saßen wir fast direkt hinter ihnen im Gebüsch. Barry war völlig verzweifelt und hätte sich und auch Ritter umgebracht, wenn er Gelegenheit dazu gehabt hätte.«
Ein bedeutungsvolles Schweigen entstand, als der Inspektor zum Ende gekommen war, seufzte und sich dann nach vorne beugte, um etwas Schnupftabak zu nehmen.
Sampson rutschte ein wenig auf dem Stuhl herum. »Das klingt ja wie ein echter Reißer, Q«, sagte er voller Bewunderung. »Aber einige Punkte sind mir noch nicht ganz klar. Wenn zum Beispiel dieses Tetrableiäthyl so wenig bekannt ist, wie kam ausgerechnet Barry darauf, und wie brachte er es fertig, es sogar selbst herzustellen?«
»Ah.« Der Inspektor lächelte. »Das hat mich auch beschäftigt, seit Jones mir das Gift beschrieben hat. Selbst nach der Festnahme war ich mir darüber noch nicht im klaren. Und doch war die Antwort für mich die ganze Zeit über zum Greifen nahe; das soll nur deutlich machen, wie dumm ich manchmal bin. Du erinnerst dich sicher daran, daß uns bei unserem Treffen bei den Ives-Popes ein gewisser Dr. Cornish vorgestellt wurde. Nun, Cornish ist der persönliche Freund des alten Financiers, und beide sind sehr interessiert an der Forschung im medizinischen Bereich. Tatsächlich erinnere ich mich daran, wie Ellery einmal fragte: ›Hat Ives-Pope nicht kürzlich 100.000 Dollar für die Chemical Research Foundation gestiftet?‹ Das stimmte. Es war im Rahmen einer Zusammenkunft im Haus der Ives-Popes vor einigen Monaten, daß Barry zufällig von dem Tetrableiäthyl erfuhr. Auf Vermittlung von Dr. Cornish war eine Abordnung von Wissenschaftlern an Ives-Pope herangetreten, um eine finanzielle Unterstützung der Foundation durch ihn zu erbitten. Im Verlauf des Abends wandte man sich natürlich auch dem neuesten Medizinerklatsch und den letzten wissenschaftlichen Entdeckungen zu. Barry gab zu, mit angehört zu haben, wie einer der Direktoren der Foundation, ein berühmter Toxikologe, den Anwesenden von jenem Gift erzählt habe. Zu diesem Zeitpunkt dachte Barry noch nicht im entferntesten daran, sich dieses Wissen jemals zunutze zu machen. Erst als er beschlossen hatte, Field umzubringen, erkannte er sofort die Vorteile dieses Giftes, vor allem den, daß man seine Herkunft nicht zurückverfolgen konnte.«
»Was um alles in der Welt bedeutete dann die Botschaft, die Sie mir am Donnerstag morgen durch Louis Panzer zukommen ließen, Inspektor?« fragte Cronin neugierig. »Sie erinnern sich? Sie baten mich, Lewin und Panzer bei ihrem Aufeinandertreffen zu beobachten, um herauszufinden, ob sie sich bereits kannten. Wie ich Ihnen schon berichtete, fragte ich Lewin später danach, und er stritt jede Bekanntschaft mit Panzer ab. Was steckte dahinter?«
»Panzer«, wiederholte der Inspektor leise. »Panzer war mir nie so ganz geheuer, Tim. Zu dem Zeitpunkt, als ich ihn zu dir schickte, hatten wir die Schlußfolgerungen aus der Art seines Hutes, die ihn von aller Schuld freisprachen, noch nicht gezogen … Ich schickte ihn aus reiner Neugierde zu dir. Wenn Lewin ihn wiedererkannt hätte, so dachte ich mir, hätte das auf eine mögliche Verbindung zwischen Panzer und Field hingedeutet. Aber der Verdacht erhärtete sich nicht; es war auch von Anfang an nicht besonders vielversprechend. Panzer hätte auch, ohne daß Lewin davon Kenntnis hatte, mit Field bekannt sein können. Auf der anderen Seite war mir auch sehr daran gelegen, daß Panzer an jenem Morgen nicht im Theater herumstand; so hatte der Botengang für uns beide sein Gutes.«
»Nun, ich hoffe, Sie waren vollauf mit dem Packen Zeitungen zufrieden, den ich Ihnen auf Ihre Anweisung hin zurückbringen ließ«, sagte Cronin mit einem Grinsen.