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»Das werde ich nicht tun, Mutter«, entgegnete Natalie, »aber lasse mich gehen, es ist ein Wunsch in mir, so zu verfahren. Ich werde ihn mäßigen, wie ich kann; ich tue es um deinetwillen, Mutter, daß du dich nicht beunruhigest. Ich möchte auf dem Felderhügel herum gehen, dann auch in dem Tale und in dem Walde, ich möchte auch in dem Lande gehen und Alles darin beschauen und betrachten. Und die Ruhe schließt dann so schön das Gemüt und den Willen ab.«

Daß Natalie doch durch das Wandeln in der heißen Sonne unmittelbar vor der Mittagszeit sich erhitzt habe, zeigte ihr Angesicht. Dasselbe behielt die Röte, welche es nach dem ersten Erblassen erhalten hatte, und verlor sie nur in geringem Maße, während sie an dem Tische saß, was doch eine geraume Zeit dauerte. Es blühte dieses Rot wie ein sanftes Licht auf ihren Wangen und verschönerte sie gleichsam wie ein klarer Schimmer.

Sie fuhr in ihrem Geschäfte mit den Blumen fort, sie legte eine nach der andern von dem größeren Strauße zu dem kleineren, bis der kleinere Strauß der größere wurde, der größere aber sich immer verkleinerte. Sie schied keine einzige Blume aus, sie warf nicht einmal einen Grashalm weg, der sich eingefunden hatte; es erschien also, daß sie weniger eine Auslese der Blumen machen, als dem alten Strauße eine neue, schönere Gestalt geben wollte. So war es auch, denn der alte Strauß war endlich verschwunden und der neue lag allein auf dem Tische.

Mathilde hatte ihr Buch immer vor sich auf dem Tische liegen und sah nicht wieder hinein. Sie frug mich um meinen letzten Aufenthalt und um meine letzten Arbeiten. Ich setzte ihr beides auseinander.

Gustav hatte sich indessen auch auf einen Sessel, ganz nahe an mir, gesetzt, und hörte aufmerksam zu.

Als die Sonne im Mittage angekommen war und nachgerade unsern ganzen Tisch erfüllt hatte, erschien Arabella, um uns zum Mittagessen zu rufen.

Ein Mann, der in dem Garten arbeitete, mußte den Blumentopf in das Haus tragen. Mathilde nahm das Buch und ein Arbeitskörbchen, das neben ihr auf dem Tische gestanden war, Natalie nahm ihren Blumenstrauß, hing ihren Hut wieder an ihren Arm, und so gingen wir in das Haus. Die Frauen wandelten vor uns, Gustav und ich gingen hinter ihnen.

Daß ich mich gegen meinen Gastfreund, gegen Eustach, gegen Gustav und selbst gegen die Leute des Hauses verteidigen mußte, weil ich heuer so spät gekommen sei, nahm mich nicht Wunder, da ich immer so freundlich hier aufgenommen worden war, und da man sich beinahe daran gewöhnt hatte, daß ich alle Sommer in das Rosenhaus komme, wie ja auch mir diese Besuche zur Gewohnheit geworden waren.

Mein Gastfreund und ich sprachen von den Dingen, welche ich im Laufe des heurigen Sommers unternommen hatte, so wie er mir auch in den ersten Tagen alles zeigte, was in dem Rosenhause geschah und was sich in meiner Abwesenheit verändert hatte.

Ich sah, daß die Zeit der Rosenblüte nicht so lange dauern werde, weil ich ja auch nicht zu ihrem ersten Anfange, sondern etwas später gekommen war.

Die Bilder gaben mir wieder eine süße Empfindung, und die hohe Gestalt auf der Treppe trat mir immer näher, seit ich die geschnittenen Steine gesehen hatte und seit ich wußte, daß etwas unter den Lebenden wandle, das ähnlich sei. Ich ging mit Gustav oder allein öfter in der Gegend herum.

Eines Nachmittages waren wir in dem Rosenzimmer. Mathilde sprach recht freundlich von verschiedenen Gegenständen des Lebens, von den Erscheinungen desselben, wie man sie aufnehmen müsse und wie sie in dem Laufe der Jahre sich ablösen. Mein Gastfreund antwortete ihr. Bei dieser Gelegenheit sah ich erst, wie zart und schön für das Zimmer gesorgt worden war; denn die vier an Größe wie an Rahmen gleichen Gemälde, die in demselben hingen, waren trotz ihrer Kleinheit bei Weitem das Herrlichste und Außerordentlichste, was es an Gemälden im Rosenhause gab. Ich hatte mein Urteil doch schon so weit gebildet, um bei dem großen Unterschiede, der da waltete, das einsehen zu können. Doch leitete ich auch meinen Gastfreund auf den Gegenstand, und er gab meine Wahrnehmung, freilich in sehr bescheidenen Ausdrücken, weil Mathilde zugegen war, zu. Wir besahen, nachdem das Gespräch eine Wendung genommen hatte, die Bilder und machten uns auf das Zarte, Liebliche und Hohe derselben aufmerksam.

Besuche, wie gewöhnlich zur Rosenzeit, kamen auch heuer; aber ich mischte mich weniger als etwa in früheren Jahren unter die Leute.

Natalie ging wirklich, wie ich jetzt selber wahrnahm, in diesem Sommer mehr als in vergangenen im Garten und in der Gegend herum, sie ging viel weiter und ging auch öfter allein. Sie ging nicht bloß bei dem großen Kirschbaume öfter in das Freie und ging dort zwischen den Saaten herum, sondern sie ging auch geradewegs über den Hügel hinab zu der Straße, oder sie ging in den Meierhof oder längs der Hügel dahin, oder sie ging ein Stück auf dem Wege nach dem Inghofe. Wenn sie zurückgekehrt war, saß sie in ihrem Lehnstuhle und blickte auf das, was vor ihr oder in ihrer Umgebung geschah.

Eines Tages, da ich selber einen weiten Weg gemacht hatte und gegen Abend in das Rosenhaus zurück kehrte, sah ich, da ich von dem Erlenbache hinauf eine kürzere Richtung eingeschlagen hatte, auf bloßem Rasen zwischen den Feldern gegangen, auf der Höhe angekommen war und nun gegen die Felderrast zuging, auf dem Bänklein, das unter der Esche derselben steht, eine Gestalt sitzen. Ich kümmerte mich nicht viel um sie und ging meines Weges, welcher gerade auf den Baum zuführte, weiter. Ich konnte, wie nahe ich auch kam, die Gestalt nicht erkennen; denn sie hatte nicht nur den Rücken gegen mich gekehrt, sondern war auch durch den größten Teil des Baumstammes gedeckt. Ihr Angesicht blickte nach Süden. Sie regte sich nicht und wendete sich nicht. So kam ich fast dicht gegen sie heran. Sie mußte nun meinen Tritt im Grase oder mein Anstreifen an das Getreide gehört haben; denn sie erhob sich plötzlich, wendete sich um, damit sie mich sähe, und ich stand vor Natalien. Kaum zwei Schritte waren wir von einander entfernt. Das Bänklein stand zwischen uns. Der Baumstamm war jetzt etwas seitwärts. Wir erschraken beide. Ich hatte nehmlich nicht — auch nicht im Entferntesten — daran gedacht, daß Natalie auf dem Bänklein sitzen könne, und sie mußte erschrocken sein, weil sie plötzlich Schritte hinter sich gehört hatte, wo doch kein Weg ging, und weil sie, da sie sich umwendete, einen Mann vor sich stehen gesehen hatte. Ich mußte annehmen, daß sie nicht gleich erkannt habe, daß ich es sei.

Ein Weilchen standen wir stumm gegenüber, dann sagte ich: »Seid Ihr es, Fräulein, ich hatte nicht gedacht, daß ich Euch unter dem Eschenbaume sitzend finden würde.«

»Ich war ermüdet«, antwortete sie, »und setzte mich auf die Bank, um zu ruhen. Auch dürfte es wohl an der Zeit später geworden sein, als man gewohnt ist, mich nach Hause kommen zu sehen.«

»Wenn Ihr ermüdet seid«, sagte ich, »so will ich nicht Ursache sein, daß Ihr steht, ich bitte, setzet Euch, ich will, so schnell ich kann, durch die Felder und den Garten eilen und euch Gustav herauf senden, daß er Euch nach Hause begleite.«

»Das wird nicht nötig sein«, erwiderte sie, »es ist ja noch nicht Abend, und selbst wenn es Abend wäre, so droht wohl nirgends ringsherum eine Gefahr. Ich bin schon viel weiter allein gegangen, ich bin allein nach Hause zurückgekehrt, meine Mutter und unser Gastfreund haben deshalb keine Besorgnisse gehabt. Heute bin ich bis auf dem Raitbühel bei dem roten Kreuze gewesen und bin von dort zu der Bank hieher zurück gegangen.«

»Das ist ja fast über eine Stunde Weges«, sagte ich.