Auch die Zeit der Blütengesträuche war vorüber, und sie standen nur mit ihren grünen Blättern am Wege oder an ihren Stellen.
Die Gemüse nahmen die weiten und größeren Räume ein. Zwischen ihnen und an ihren Seiten liefen Anpflanzungen von Erdbeeren. Sie schienen besonders gehegt, waren häufig aufgebunden und hatten Blechtäfelchen zwischen sich, auf denen die Namen standen.
Die Obstbäume waren durch den ganzen Garten verteilt, wir gingen an vielen vorüber. Auch an ihnen, besonders aber an den zahlreichen Zwergbäumen, sah ich weiße Täfelchen mit Namen.
An manchen Bäumen erblickte ich kleine Kästchen von Holz, bald an dem Stamme, bald in den Zweigen. In unserem Oberlande gibt man den Staren gerne solche Behälter, damit sie Ihr Nest in dieselben bauen. Die hier befindlichen Behältnisse waren aber anderer Art. Ich wollte fragen, aber in der Folge des Gespräches vergaß ich wieder darauf.
Da wir in dem Garten so fortgingen, hörte ich besonders aus seinem bebuschten Teile wieder die Vogelstimmen, die ich in dem Wartezimmer gehört hatte, nur hier deutlicher und heller.
Auch ein anderer Umstand fiel mir auf, da wir schon einen großen Teil des Gartens durchwandert hatten; ich bemerkte nehmlich gar keinen Raupenfraß. Während meines Ganges durch das Land hatte ich ihn aber doch gesehen, obwohl er mir, da er nicht außerordentlich war und keinen Obstmißwachs befürchten ließ, nicht besonders aufgefallen war. Bei der Frische der Belaubung dieses Gartens fiel er mir wieder ein. Ich sah das Laub deshalb näher an und glaubte zu bemerken, daß es auch vollkommener sei als anderwärts, das grüne Blatt war größer und dunkler, es war immer ganz, und die grünen Kirschen und die kleinen Äpfelchen und Birnchen sahen recht gesund daraus hervor. Ich betrachtete, durch diese Tatsache aufmerksam gemacht, nun auch den Kohl genauer, der nicht weit von unserm Wege stand. An ihm zeigte keine kahle Rippe, daß die Raupe des Weißlings genagt habe. Die Blätter waren ganz und schön. Ich nahm mir vor, diese Beobachtung gegen meinen Begleiter gelegentlich zur Sprache zu bringen.
Wir waren mittlerweile bis an das Ende der Pflanzungen gelangt, und es begann Rasengrund, der steiler anstieg, Anfangs mit Bäumen besetzt war, weiter oben aber kahl fortlief.
Wir stiegen auf ihm empor.
Da wir auf eine ziemliche Höhe gelangt waren und Bäume die Aussicht nicht mehr hinderten, blieb ich ein wenig stehen, um den Himmel zu betrachten. Mein Begleiter hielt ebenfalls an. Das Gewitter stand nicht mehr gegen Sonnenuntergang allein, sondern jetzt überall. Wir hörten auch entfernten Donner, der sich öfter wiederholte. Wir hörten ihn bald gegen Sonnenuntergang, bald gegen Mittag, bald an Orten, die wir nicht angeben konnten. Mein Mann mußte seiner Sache sehr sicher sein; denn ich sah, daß in dem Garten Arbeiter sehr eifrig an den mehreren Ziehbrunnen zogen, um das Wasser in die durch den Garten laufenden Rinnen zu leiten und aus diesen in die Wasserbehälter. Ich sah auch bereits Arbeiter gehen, ihre Gießkannen in den Wasserbehältern füllen und ihren Inhalt auf die Pflanzenbeete ausstreuen. Ich war sehr begierig auf den Verlauf der Dinge, sagte aber gar nichts, und mein Begleiter schwieg auch.
Wir gingen nach kurzem Stillstande auf dem Rasengrunde wieder weiter aufwärts, und zuletzt ziemlich steil.
Endlich hatten wir die höchste Stelle erreicht und mit ihr auch das Ende des Gartens. Jenseits senkte sich der Boden wieder sanft abwärts. Auf diesem Platze stand ein sehr großer Kirschbaum, der größte Baum des Gartens, vielleicht der größte Obstbaum der Gegend. Um den Stamm des Baumes lief eine Holzbank, die vier Tischchen nach den vier Weltgegenden vor sich hatte, daß man hier ausruhen, die Gegend besehen oder lesen und schreiben konnte. Man sah an dieser Stelle fast nach allen Richtungen des Himmels. Ich erinnerte mich nun ganz genau, daß ich diesen Baum wohl früher bei meinen Wanderungen von der Straße oder von anderen Stellen aus gesehen hatte. Er war wie ein dunkler, ausgezeichneter Punkt erschienen, der die höchste Stelle der Gegend krönte. Man mußte an heiteren Tagen von hier aus die ganze Gebirgskette im Süden sehen, jetzt aber war nichts davon zu erblicken; denn alles floß in eine einzige Gewittermasse zusammen. Gegen Mitternacht erschien ein freundlicher Höhenzug, hinter welchem nach meiner Schätzung das Städtchen Landegg liegen mußte.
Wir setzten uns ein wenig auf das Bänklein. Es schien, daß man an diesem Plätzchen niemals vorüber gehen konnte, ohne sich zu setzen und eine kleine Umschau zu halten; denn das Gras war um den Baum herum abgetreten, daß der kahle Boden hervorsah, wie wenn ein Weg um den Baum ginge. Man mußte sich daher gerne an diesem Platze versammeln.
Als wir kaum ein Weilchen ausgeruht hatten, sah ich eine Gestalt aus den nicht sehr entfernten Büschen und Bäumen hervortreten und gegen uns empor gehen. Da sie etwas näher gekommen war, erkannte ich, daß es ein Gemische von Knabe und Jüngling war. Zuweilen hätte man meinen können, der Ankommende sei ganz ein Jüngling, und zuweilen, er sei noch ganz ein Knabe. Er trug ein blau- und weißgestreiftes Leinenzeug als Bekleidung, um den Hals hatte er nichts und auf dem Haupte auch nichts als eine dichte Menge brauner Locken.
Da er herzugekommen war, sagte er: »Ich sehe, daß du mit einem fremden Manne beschäftigt bist, ich werde dich also nicht stören und wieder in den Garten hinab gehen.«
»Tue das«, sagte mein Begleiter.
Der Knabe machte eine schnelle und leichte Verbeugung gegen mich, wendete sich um und ging in derselben Richtung wieder zurück, in der er gekommen war.
Wie blieben noch sitzen.
Am Himmel änderte sich indessen wenig. Dieselbe Wolkendecke stand da, und wir hörten denselben Donner. Nur da die Decke dunkler geworden zu sein schien, so wurde jetzt zuweilen auch ein Blitz sichtbar.
Nach einer Zeit sagte mein Begleiter. »Eure Reise hat wohl nicht einen Zweck, der durch den Aufenthalt von einigen Stunden oder von einem Tage oder von einigen Tagen gestört würde.«
»Es ist so, wie ihr gesagt habt«, antwortete ich, »mein Zweck ist, soweit meine Kräfte reichen, wissenschaftliche Bestrebungen zu verfolgen und nebenbei, was ich auch nicht für unwichtig halte, das Leben in der freien Natur zu genießen.«
»Dieses Letzte ist in der Tat auch nicht unwichtig«, versetzte mein Nachbar, »und da ihr euren Reisezweck bezeichnet habt, so werdet ihr gewiß einwilligen, wenn ich euch einlade, heute nicht mehr weiter zu reisen, sondern die Nacht in meinem Hause zuzubringen. Wünschet ihr dann am morgigen Tage und an mehreren darauf folgenden noch bei mir zu verweilen, so steht es nur bei euch, so zu tun.«
»Ich wollte, wenn das Gewitter auch lange angedauert hätte, doch heute noch nach Rohrberg gehen«, sagte ich. »Da ihr aber auf eine so freundliche Weise gegen einen unbekannten Reisenden verfahrt, so sage ich gerne zu, die heutige Nacht in eurem Hause zuzubringen und hin euch dafür dankbar. Was morgen sein wird, darüber kann ich noch nicht entscheiden, weil das Morgen noch nicht da ist.«
»So haben wir also für die kommende Nacht abgeschlossen, wie ich gleich gedacht habe«, sagte mein Begleiter, »ihr werdet wohl bemerkt haben, daß euer Ränzlein und euer Wanderstock nicht mehr in dem Speisezimmer waren, als ihr zum Essen dahin kamet.«
»Ich habe es wirklich bemerkt«, antwortete ich.
»Ich habe beides in euer Zimmer bringen lassen«, sagte er, »weil ich schon vermutete, daß ihr diese Nacht in unserm Hause zubringen würdet.«