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Daß das alles vereinigt werden konnte, mußte eine genaue Zeiteinteilung gemacht werden, und ich mußte die Zeit richtig verwenden. Dazu war ich wohl von Kindheit an gewöhnt worden, ich stand sehr früh auf und hatte Manches für den Tag schon an der Lampe fertig gemacht, wenn die allgemeine Frühstunde in unserm Hause heran rückte und man sich zu dem Frühmahle versammelte. Dazu brauchte ich nicht viel Schlaf und konnte manche Stunde von der beginnenden Nacht nehmen. Die Tätigkeit stärkte, und wenn ein Schwung und eine Erhebung in meinem Wesen war, so wurde der Schwung und die Erhebung durch die Tätigkeit noch klarer und fester.

Einer meiner ersten Gänge war nach meiner Zurückkunft zu der Fürstin, um mich ihr vorzustellen. Sie war selber erst vor wenigen Tagen von ihrem Lieblingslandsitze in die Stadt zurückgekehrt und noch nicht recht heimisch. Sie empfing mich sehr freundlich wie immer und fragte mich um meine Beschäftigungen während des Sommers. Ich konnte ihr nicht viel sagen und erzählte ihr außer den Messungen, die ich am Lautersee vorgenommen hatte, von meinen Kunstbestrebungen, meiner Kunstneigung und meiner Liebe zu den Dichtungen. Von den besonderen Verhältnissen zu meinem Gastfreunde erwähnte ich nur das Allgemeine, weil ich es für anmaßend gehalten hätte, einer alten, würdigen Frau, deren Beziehungen ausgebreitet und inhaltsreich waren, unaufgefordert Einzelheiten von meinem Leben mitzuteilen. Sie ging auch nicht näher darauf ein, dafür verweilte sie desto eifriger bei der Kunst und bei den Dichtern. Sie fragte mich, was ich gelesen hätte, wie ich es aufgefaßt hätte und was ich darüber dächte. Sie zeigte sich hierbei mit allen den Werken bekannt, welche ich ihr nannte, nur hatte sie das Griechische, von dem ich ihr erzählte, bloß in der Übersetzung gelesen. Sie ging im Allgemeinen auf die Gegenstände ein und verweilte bei manchem Einzelnen ganz besonders. Unsere Ansichten trafen oft zusammen, oft gingen sie auch auseinander, und sie suchte ihre Meinung zu begründen, was mir zum mindesten immer manche neue Gesichtspunkte gab. In Bezug auf die Kunst verlangte sie, daß ich ihr einige Zeichnungen und Malereien zeigen möchte, deren Wahl ich selber vornehmen könne, wenn ich schon nicht alle vor ihre Augen bringen wollte. Ich sagte, daß alle wohl zu viel wären, namentlich, da ich in erster Zeit so viele bloß naturwissenschaftliche Zeichnungen gemacht habe, und daß ich selber die Grenze nicht angeben könne, wo die naturwissenschaftlichen Zeichnungen in die künstlerisch angelegten übergingen. Ich würde aus allen Zeitabschnitten etwas auswählen und es ihr bringen. Es wurde ein Tag bestimmt, an welchem ich zur Mittagszeit zu ihr kommen sollte.

Ich kam an dem Tage, es war niemand als die Vorleserin zugegen, und es wurde der Befehl gegeben, niemanden vorzulassen; denn ihr allein hätte ich ja die Zeichnungen gebracht, nicht jedem fremden Auge, das dazu käme. Sie sah alle Blätter an und billigte alle, besonders erregten naturwissenschaftliche Pflanzenzeichnungen ihre Aufmerksamkeit, weil sie sich viel mit Pflanzenkunde beschäftigt hatte, noch jetzt Anteil an dieser Wissenschaft nahm und sie besonders bei ihren Landaufenthalten pflegte. Sie freute sich an der Genauigkeit der Abbildungen und sagte mir ganz richtig, welche den Urbildern am meisten entsprächen. Nach diesen Pflanzenzeichnungen sagten ihr am meisten die der Köpfe zu. An den landschaftlichen Versuchen mochte ihr die Einseitigkeit aufgefallen sein, da sie gewiß eine Kennerin landschaftlicher Bildungen war, weil sie sehr gerne im Sommer einige Wochen an irgend einer der schönsten Stellen unseres Landes verweilte. Sie äußerte sich aber in dieser Richtung nicht. Von den Köpfen sagte sie, daß man auf diese Weise eine ganze Sammlung merkwürdiger Menschen anlegen könnte. Ich erwiderte, darauf sei ich nicht ausgegangen, ich könnte auch nicht so leicht beurteilen, wer ein merkwürdiger Mensch sei. Es habe mir nur, da ich lange Zeit Gegenstände der Natur gezeichnet hatte, eingeleuchtet, daß das menschliche Antlitz der würdigste Gegenstand für Zeichnungen sei, und da habe ich die Versuche begonnen, es in solchen auszudrücken. Ich habe anfangs dabei unwissend fast immer die Richtung von Naturzeichnungen verfolgt, bis sich mir etwas Höheres zeigte, dessen Darstellung darüber hinausgeht, das uns erst die Züge und Mienen recht menschlich macht und dessen Vergegenwärtigung ich nun anstrebe, in Ungewißheit, ob es gelingen werde oder nicht.

Sie fragte auch nach denjenigen von meinen wissenschaftlichen Bestrebungen, die ich im Zusammenhange aufgeschrieben habe, und ließ den Wunsch blicken, etwas Zusammengehöriges zu erfahren. Die Geschichte, wie unsere Erde entstanden sei und wie sie sich bis auf die heutigen Tage entwickelt habe, mußte den größten Anteil erwecken. Ich entgegnete, daß wir nicht so weit seien und daß ich am wenigsten zu denen gehöre, welche einen ergiebigen Stoff zu neuen Schlüssen geliefert haben, so sehr ich mich auch bestrebe, für mich, und wenn es angeht, auch für Andere so viel zu fördern, als mir nur immer möglich ist. Wenn sie davon und auch von dem, was Andere getan haben, Mitteilungen zu empfangen wünsche, ohne sich eben in die vorhandenen wissenschaftlichen Werke vertiefen und den Gegenstand als eigenen Zweck vornehmen zu wollen, so werde sich wohl Zeit und Gelegenheit finden. Sie zeigte sich zufrieden und entließ mich mit jener Güte und Anmut, die ihr so eigen war.

Seit dieser Zeit verwandelte sich mein Verhältnis zu ihr in ein anderes. Da ich nun einmal unter Tags in ihrer Wohnung gewesen war, geschah dies öfter, entweder, wenn wir Werke oder Abbildungen anzuschauen hatten, wozu das Licht der abendlichen Lampen nicht ausreichend gewesen wäre, oder wenn sie mich zu Gesprächen einladen ließ, die dann gewöhnlich zwischen ihr, ihrer Gesellschafterin und mir vorfielen — selten geschah es, daß einer ihrer Söhne gelegentlich anwesend war oder eine Enkelin oder jemand von ihren näheren Anverwandten — und bei denen meistens die Geschichte der Erde oder etwas in die Naturlehre Einschlägiges der Gegenstand war. Öfter machte ich auch selber einen kurzen Besuch, um mich um den Zustand ihrer Gesundheit zu erkundigen. Auch die Abende kamen in Bezug auf mich in eine andere Gestalt. Da wir einmal von Dichtungen geredet hatten, mit denen ich mich in der letzten Zeit beschäftigte und da gerade diese Dichtungen aus einer vergangenen Zeit stammten, die nichts mit den Tageserzeugnissen gemein hatte, da die Fürstin sich in ihren jetzigen Jahren mit diesen Dingen nicht beschäftigte und die Zeit schon ziemlich weit hinter ihr lag, in der sie Kenntnis von solchen Werken genommen hatte, so wurde beschlossen, wieder das eine oder das andere vorzunehmen und es gemeinschaftlich zu genießen. Das geschah an Abenden, und ich mußte oft die Pflicht des Vorlesers übernehmen, besonders wenn die Gesellschaft nicht zahlreich war, was sich gerne an Abenden ereignete, in denen Dichtungen vorgenommen wurden. In diese Pflicht geriet ich bei Gelegenheit der Vornahme einiger spanischen Romanzen. Die Fürstin, die Gesellschafterin, ich und noch ein Mann, welcher zugegen war, verstanden schlecht spanisch; doch war beschlossen worden, die Romanzen in spanischer Sprache zu lesen. Das Vorlesen wurde mir aufgetragen, und wie schlecht oder gut es ging, wir verstanden doch mit eingemischten Erklärungen und mit gelegentlichen Gesprächen in unserer Muttersprache zuletzt die Romanzen. Nach diesem Vorgange mußte ich nun auch öfter in deutscher Sprache vorlesen, und es geschah nicht selten, daß ich um meine Meinung über Teile des Gelesenen befragt wurde und daß man eine Erklärung verlangte. Dies wurde um so mehr der Fall, als wir uns auch über Abteilungen aus Cervantes und Calderon wagten. In andern Sprachen, besonders im Italienischen des Dante und Tasso, las sehr gerne die Gesellschafterin der Fürstin. Das Alte aus dem Griechischen — es wurde nur die Ilias und Odysseus, dann einiges aus Äschylos vorgenommen — mußte ich ganz allein in deutscher Übersetzung vorlesen. Es wurde da auch sehr viel über das uralte gesellschaftliche Leben der Griechen, über ihre häuslichen Einrichtungen, über ihren Staat, ihre Kunst und über die Gestalt und Beschaffenheit ihres Landes und ihrer Meere gesprochen. Ich wurde zu diesen Beschäftigungen in diesem Winter weit öfter zu der Fürstin eingeladen, als es früher der Fall gewesen war. Der Frühling und die Zeit, in welcher man wieder den Landaufenthalt zu suchen pflegt, kam uns zu früh, wir verabredeten noch, was wir in dem nächsten Winter vorzunehmen gedächten, und die Fürstin beurlaubte mich mit vieler und sehr gewinnender Freundlichkeit.