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»Und den Winter bringt Ihr bei Euren lieben Angehörigen zu?« fragte sie weiter.

»Ich werde ihn wie alle bisherigen in dem Hause meiner Eltern verleben«, sagte ich.

»Und seid Ihr in dem Winter im Sternenhofe?« fragte ich nach einiger Zeit.

»Wir haben ihn früher zuweilen in der Stadt zugebracht«, antwortete sie, »jetzt sind wir schon einige Male in dem Sternenhofe geblieben, und zwei Mal haben wir eine Reise gemacht.«

»Habt Ihr außer Klotilden keine andere Schwester?« fragte sie, nachdem wir wieder ein Weilchen geschwiegen hatten.

»Ich habe keine andere«, erwiderte ich, »wir sind nur zwei Kinder, und das Glück, einen Bruder zu besitzen, habe ich gar nie kennen gelernt.«

»Und mir ist wieder das Glück, eine Schwester zu haben, nie zu Teil geworden«, antwortete sie.

Die Sonne war schon untergegangen, die Dämmerung trat ein, und wir waren immer sitzen geblieben. Endlich stand sie auf und langte nach ihrem Hute, der in dem Grase lag. Ich hob denselben auf und reichte ihn ihr dar. Sie setzte ihn auf und schickte sich zum Fortgehen an. Ich bot ihr meinen Arm. Sie legte ihren Arm in den meinigen, aber so leicht, daß ich ihn kaum empfand. Wir schlugen nicht den Weg auf den Anhöhen hin zu dem Gartenpförtchen ein, das in der Nähe des Kirschbaumes ist, sondern wir gingen auf dem Pfade, der von der Felderrast zwischen dem Getreide abwärts läuft, gegen den Meierhof hinab. Wir sprachen nun gar nicht mehr. Ihr Kleid fühlte ich sich neben mir regen, ihren Tritt fühlte ich im Gehen. Ein Wässerlein, das unter Tags nicht zu vernehmen war, hörte man rauschen, und der Abendhimmel, der immer goldener wurde, flammte über uns und über den Hügeln der Getreide und um manchen Baum, der beinahe schwarz da stand. Wir gingen bis zu dem Meierhofe. Von demselben gingen wir über die Wiese, die zu dem Hause meines Gastfreundes führt, und schlugen den Pfad zu dem Gartenpförtchen ein, das in jener Richtung in der Gegend der Bienenhütte angebracht ist. Wir gingen durch das Pförtchen in den Garten, gingen an der Bienenhütte hin, gingen zwischen Blumen, die da standen, zwischen Gesträuch, das den Weg säumte, und endlich unter Bäumen dahin und kamen in das Haus. Wir gingen in den Speisesaal, in welchem die Andern schon versammelt waren. Natalie zog hier ihren Arm aus dem meinigen. Man fragte uns nicht, woher wir gekommen wären und wie wir uns getroffen hätten. Man ging bald zu dem Abendessen, da die Zeit desselben schon heran gekommen war. Während des Essens sprachen Natalie und ich fast nichts.

Als wir uns im Speisesaale getrennt hatten und als jedes in sein Zimmer gegangen war, löschte ich die Lichter in dem meinigen sogleich aus, setzte mich in einen der gepolsterten Lehnstühle und sah auf die Lichttafeln, welche der inzwischen heraufgekommene Mond auf die Fußböden meiner Zimmer legte. Ich ging sehr spät schlafen, las aber nicht mehr, wie ich es sonst in jeder Nacht gewohnt war, sondern blieb auf meinem Lager liegen und konnte sehr lange den Schlummer nicht finden.

In den Tagen, die auf jenen Abend folgten, schien es mir, als weiche mir Natalie aus. Die Zithern hörte ich wieder in ein paar Nächten, sie wurden sehr gut gespielt, was ich jetzt mehr empfinden und beurteilen konnte als früher. Ich sprach aber nichts darüber, und noch weniger sagte ich etwas davon, daß ich selber in diesem Spiele nicht mehr so unerfahren sei. Meine Zither hatte ich nie in das Rosenhaus mitgenommen.

Endlich nahte die Zeit, in welcher man in den Sternenhof gehen sollte. Mathilde und Natalie reisten in Begleitung ihrer Dienerin früher dahin, um Vorkehrungen zu treffen und die Gäste zu empfangen. Wir sollten später folgen.

In der Zeit zwischen der Abreise Mathildens und der unsrigen tat mein Gastfreund eine Bitte an mich. Sie bestand darin, daß ich ihm in dem kommenden Winter eine genaue Zeichnung von den Vertäflungen anfertigen möchte, welche ich meinem Vater aus dem Lauterthale gebracht hatte und welche von ihm in die Pfeiler des Glashäuschens eingesetzt worden waren. Die Zeichnung möchte ich ihm dann im nächsten Sommer mitbringen. Ich fühlte mich sehr vergnügt darüber, daß ich dem Manne, zu welchem mich eine solche Neigung zog und dem ich so viel verdankte, einen Dienst erweisen konnte und versprach, daß ich die Zeichnung so genau und so gut machen werde, als es meine Kräfte gestatten.

An einem der folgenden Tage fuhren mein Gastfreund, Eustach, Roland, Gustav und ich in den Sternenhof ab.

Das Fest

Ein Fest in dem Sinne, wie man das Wort gewöhnlich nimmt, war es nicht, was in dem Sternenhofe vorkommen sollte, sondern es waren mehrere Menschen zu einem gemeinschaftlichen Besuche eingeladen worden, und diese Einladungen hatte man auch nicht eigens und feierlich, sondern nur gelegentlich gemacht. Übrigens stand es in Hinsicht des Sternenhofes so wie des Asperhofes jedem Freunde und jedem Bekannten frei, zu was immer für einer Zeit einen Besuch machen und eine Weile zu bleiben.

Als wir am zweiten Tage nach unserer Abreise von dem Asperhofe — wir hatten einen kleinen Umweg gemacht — in dem Sternenhofe eintrafen, waren schon mehrere Menschen versammelt. Fremde Diener, zuweilen seltsam gekleidet, gingen, wie sich das allemal findet, wenn mehrere Familien zusammen kommen, in der Nähe des Schlosses herum oder auf dem Wege zwischen dem Meierhofe und dem Schlosse hin und her. Man hatte einen Teil der Wägen und Pferde in dem Meierhofe untergebracht. Wir fuhren bei dem Tore hinein, und unser Wagen hielt im Hofe. Ich hatte schon, da wir den Hügel hinan fuhren und uns dem Schlosse näherten, einen Blick auf dessen vorderste Mauer geworfen, an der jetzt die bloßen Steine ohne Tünche sichtbar waren, und hatte mein Urteil schnell gefaßt. Mir gefiel die neue Gestalt um Außerordentliches besser als die frühere, an welche ich jetzt kaum zurück denken mochte. Meine Begleiter äußerten sich während des Hinzufahrens nicht, ich sagte natürlich auch nichts. Im Hofe näherten sich Diener, welche unser Gepäcke in Empfang nehmen und Wagen und Pferde unterbringen sollten. Der Hausverwalter führte uns die große Treppe hinan und geleitete uns in das Gesellschaftszimmer. Dasselbe war eines von jenen Zimmern, die in einer Reihe fortlaufen und mit den neuen, im Asperhofe verfertigten Geräten versehen sind. Die Türen aller dieser Zimmer standen offen. Mathilde saß an einem Tische und eine ältliche Frau neben ihr. Mehrere andere Frauen und Mädchen so wie ältere und jüngere Männer saßen an verschiedenen Stellen umher. Auf dem unscheinbarsten Platze saß Natalie. Mathilde so wie Natalie waren gekleidet, wie die Frauen und Mädchen von den besseren Ständen gekleidet zu sein pflegten; aber ich konnte doch nicht umhin, zu bemerken, daß ihre Kleider weit einfacher gemacht und verziert waren als die der anderen Frauen, daß sie aber viel besser zusammen stimmten und ein edleres Gepräge trugen, als man dies sonst findet. Mir war, als sähe ich den Geist meines Gastfreundes daraus hervorblicken, und wenn ich an höhere Kreise unserer Stadt, zu denen ich Zutritt hatte, dachte, so schien es mir auch, daß gerade dieser Anzug derjenige vornehme sei, nach welchem die Andern strebten. Mathilde stand auf und verbeugte sich freundlich gegen uns. Das taten die Andern auch, und wir taten es gegen Mathilde und gegen die Andern. Hierauf setzte man sich wieder, und der Hausverwalter und zwei Diener sorgten, daß wir Sitze bekamen. Ich setzte mich an eine Stelle, welche sehr wenig auffällig war. Die Sitte des gegenseitigen Vorstellens der Personen, wie sie fast überall vorkömmt, scheint in dem Rosenhause und in dem Sternenhofe nicht strenge gebräuchlich sein; denn ich wußte schon mehrere Fälle, in denen es unterblieben war; besonders wenn sich mehrere Menschen zusammen gefunden hatten. Bei der gegenwärtigen Gelegenheit unterblieb es auch. Man überließ es eher den Bemühungen des Einzelnen, sich die Kenntnis über eine Person zu verschaffen, an der ihm gelegen war, oder man überließ es eher dem Zufalle, miteinander bekannt zu werden, als daß man bei jedem neuen Ankömmlinge das Verzeichnis der Anwesenden gegen ihn wiederholt hätte. Zudem schienen sich hier die meisten Personen zu kennen. Mich wollte man wahrscheinlich aus dem Spiele lassen, weil ich nie, wenn fremde Menschen in den Asperhof gekommen waren, gefragt hatte, wer sie seien. Gustav benahm sich hier auch beinahe wie ein Fremder. Nachdem er sich gegen seine Mutter sehr artig verbeugt, in die allgemeine Verbeugung gegen die Andern eingestimmt und Natalien zugelächelt hatte, setzte er sich bescheiden auf einen abgelegenen Platz und hörte aufmerksam zu. Mein Gastfreund und Eustach so wie auch Roland waren in den gebräuchlichen Besuchkleidern, ich ebenfalls. Mir kamen diese Männer in ihren schwarzen Kleidern fremder und fast geringer vor als in ihrem gewöhnlichen Hausanzuge. Mein Gastfreund war bald mit verschiedenen Anwesenden im Gespräche. Allgemein wurde von allgemeinen und gewöhnlichen Dingen geredet, und das Gespräch ging bald zwischen einzelnen, bald zwischen mehreren Personen hin und wider. Ich sprach wenig und fast ausschließlich nur, wenn ich angeredet und gefragt wurde. Ich sah auf die Versammlung vor mir oder auf manchen Einzelnen oder auf Natalien. Roland rückte einmal seinen Stuhl zu mir und knüpfte ein Gespräch über Dinge an, die uns beiden nahe lagen. Wahrscheinlich tat er es, weil er sich ebenso vereinsamt unter den Menschen empfand wie ich.