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»Wenn es für Leben und Gesundheit keine Gefahr hat, solltet ihr es tun«, antwortete sie. »Es ist wohl ein Vorrecht der Männer, das Größere wagen und erfahren zu können. Wenn wir zuweilen im Winter in großen Städten gewesen sind und dort das Leben der verschiedenen Menschen gesehen haben, dann sind wir gerne in den Sternenhof zurückgegangen. Wir haben hier in manchen größeren Zeiträumen alle Jahreszeiten genossen und haben jeden Wechsel derselben im Freien kennen gelernt. Wir sind mit Freunden verbunden, deren Umgang uns veredelt, erhebt, und zu denen wir kleine Reisen machen. Wir haben einige Ergebnisse der Kunst und in einem gewissen Maße auch der Wissenschaft, so weit es sich für Frauen ziemt, in unsere Einsamkeit gezogen.«

»Der Sternenhof ist ein edler und ein würdevoller Sitz«, entgegnete ich, »er hat sich ein schönes Teil des Menschlichen gesammelt und muß nicht das Widerwärtige desselben hinnehmen. Aber es mußten auch viele Umstände zusammentreffen, da es somit werden konnte, wie es ward.«

»Das sagt die Mutter auch«, erwiderte sie, »und sie sagt, sie müsse der Vorsehung sehr danken, daß sie ihre Bestrebungen so unterstützt und geleitet habe, weil wohl sonst das Wenigste zu Stande gekommen wäre.«

Wir hatten in der Zeit dieses Gespräches nach und nach die höchste Stelle des Weges erreicht. Vor uns ging es wieder abwärts. Wir blieben eine Weile stehen.

»Sagt mir doch«, begann Natalie wieder, »wo liegt denn das Kargrat, in welchem Ihr Euch in diesem Teile des Sommers aufgehalten habt? Man muß es ja von hier aus sehen können.«

»Freilich kann man es sehen«, antwortete ich, »es liegt fast im äußersten Westen des Teiles der Kette, der von hier aus sichtbar ist. Wenn Ihr von jenen Schneefeldern, die rechts von der sanftblauen Kuppe, welche gerade über der Grenzeiche eures Weizenfeldes sichtbar ist, liegen, und die fast wie zwei gleiche, mit der Spitze nach aufwärts gerichtete Dreiecke aussehen, wieder nach rechts geht, so werdet Ihr lichte, fast wagrecht gehende Stellen in dem greulichen Dämmer des Gebirges sehen, das sind die Eisfelder des Kargrats.«

»Ich sehe sie sehr deutlich«, erwiderte sie, »ich sehe auch die Spitzen, die über das Eis empor ragen. Und auf diesem Eise seid ihr gewesen?«

»An seinen Grenzen, die es in allen Richtungen umgeben«, antwortete ich, »und auf ihm selber«.

»Da müßt Ihr ja auch deutlich hieher gesehen haben«, sagte sie.

»Die Berggestaltungen des Kargrates, die wir hier sehen«, erwiderte ich, »sind so groß, daß wir seine Teile wohl von hier aus unterscheiden können; aber die Abteilungen der hiesigen Gegend sind so klein, daß ihre Gliederungen von dort aus nicht erblickt werden können. Das Land liegt wie eine mit Duft überschwebte einfache Fläche unten. Mit dem Fernrohre konnte ich mir einzelne bekannte Stellen suchen, und ich habe mir die Bildungen der Hügel und Wälder des Sternenhofes gesucht.«

»Ach nennt mir doch einige von den Spitzen, die wir von hier aus sehen können«, sagte sie.

»Das ist die Kargratspitze, die ihr über dem Eise als höchste seht«, erwiderte ich, »und rechts ist die Glommspitze und dann der Ethern und das Krummhorn. Links sind nur zwei, der Aschkogel und die Sente.«

»Ich sehe sie«, sagte sie, »ich sehe sie.«

»Und dann sind noch geringere Erhöhungen«, fuhr ich fort, »die sich gegen die weiteren Berghänge senken, die keinen Namen haben und die man hier nicht sieht.«

Da wir noch eine Weile gestanden waren, die Berge betrachtet und gesprochen hatten, wendeten wir uns um und wandelten dem Schlosse zu.

»Es ist doch sonderbar«, sagte Natalie, »daß diese Berge keinen weißen Marmor hervorbringen, da sie doch so viel verschiedenfarbigen haben.«

»Da tut Ihr unseren Bergen ein kleines Unrecht«, antwortete ich, »sie haben schon Lager von weißem Marmor, aus denen man bereits Stücke zu mannigfaltigen Zwecken bricht, und gewiß werden sie in ihren Verzweigungen noch Stellen bergen, wo vielleicht der feinste und ungetrübteste weiße Marmor ist.«

»Ich würde es lieben, mir Dinge aus solchem Marmor machen zu lassen«, sagte sie.

»Das könnt Ihr ja tun«, erwiderte ich, »kein Stoff ist geeigneter dazu.«

»Ich könnte aber nach meinen Kräften nur kleine Gegenstände anfertigen lassen, Verzierungen und dergleichen«, sagte sie, »wenn ich die rechten Stücke bekommen könnte, und wenn meine Freunde mir mit ihrem Rate beistanden.«

»Ihr könnt sie bekommen«, antwortete ich, »und ich selber könnte euch hierin helfen, wenn ihr es wünscht.«

»Es wird mir sehr lieb sein«, erwiderte sie, »unser Freund hat edle Werke aus farbigem Marmor in seinem Hause ausführen lassen, und Ihr habt ja auch schöne Dinge aus solchem für eure Eltern veranlaßt.«

»Ja, und ich suche noch immer schöne Stücke Marmor zu erwerben, um sie gelegentlich zu künftigen Werken zu verwenden«, antwortete ich.

»Meine Vorliebe für den weißen Marmor habe ich wohl aus den reichen, schönen und großartigen Dingen gezogen«, entgegnete sie, »die ich in Italien aus ihm ausgeführt gesehen habe. Besonders wird mir Florenz und Rom unvergeßlich sein. Das sind Dinge, die unsere höchste Bewunderung erregen, und doch, habe ich immer gedacht, ist es menschlicher Sinn und menschlicher Geist, der sie entworfen und ausgeführt hat. Euch werden auch Gegenstände bei eurem Aufenthalte im Freien erschienen sein, die das Gemüt mächtig in Anspruch nehmen.«

»Die Kunstgebilde leiten die Augen auf sich, und mit Recht«, antwortete ich, »sie erfüllen mit Bewunderung und Liebe. Die natürlichen Dinge sind das Werk einer anderen Hand, und wenn sie auf dem rechten Wege betrachtet werden, regen sie auch das höchste Erstaunen an.«

»So habe ich wohl immer gefühlt«, sagte sie.

»Ich habe auf meinem Lebenswege durch viele Jahre Werke der Schöpfung betrachtet«, erwiderte ich, »und dann auch, so weit es mir möglich war, Werke der Kunst kennen gelernt, und beide entzückten meine Seele.«

Mit diesen Gesprächen waren wir allmählich dem Schlosse näher gekommen und waren jetzt bei dem Pförtchen.

An demselben blieb Natalie stehen und sagte die Worte: »Ich habe gestern sehr lange mit der Mutter gesprochen, sie hat von ihrer Seite eine Einwendung gegen unseren Bund nicht zu machen.«

Ihre feinen Züge überzog ein sanftes Rot, als sie diese Worte zu mir sprach. Sie wollte nun sogleich durch das Pförtchen hinein gehen, ich hielt sie aber zurück und sagte: »Fräulein, ich hielte es nicht für Recht, wenn ich euch etwas verhehlte. Ich habe euch heute schon einmal gesehen, ehe wir zusammentrafen. Als ich am Morgen über den Gang hinter euren Zimmern ins Freie gehen wollte, standen die Türen in einen Vorsaal und in ein Zimmer offen, und ich sah euch in diesem letztern an einem mit einem altertümlichen Teppiche behängten Tischchen, die Hand auf ein Buch gestützt, stehen.«

»Ich dachte an mein neues Schicksal«, sagte sie.

»Ich wußte es, ich wußte es«, antwortete ich, »und mögen die himmlischen Mächte es so günstig gestalten, als es der Wille derer ist, die euch wohlwollen.«

Ich reichte ihr beide Hände, sie faßte sie, und wir drückten uns dieselben.

Darauf ging sie in das Pförtchen ein und über die Treppe empor.

Ich wartete noch ein wenig.

Da sie oben war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, stieg ich auch die Treppe empor.

Das ganze Wesen Nataliens schien mir an diesem Morgen glänzender, als es die ganze Zeit her gewesen war, und ich ging mit einem tief, tief geschwellten Herzen in mein Zimmer.

Dort kleidete ich mich insoweit um, als es nötig war, die Spuren des Morgenspazierganges zu beseitigen und anständig zu erscheinen, dann ging ich, da die Stunde des Frühmahles schon heran nahte, in das Speisezimmer.