Выбрать главу

Ich legte am andern Tage Klotilden mehrere Zeichnungen, die ich von Gletschern, ihren Einfassungen, Wölbungen, Spaltungen, Zusammenschiebungen und dergleichen gemacht hatte, vor, damit sie in der frischen Erinnerung das Gesehene mit dem Abgebildeten vergleichen konnte. Ich machte auf Vieles aufmerksam, führte Manches in ihr Gedächtnis zurück und erwähnte hier auch als an der geeignetsten Stelle, wie sehr die Abbildung hinter der Wirklichkeit zurück bleibe. In den nächsten zwei Tagen besuchten wir noch verschiedene Stellen, von denen wir das Eis und die Schneegestaltungen dieser Berge betrachten konnten. Auch einen Wassersturz von einer steilrechten Wand zeigte ich Klotilden. Hierauf aber begann ich auf unsere Rückreise zu den Eltern zu denken. Die Zeit war nach und nach so vorgerückt, daß ein Aufenthalt in diesen hochgelegenen Räumen, besonders für ein der Stadt gewohntes Mädchen, nicht mehr ersprießlich war. Ich schlug daher Klotilden vor, nun auf dem nächsten Wege durch das ebenere Land unsere Heimat zu gewinnen zu suchen. Sie war damit einverstanden. Von dem nächsten größeren Orte her wurde ein Fuhrwerk bestellt, welches uns auf die erste Post bringen sollte. Wir nahmen von unserer Wirtin und ihrem Manne so wie von unsern Trägern und Führern, die noch zum Empfange eines kleinen Geschenkes herbei gekommen waren, Abschied; wir verabschiedeten uns von dem Pfarrer, der uns zuweilen besucht und uns auf Schönheiten, von seinem kleinen Gesichtskreise aus, aufmerksam gemacht hatte, und fuhren auf unserem Karren, der nur mit einem Pferde bespannt war, auf dem schmalen Wege von dem Kargrat hinab. Das Letzte, was wir von dem kleinen Örtchen sahen, war die mit Schindeln bedeckte Wand des Pfarrhofes und die gleichfalls mit Schindeln bedeckte Wand der schmalen Seite der Kirche. Ich sagte Klotilden, daß diese Bedeckungen notwendig seien, um die in diesen Höhen stark wirkende Gewalt des Regens und des Schnees von dem Mauerwerke abzuhalten. Wir konnten nur noch einen Blick auf die zwei Gebäude tun, dann trat eine Höhe zwischen unsere Augen und sie. Wir glitten mit unserem Fuhrwerke sehr schnell abwärts, wilde Gründe umgaben uns, und endlich empfing uns der Wald, der die Niederungen suchte, in ihnen dahin zog und schon wohnlicher und wärmer war. Wir kamen unter Wiegen und Ächzen unseres Wägleins immer tiefer und tiefer, Fahrgeleise von Holzwegen, die den Wald durchstrichen, mündeten in unsere Straße, diese wurde fester und breiter, und wir fuhren zuweilen schon eben und behaglich dahin.

Als wir den Ort erreicht hatten, an welchem sich die nächste Post befand, lohnte ich den Führer meines Wägleins ab, sendete ihn zurück und nahm Postpferde. Wir fuhren in gerader Richtung auf dem kürzesten Wege aus dem Gebirge gegen das flachere Land, um die Heerstraße zu gewinnen, die nach unserer Heimat führte. Immer mehr und mehr sanken die Berge hinter uns zurück, die milde Herbstsonne, die sie beschien, färbte sie immer blauer und blauer, die Höhen, die uns jetzt begegneten, wurden stets kleiner und kleiner, bis wir in das Land hinaus kamen, dessen Gefilde mit lauter dem Menschen nutzbarem Grunde bedeckt waren. Dort trafen wir auf die große Straße. Bisher waren wir gegen Norden gefahren, jetzt änderten wir die Richtung und fuhren dem Osten zu. Wir hatten auch bessere Wägen.

Da wir einen Tag auf dieser Straße gefahren waren, ließ ich an einem Orte halten und beschloß, einen Tag an demselben zu bleiben; den Abend und die Nacht brachten wir in Ruhe zu. Am andern Tage gegen Mittag führte ich die Schwester auf einen mäßig hoben Hügel. Der Tag war ein sehr schöner Herbsttag, der Schleier, welcher im Vormittage so Hügel als Gründe zart umwebt hatte, war einer völligen Klarheit gewichen. Ich befestigte mittelst Schrauben mein Fernrohr an dem Stamme einer Eiche und richtete es. Dann hieß ich Klotilden durchsehen und fragte sie, was sie sähe.

»Ein hohes, dunkles Dach«, sagte sie, »aus welchem mehrere breite und mächtige Rauchfänge empor ragen. Unter dem Dache ist ein Gemäuer von ebenfalls dunkler Farbe, in welchem große Fenster in gemäßen Entfernungen stehen. Das Gebäude scheint ein Viereck zu sein.«

»Und was siehst du weiter, Klotilde, wenn du das Rohr in die Umgebungen des Gebäudes richtest?« fragte ich.

»Bäume, die hinter dem Hause stehen, gleichsam wie ein Garten«, antwortete sie. »Die Mauern des Gebäudes sind dort licht wie die unserer Häuser. Dann sehe ich Felder, in ihnen wieder Bäume, hie und da ein Haus und endlich wolkenartige Spitzen, die wie das Hochgebirge sind, das wir verlassen haben.«

»Es ist das Hochgebirge«, antwortete ich.

»Ist das etwa?..« fragte sie, den Kopf von dem Fernrohre wegwendend und mich ansehend.

»Ja, Klotilde, das Gebäude ist der Sternenhof«, antwortete ich.

»Wo Natalie wohnt?« fragte sie.

»Wo Natalie wohnt, wo die edle Mathilde verweilt, wo so treffliche Menschen ein und aus gehen, wohin meine Gedanken sich mit Empfindung wenden, wo sanfte Gegenstände der Kunst thronen und wo ein liebes Land um all die Mauern herum liegt«, antwortete ich.

»Das ist der Sternenhof!« sagte Klotilde, blickte wieder in das Fernrohr und sah lange durch dasselbe.

»Ich habe dich mit Freude auf diesen Hügel geführt, Klotilde«, sagte ich, »um dir diesen Ort zu zeigen, in dem mein warmes Herz schlägt und ein tiefer Teil von meinem Wesen wohnt.«

»Ach lieber, teurer Bruder«, antwortete sie, »wie oft gehen meine Gedanken an den Ort und wie oft weilt mein Gemüt in seinen mir noch unbekannten Mauern!«

»Du begreifst aber«, sagte ich, »daß wir jetzt nicht hingehen können und daß die Angelegenheit ihre naturgemäße Entwickelung haben muß.«

»Ich begreife es«, antwortete sie.

»Du wirst sie sehen, an deinem Herzen halten und sie lieben«, sagte ich.

Klotilde sah wieder in das Rohr, sie sah sehr lange in dasselbe und betrachtete alles genau. Ich lenkte ihren Blick auf die Teile, die mir wichtig schienen, erklärte ihr alles und erzählte von dem Schlosse und von denen, die in demselben sind.

Es war indessen der Mittag gekommen, wir lösten das Fernrohr ab und gingen langsam unserer Wohnung zu.

»Kann man hier nicht auch das Rosenhaus deines Freundes sehen?« fragte sie im Heimgehen.

»Hier nicht«, erwiderte ich, »hier ist nicht einmal der höchste Teil der Rosenhausgegend zu erblicken, weil der Kronwald, den du gegen Norden siehst, sie deckt. Im Weiterfahren werden wir auf einen Hügel kommen, von dem aus ich dir die Anhöhe zeigen kann, auf welcher das Haus liegt und von dem aus du mit dem Fernrohre das Haus sehen kannst.«

Wir gingen in unsere Wohnung, und am nächsten Tage fuhren wir weiter. Als wir an die Stelle gekommen waren, von welcher man die Höhe des Asperhofes sehen konnte, ließ ich halten, wir stiegen aus, ich zeigte Klotilden den Hügel, auf welchem das Haus meines Gastfreundes liegt, richtete das Fernrohr und ließ sie durch dasselbe das Haus erblicken. Wir waren aber hier so weit von dem Asperhofe entfernt, daß man selbst durch das Fernrohr das Haus nur als ein weißes Sternchen sehen konnte. Nach dessen Betrachtung fuhren wir wieder weiter.