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Ich sah meinen Vater an. Hatte ich früher schon oft Gelegenheit gehabt, ihn hoch zu achten, und hatte ich zu verschiedenen Zeiten entdeckt, daß er bedeutendere Eigenschaften besitze, als ich geahnt hatte, so war ich doch nie in der Lage, ihn beurteilen zu können, wie ich ihn jetzt beurteilte. In Geschäfte der eintönigsten Art gezwungen oder vielleicht selber und freiwillig in diese Geschäfte gegangen — denn er führte sie mit einer Ordnung, mit einer Rechtlichkeit, mit einer Ausdauer, mit einer Anhänglichkeit an sie, daß man staunen mußte —, hatte er, der unscheinbar seinen bürgerlichen Obliegenheiten nachkam und von dem Viele nur glauben mochten, daß er in seinem Hause einige Spielereien von alten Geräten, Bildern und Büchern habe, vielleicht einen tieferen und einsameren Kreis um sich gezogen, als ich jetzt noch erkennen konnte, und hatte ohne Anspruch an diesem Kreise fort gebaut. Ich empfand Ehrfurcht vor ihm und fragte ihn, ob er die Schriftsteller, von denen er spreche, griechisch gelesen habe.

»Wie könnte ich sie denn anders gelesen haben und noch lesen, wenn ich sie lieben soll«, antwortete er, »die alte vorchristliche Welt hat so ganz andere Vorstellungen als die unsere, die Völkerwanderung hat so sehr einen Abschnitt in der Geschichte gemacht, daß die Werke der vorher gewesenen Völker gar nicht übersetzt werden können, weil unsere Sprachen in ihrem Körper und in ihrem Geiste auf die alten Vorstellungen nicht passen. Im Lesen in ihrer Sprache und in ihren Dichtungen und Geschichten wird man nach und nach einer von ihnen und lernt ihre Art beurteilen, was man sonst nie mehr kann. In unsern Schulen lernen wir ja römisch und griechisch, und wenn man in der Zeit nach der Schule noch etwas nachhilft und fleißig in den alten Schriften liest, so fügt sich die Sache ohne Mühe und gelingt leichter, als man etwa das Französische, Italienische oder Englische lernt, wie es ja jetzt die meisten Leute tun.«

»Du hast ja aber auch diese Sprachen gelernt«, sagte ich.

»Wie sie auch andere lernen«, antwortete er, »und wie es mein Stand forderte.«

»Ich habe es bis heute nicht gewußt, daß du in den alten Sprachen Bücher liesest«, sagte ich, »und was noch mehr ist, daß du dich in die Dichtkunst, in die Geschichte und Weltweisheit der Völker, deren Schriften du liesest, vertiefest. Du weißt, daß wir uns nie anmaßten, die Bücher zu untersuchen, in denen du liesest.«

»Es war keine Ursache vorhanden, dir zu erzählen, was ich lese«, antwortete er, »ich dachte, es wird sich schon geben. Deine Mutter wußte es wohl.«

Die Hochachtung für den Vater, der ohne Aufheben mehr war, als der Sohn geahnt hatte, und der geduldig auf den Sohn gewartet hatte, ob er auf dem Wege zu ihm stoßen werde, war nicht die einzige Frucht dieses Tages. Ich empfand recht wohl, daß der Vater auch mich höher achtete und daß er eine große Freude habe, daß der Sohn nun auch in Kunstdingen sich ihm nähere. Daß wir in einigen wissenschaftlichen Sachen zusammen trafen, wußte ich wohl, da wir über Gegenstände der Geschichte, der Dichtungen und über andere in jüngster Zeit manchmal gesprochen hatten. Ich wußte aber nie, in wie ferne und auf welchen Wegen der Vater zu diesen Dingen gekommen war. Heute hatte ich einen großem Einblick getan, und ich wußte nun auch gar nicht, welch eine geregelte wissenschaftliche Bildung der Vater aus seinen früheren Jahren hinter sich habe und ob es nicht etwa gar aus dieser wissenschaftlichen Bildung herzuschreiben sei, daß er mich gerade meinen Weg habe gehen lassen, der mir selber zuweilen abenteuerlich vorgekommen war. Ich mußte jetzt doppelt wünschen, daß mein Vater einmal mit meinem Gastfreunde zusammen käme, um mit ihm über ähnliche Gegenstände zu sprechen, wie er heute zu mir gesprochen hatte. Ich konnte doch nicht hinreichend eingehen und wußte auch nicht, in wie ferne er in seinen Urteilen über altgriechische Bildnerkunst, Dichtkunst, Malerei und über die neuere Musik Recht habe. Allein der Vater arbeitete so ruhig in seinem Berufsgeschäfte weiter, er war in alle Einzelheiten desselben so vertieft und sorgte für den regelmäßigen Fortgang desselben, daß es nicht leicht zu erwarten war, daß er sich zu einer Reise entschließen würde.

Gegen das Ende unseres Gespräches kam auch die Mutter und Klotilde herein. Das Angesicht der Mutter wurde sehr heiter, als sie uns bei den Steinen stehen sah, als sie sah, daß der Vater sie mir zeigte und erklärte, und als sie auch erkennen mochte, daß in dem Wesen des Vaters eine Freude sei, und daß die Annäherung, die sie geahnt habe, wirklich eingetreten sei.

Wir gingen noch einige Male bald in das Bilderzimmer, bald in das Altertumszimmer, in welchem noch immer die Lade mit den Steinen auf dem Tische stand, und redeten über Verschiedenes.

»Diese Kunstwerke«, sagte der Vater, da er die Steine wieder verschlossen hatte und da wir uns aus diesem Zimmer entfernten, »könnt ihr in euren Besitz bringen. Wenn ihr Sinn und tiefe Liebe für dieselben habet, so werdet ihr sie nach unserem Tode in einer von mir gemachten und, wie ich glaube, gerechten Teilung empfangen. Sterbe ich vor eurer Mutter, so bleiben sie als Denkmal unseres friedlichen Hauses in der Lage, in der sie jetzt sind, und sie werden euch erst eingehändigt, wenn mir auch die Mutter gefolgt ist. Will Klotilde dir ihren Anteil abtreten, so ist die Summe schon bestimmt, welche du ihr dafür geben mußt, und so auch umgekehrt. Ist bei beiden nach unserm Absterben eine solche Liebe zu diesen Bildern und Steinen nicht vorhanden, daß ihr sie unzersplittert bewahret, so ist schon bestimmt, daß auf eure hierin eingeholte Erklärung dieselben gegen ein Entgelt, das nicht unbillig ist, an einen Ort übergehen, an welchem sie beisammen bleiben. Ich glaube aber wohl, daß diese Neigung in unserm Hause fortdauern werde.«