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Auch im Technischen übernahmen Dannay und Lee einige Anregungen von Wright: Dessen gegenüber der Öffentlichkeit allein in Erscheinung tretender Autor S. S. van Dine ist ja gleichzeitig, wie Ellery, eine Person der Handlung selbst, Vance’ Adlatus, Rechtsanwalt und Vermögensverwalter, der als ›Watson‹ in Romanform die Fälle veröffentlicht. Auch der Einsatz des Titels als Markenzeichen ist von Wright übernommen: Hatte der ausnahmslos in allen seinen Romanen jeweils »Murder Case« mit einem Namen oder einem zentralen Motiv des Falles verbunden, so bleiben Dannay und Lee durch neun Romane hindurch der Titelstruktur des ersten treu; »The Roman Hat Mystery« hatte das Muster vorgegeben, dem sie bis 1935 folgten: ›Mystery‹ wurde neunmal mit einem wechselnden Substantiv und einem der Geographie entnommenen Adjektiv verbunden.

Daß dem so sein würde, daß man achtmal an den Erfolg des Erstlings direkt würde anknüpfen können, scheinen die Vettern aber nicht geahnt zu haben, sonst hätten sie eine andere Erzählfiktion gewählt und die fiktive Entstehung ihres Erstlings nicht nach Inspektor Queens Pensionierung und dem gemeinsamen Rückzug der Familie nach Italien angesetzt. Dannay und Lee haben damit den gleichen Fehler begangen wie Agatha Christie und George Simenon, die, ebenfalls den Dauererfolg nicht voraussehend, die Laufbahn ihrer Helden in viel zu hohem Alter beginnen ließen. Bei Simenon führt dies zu einer auf ewig nicht zu entwirrenden unmöglichen Chronologie der Fälle, bei Christie zu der Eigentümlichkeit, daß Poirot von 1920 bis 1975 als unverändert pensionierter älterer Herr recht munter Fälle löst, bis endlich nach einem erfüllten Leben von etwa 120 Jahren der ›Vorhang fällt‹.

Ellery Queen hat diesen Fehler, der offensichtlich auf einem Versehen oder einer Mystifikation von J. J. McC. beruht, der als Agent für die frühen Queens tätig wurde, unauffällig korrigiert: In späteren Bänden ist Ellery wieder entheiratet, Richard Queen wieder im Dienst, beide leben mit ihrem eigentümlichen Diener wieder in der alten Wohnung in New York und werden einfach nicht mehr älter. Genau darin liegt der ungebrochene Erfolg der Romane um Ellery begründet: Es gelang Dannay und Lee zunehmend, sie dem wechselnden Publikumsgeschmack anzupassen und ihrem Helden die Phase des Fast-Vergessenseins zu ersparen, die sein Vorbild Philo Vance trotz seines spektakulären Erfolges und seines legendären Ruhms zwischen dem Tod seines Schöpfers 1939 und der allgemeinen Wiederentdeckung der schönen Kunst des Mordens in unseren Tagen durchleben mußte. Immer wieder gelang es Dannay und Lee, unter dem gemeinsamen Firmennamen »Ellery Queen« Romane zu schreiben, die aktuelle Themen aufgriffen, klar lokalisierte Schauplätze und einwandfrei datierbare Handlungen hatten und generell mit der gesellschaftlichen Entwicklung Amerikas von den dreißiger bis zu den siebziger Jahren Schritt hielten. Auf diese Weise bildet ihr Gesamtwerk in seiner Entwicklung durch fast ein halbes Jahrhundert hindurch eine graduelle Vermittlung zwischen der forcierten Zeit- und Ortlosigkeit des klassischen Detektivromans, der das für ihn spezifisch Kunstvolle gerade in seiner bewußten Künstlichkeit zeigt, und dem angeblichen Realismus der Amerikanischen Schule Hammetts und Chandlers. In der letzten Phase durften sie sogar noch den Triumph erleben, daß kunstvolle Morde outriertester Art wieder ihre Leser fanden und die meist bizarre Szenerie ihres Frühwerks, noch durch Serienmorde oder -taten nach Darwins Evolutionsstufen oder den zehn Geboten der Bibel erweitert, bei Innes oder Crispin lesenden Zeitgenossen begeisterte Zustimmung fanden.

Der Begriff der »Firma Ellery Queen«, zu der sich die Vettern zusammenschlossen, bekommt ab den vierziger Jahren einen eigentümlichen Doppelsinn: Neben dem ›Namen‹ für ihre Coproduktion bedeutet er jetzt auch eine wirkliche Firma, ja einen Konzern. Der Erfolg der Radioserie, Arbeit an Filmprojekten, eine auf Dannays Sammeltätigkeit zurückgehende regelrechte Editionsfabrik mit über 100 Anthologietiteln, die Herausgabe der niveauvollsten Genrezeitschrift, des »Ellery Queen Mystery Magazine« seit 1941, die ungebrochene Nachfrage nach neuen Romanen von und mit Ellery Queen, der Aufbau ganzer neuer Serien, die stark der Amerikanischen Schule nachempfunden wurden oder für jugendliche Leser bestimmt waren – dies alles mußte selbst die Kräfte eines von Haus aus doppelt besetzten Autors übersteigen. In den letzten Jahren wurde dann auch in Einzelfällen nachgewiesen, was generell auf der Hand lag: Im Spätwerk stammen etliche Romane von anderen Autoren, und »Ellery Queen« steht hier in der schlechten alten ›nègre‹Tradition eines Dumas père. Dies Verfahren bot sich in seinem Fall besonders an, waren doch auch die früheren Werke in einer von den beiden nie erläuterten Kooperation entstanden, die man jetzt einfach auf weitere Autoren ausdehnte, die unter der Oberaufsicht von Dannay oder Lee arbeiteten. Auch wenn sich so prominente Namen wie Theodore Sturgeon unter den mit einem Pauschalhonorar abgefundenen Ghostwritern finden, ist ein starkes Qualitätsgefälle innerhalb dieses Corpus und zu den ›echten‹ Queens unverkennbar.

So erfreulich diese Wandlung der »Firma« zum Konzern für das Vermögen von Dannay und Lee war, so schadete sie doch dem Markenzeichen, auf das sie in ihren Anfängen so bewußt geachtet, das sie mühsam entwickelt und sorgfältig gepflegt hatten. Die Konzessionen späterer Werke an den Geschmack eines am ›hard-boiled‹-Genre geschulten Publikums ließen auch in Amerika das Gesamtwerk bis in die Umschlaggestaltung der neueren Taschenbuchserien hinein in die Nähe Mickey Spillanes und seiner Epigonen geraten und führten in Deutschland gar zu einer bei solchen Produkten branchenüblichen bedenkenlosen Kürzung mit anschließender Billigübersetzung und liebloser Edition. Nur so wird die Feststellung verständlich, mit der Helmut Heißenbüttel seinen Aufsatz über die »Spielregeln des Kriminalromans« eröffnete: »Ich habe sechs- bis siebenhundert Kriminalromane gelesen und bin weiter ein ziemlich regelmäßiger Leser dessen, was neu auf den Markt kommt oder was mir bisher entgangen ist … Manches hat sich von selbst ausgeschieden. So kann ich, nach einigen Versuchen, nur schlecht Edgar Wallace oder Ellery Queen lesen.« Zweck dieser ungekürzten Neuübersetzung ist es, »Ellery Queen« für Heißenbüttel und andere Liebhaber des klassischen Detektivromans aus dem achtzehnkarätigen ›Golden Age‹ als einen der besten dieser Klassiker wiederzuentdecken.

Volker Neuhaus