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»Ich weiß nicht, wie lange ich gegangen bin«, antwortete sie, »ich ging zwischen den Feldern hin, auf denen die ungeheure Menge des Getreides steht, ich ging an manchem Strauche hin, den der Rain enthält, ich ging an manchem Baume vorbei, der in dem Getreide steht, und kam zu dem roten Kreuze, das aus den Saaten empor ragt.«

»Wenn ich sehr gut gehe«, sagte ich, »so brauche ich von hier bis zu dem roten Kreuze eine Stunde.«

»Ich habe, wie ich sagte, die Zeit nicht gezählt«, entgegnete sie, »ich bin von hier zu dem Kreuze gegangen, und bin von dem Kreuze wieder hieher zurück gekehrt.«

Während dieser Worte war ich aus der ungefügen Stellung im Grase hinter dem Bänklein auf den freien Raum herüber getreten, der sich vor dem Baume ausbreitet, Natalie hatte eine leichte Bewegung gemacht und sich wieder auf das Bänkchen gesetzt.

»Nach einem solchen Gange bedürft Ihr freilich der Ruhe«, sprach ich.

»Es ist auch nicht gerade deswillen«, antwortete sie, »weshalb ich diese Bank suchte. So ermüdet ich bin, so könnte ich wohl noch recht gut den Weg durch die Felder und den Garten nach Hause, ja noch einen viel weiteren machen; aber es gesellte sich zu dem körperlichen Wunsche noch ein anderer.«

»Nun?«

»Auf diesem Platze ist es schön, das Auge kann sich ergehen, ich bin bei meinen Gedanken, ich brauche diese Gedanken nicht zu unterbrechen, was ich doch tun muß, wenn ich zu den Meinigen zurück kehre.«

»Und darum ruhet Ihr hier?«

»Darum ruhe ich hier.«

»Seid Ihr von eurer Kindheit an gerne allein in den Feldern gegangen?«

»Ich erinnere mich des Wunsches nicht«, antwortete sie, »wie es denn überhaupt einige Zeitabschnitte in meiner Kindheit gibt, an welche ich mich nicht genau erinnern kann, und da der Wunsch in meinem Gedächtnisse nicht gegenwärtig ist, so wird auch die Tatsache nicht gewesen sein, obwohl es wahr ist, daß ich als Kind lebhafte Bewegungen sehr geliebt habe.«

»Und jetzt führt Euch Eure Neigung öfter in das Freie?« fragte ich.

»Ich gehe gerne herum, wo ich nicht beengt bin«, antwortete sie, »ich gehe zwischen den Feldern und den wallenden Saaten, ich steige auf die sanften Hügel empor, ich wandere an den blätterreichen Bäumen vorüber und gehe so fort, bis mich eine fremde Gegend ansieht, der Himmel über derselben gleichsam ein anderer ist und andere Wolken hegt. Im Gehen sinne und denke ich dann. Der Himmel, die Wolken darin, das Getreide, die Bäume, die Gesträuche, das Gras, die Blumen stören mich nicht. Wenn ich recht ermüdet bin und auf einem Bänklein wie hier oder auf einem Sessel in unserem Garten oder selbst auf einem Sitze in unserem Zimmer ausruhen kann, so denke ich, ich werde nun nicht wieder so weit gehen. — Und wo seid denn ihr gewesen?« fragte sie, nachdem sie sich unterbrochen und ein Weilchen geschwiegen hatte.

»Ich bin nach dein Essen von dem Erlenbache zu dem Teiche hinauf gegangen«, antwortete ich, »dann durch das Gehölze auf den Balkhügel empor, von dem man die Gegend von Landegg sieht und den Turm seiner Pfarrkirche erblicken kann. Von dem Balkhügel bin ich dann noch auf den Höhen fortgegangen, bis ich zu den Rohrhäusern gekommen bin. Da ich dort schon zwei starke Wegstunden von dem Asperhofe entfernt war, schlug ich den Rückweg ein. Ich hatte im Hingehen viele Zeit verbraucht, weil ich häufig stehen geblieben war und verschiedene Dinge angesehen hatte, deshalb wählte ich nun einen kürzeren Rückgang. Ich ging auf Feldpfaden und mannigfaltigen Kirchenwegen durch die Felder, bis ich zwischen Dernhof und Ambach wieder zu dem Seewalde und zu dem Erlenbache herabkam. Von dort aus waren mir Raine bekannt, die am kürzesten auf die Felderrast herüber führten. Obwohl auf ihnen kein Weg führt, ging ich doch auf ihrem Grase fort und kam so gegen Euch herzu.«

»Da müßt Ihr ja recht müde sein«, sagte sie und machte eine Bewegung auf dem Bänklein, um mir Platz neben sich zu verschaffen.

Ich wußte nicht recht, wie ich tun sollte, setzte mich aber doch an ihrer Seite nieder.

»Habt Ihr etwa ein Buch mit euch genommen, um auf dieser Bank zu lesen«, fragte ich, »oder habt Ihr nicht Blumen gepflückt?«

»Ich habe kein Buch mitgenommen und habe keine Blumen gepflückt«, antwortete sie, »ich kann nicht lesen, wenn ich gehe, und kann auch nicht lesen, wenn ich im freien Felde auf einer Bank oder auf einem Steine sitze.«

Wirklich sah ich auch gar nichts neben ihr, sie hatte kein Körbchen oder sonst irgend etwas, das Frauen gerne mit sich zu tragen pflegen, um Gegenstände hinein legen zu können; sie saß müßig auf dem Bänklein, und ihr Strohhut, den sie von dem Haupte genommen hatte, lag neben ihr in dem Grase.

»Die Blumen pflücke ich«, fuhr sie nach einem Weilchen fort, »wenn sie bei Gelegenheit an dem Wege stehen. Hier herum ist meistens der Mohn, der aber wenig zu Sträußen paßt, weil er gerne die Blätter fallen läßt, dann sind die Kornblumen, die Wegnelken, die Glocken und andere. Oft pflücke ich auch keine Blumen, wenn sie noch so reichlich vor mir stehen.«

Mir war es seltsam, daß ich mit Natalien allein unter der Esche der Felderrast sitze. Ihre Fußspitzen ragten in den Staub der vor uns befindlichen offenen Stelle hinaus, und der Saum ihrer Kleider berührte denselben Staub. In der Krone der Esche rührte sich kein Blättchen; denn die Luft war still. Weit vor uns hinabgehend und weit zu unserer Rechten und Linken hin sowie rückwärts war das grüne, der Reife entgegen harrende Getreide. Aus dem Saume desselben, der uns am nächsten war, sahen uns der rote Mohn und die blauen Kornblumen an. Die Sonne ging dem Untergange zu und der Himmel glänzte an der Stelle, gegen die sie ging, fast weißglühend über die Saatfelder herüber, keine Wolke war und das Hochgebirge stand rein und scharf geschnitten an dem südlichen Himmel.

»Und habt Ihr bei dem roten Kreuze auch ein wenig geruht?« fragte ich nach einer Weile.

»Bei dem roten Kreuze habe ich nicht geruht«, antwortete sie, »man kann dort nicht ruhen, es steht fast unter lauter Halmen des Getreides, ich lehnte mich mit einem Arme an seinen Stamm und sah auf die Gegend hinaus, auf die Felder, auf die Obstbäume und auf die Häuser der Menschen, dann wendete ich mich wieder um und schlug den Rückweg zu diesem Bänklein ein.«

»Wenn heiterer Himmel ist und die Sonne scheint, dann ist es in der Weite schön«, sagte ich.

»Es ist wohl schön«, erwiderte sie, »die Berge gehen wie eine Kette mit silbernen Spitzen dahin, die Wälder sind ausgebreitet, die Felder tragen den Segen für die Menschen, und unter all den Dingen liegt das Haus, in welchem die Mutter und der Bruder und der väterliche Freund sind; aber ich gehe auch an bewölkten Tagen auf den Hügel oder an solchen, an denen man nichts deutlich sehen kann. Als Bestes bringt der Gang, daß man allein ist, ganz allein, sich selber hingegeben. Tut ihr bei euren Wanderungen nicht auch so, und wie erscheint denn euch die Welt, die ihr zu erforschen trachtet?«

»Es war zu verschiedenen Zeiten verschieden«, antwortete ich; »einmal war die Welt so klar als schön, ich suchte Manches zu erkennen, zeichnete Manches und schrieb mir Manches auf. Dann wurden alle Dinge schwieriger, die wissenschaftlichen Aufgaben waren nicht so leicht zu lösen, sie verwickelten sich und wiesen immer wieder auf neue Fragen ein. Dann kam eine andre Zeit; es war mir, als sei die Wissenschaft nicht mehr das Letzte, es liege nichts daran, ob man ein Einzelnes wisse oder nicht, die Welt erglänzte wie von einer innern Schönheit, die man auf ein Mal fassen soll, nicht zerstückt, ich bewunderte sie, ich liebte sie, ich suchte sie an mich zu ziehen und sehnte mich nach etwas Unbekanntem und Großem, das da sein müsse.«

Sie sagte nach diesen Worten eine Zeit hindurch nichts; dann aber fragte sie: »Und ihr werdet in diesem Sommer noch einmal in euren Aufenthaltsort zurück kehren, den Ihr Euch jetzt zu eurer Arbeit auserkoren habt?«

»Ich werde in denselben zurück kehren«, antwortete ich.